Wird über die Probleme von Schülerinnen und Schülern gesprochen, debattieren die Erwachsenen gern ihre Lieblings-Aufreger. Marode Schulgebäude gehören dazu, schlechte Pisa-Ergebnisse und Integrationsprobleme. Aber es gibt Themen, die den Schulalltag massiv beeinflussen – und viel zu wenig zur Sprache kommen. Einer dieser blinden Flecke sind Sexismus und sexuelle Gewalt unter Gleichaltrigen. In einer Studie hat Sabine Maschke (Philipps-Universität Marburg zusammen mit der Justus-Liebig Universität Gießen) nun 14- bis 18-Jährige befragt – und dabei drastische Erlebnisse sexualisierter Gewalt zutage gefördert. Betroffen sind vor allem Mädchen: 30 Prozent berichten von nicht gewollten Berührungen an Po oder Brust. Jedem zehnten Mädchen wird gegen ihren Willen ans Geschlechtsteil gefasst. Ebenso viele erklären, dass Jungen sie zum Geschlechtsverkehr drängen oder zwingen wollen. Bei drei Prozent kam es dabei zur Penetration, im Klartext: Das sind Vergewaltigungsfälle. Auch Jungen sind betroffen, wenn die Zahlen dort auch weitaus niedriger sind. Allen ist gemeinsam: Das Thema ist den Jugendlichen sehr wichtig. 80 Prozent betonen das.
Was ist da schiefgelaufen? Wie kann es sein, dass wenige Jahrzehnte nach der sexuellen Revolution und der großen Aufklärungswelle noch immer ein so hohes Maß an sexueller Gewalt die Jugend beherrscht? Als Grund führt die Autorin vor allem die Pornografisierung der Alltagskultur an. Fast die Hälfte der Jungen gibt an, öfter pornografische Webseiten zu konsumieren. Auch wenn neun von zehn Teenagern meinen, dass „echte Sexualität“ ganz anders ist als Porno, sind sie doch massiv beeinflusst. Über ein Drittel gab an, sie hätten Dinge gesehen, die sie lieber nicht gesehen hätten.
Hier werden gefährliche Mechanismen deutlich. Auch in der Werbekultur wird ein Frauenbild vermittelt, das Frauen herabwürdigt und zu Sexobjekten stilisiert. Das ist Teil unserer Alltagskultur. Wir sind umgeben von Bildern von Sexualität, die ungesund, respektlos, und unrealistisch sind. Sie beeinflussen Verhalten mehr, als uns lieb sein kann.
Es gab darüber in Deutschland in den vergangenen Jahren eine große Debatte, begonnen mit der Dirndl-Affäre um Rainer Brüderle und geführt unter dem Stichwort „Aufschrei“. Das hat das Bewusstsein für Sexismus und sexuelle Gewalt verändert, und es gibt Erfolge wie die Verschärfung des Sexualstrafrechts im vergangenen Jahr. Aber wenn sogar der Rechtsstaat so lange brauchte, Frauen und Mädchen vor sexueller Gewalt zu schützen – wen wundert es, dass es in den Köpfen der Jugendlichen noch nicht angekommen ist? Es ist deshalb richtig, dass die Sozialforscherin Maschke den Begriff der sexuellen Gewalt bewusst weit fasst und auch verbale Gewalt untersucht hat.
Mit der Anerkennung von Sexismus als Problem tun sich viele noch schwer. Das verderbe den Spaß, heißt es dann oft. Falsch. Zum Spaßhaben gehören zwei. Sexuelle Freiheit – und sie reicht vom Flirt bis zum Porno – beinhaltet auch die Notwendigkeit zur Sensibilisierung. Jungen und Männer (vereinzelt auch Frauen und Mädchen) werden besser erkennen müssen, was das Gegenüber will – und was nicht. In der Schule bekämen die Mädchen beigebracht, nicht vergewaltigt zu werden, statt dass Jungen beigebracht wird, nicht zu vergewaltigen. So wird eine Schülerin aus der Studie zitiert. Es ist überfällig, dass Mädchen und vor allem auch Jungen lernen, wie sie mit ihrer sexuellen Freiheit umgehen können, ohne andere zu verletzen. Gut, dass es nun eine Datengrundlage dafür gibt.
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