Das schöne Papier!

Glosse Die Bild hat zu ihrem 60. Geburtstag 41 Millionen kostenlose Sonderausgaben verteilt. Und ein massenwirksames Marketinginstrument produziert
Wenn schon selbstreferenziell, dann auch richtig: Bild aus der Bild in der Bild nach 60 Jahren Bild
Wenn schon selbstreferenziell, dann auch richtig: Bild aus der Bild in der Bild nach 60 Jahren Bild

Foto: der Freitag

41 Mio. Zeitungen hat die Bild laut Eigenaussage gestern quer durch die deutschen Haushalte verteilt. Nicht nur die Baumbestände mussten für dieses Denkmal, welches sich die Zeitung anlässlich ihres Jubiläums gesetzt hat, leiden. Auch die Müllabfuhr wird mehr zu tun haben: 100 Gramm wiegt eine der Sonderzeitungen. Das macht über 4.100 Tonnen Sonder-Altpapier.

Im Vorfeld hatte es vielfältige Reaktionen gegen die Massenverteilung der Bild gegeben, nachdem der Axel Springer Verlag angekündigt hatte, sich nicht von „Werbung nein danke“ Stickern beirren zu lassen. Tatsächlich kann man lediglich mit einem Schreiben an den Verlag einer Zustellung einer Gratiszeitung rechtswirksam widersprechen. Auf verschiedenen Blogs wie auf alle-gegen-bild.de wurden deshalb Musterschreiben bereitgestellt, genauso wie Anti-Bild Sticker für die Briefkästen. Immerhin knapp 250.000 Absagen sind so zusammengekommen.

Auch wenn das ein schönes Zeichen gegen Bild ist: Wirklich ärgern wird es den Konzern kaum. Anzeigenkunden war sicherheitshalber im Vorfeld angekündigt worden, dass die Verteilung auf die ca. 41 Mio. Haushalte sich „inkl. Werbeverweigerer“ verstehe. Eine ganzseitige Anzeige wurde für rund vier Millionen Euro verkauft (das schöne Geld!). Da die 22-seitige Jubiläumsausgabe zu geschätzt einem Drittel aus Werbung besteht, kann man sich an einer Hand abzählen, dass die Aktion Springer ordentlich Geld in die Kassen gespült haben dürfte.

Eigenlob stinkt

Inhaltlich ist die Sonderausgabe vor allem eine einsame Party des sich-selbst-feierns, eine absurde Wundertüte des Eigenlobs. Das Blatt präsentiert sich als: kinderlieb, mit Donald Duck als Zeitungsjunge, der die „Frei-Bild für alle“ verteilt. (Wie lange die Redaktion wohl über diesem Wortspiel brütete: „Das ist ja mal eine Zeitungs-Ente, die wirklich alle lieben“?). Machtvoll und regierungstauglich, mit einem Gerhard Schröder-Interview auf der ersten Doppelseite und einer Auflistung der "Kanzler bei Bild". Als Promiliebling, mit Statements unverzichtbarer Medienwunder, die man zur Not immer mal wieder im deutschen Privatfernsehen findet (Boris Becker, Sarah Connor, Thomas Gottschalk usw.). Investigativ. Seit der Auszeichnung mit dem Henri-Nannen-Preis für die Recherche der Kreditaffäre Wulffs geht es mit dem Investigativjournalimus bei Bild steil bergauf. Glauben die Redakteure. Jetzt haben sie eine „Olympia-Kette der Nazi-Spiele“ bei einem Andenken-Händler entdeckt (Seite 9). Really? Lebensretter. „Wir würden ohne die Bild-Leser nicht mehr leben“, wird anhand beispielhafter Schicksale kranker Kinder beschrieben (Seite 12). Künstlerisch begabt. „Diese Künstler schufen Werke für die Bild-Leser“ (Seite 14). So geht es in einem fort: Rekorde und Selbstdarstellung mit leicht schizophrenen Zügen. Es zeigt vor allem, dass die Bild ein Marketinginstrument kreiert hat, mit dem sie sich selbst bewirbt. Es wäre eine Frechheit gewesen, dafür auch noch Geld zu verlangen.

Zugegeben: mit der Macht und den Promis liegt die Zeitung nicht ganz daneben. Das weiß man spätestens seit der höchst erstaunlichen Bandbreite Prominenter von Sido bis Genscher, die als Werbeträger ihre „ehrlichen und unentgeltlichen“ Meinungen in der Kampagne „Ihre Meinung zu Bild...?“ hergeben. Auch in der Sonderausgabe haben sie wieder alle mitgemacht: Jürgen Klopp, Til Schweiger, Gerhard Schröder und viele andere. Das zeigt einmal mehr, dass die Zeitung als Massenmedium ernst genommen werden muss und ihr nicht einfach Größenwahn attestiert werden kann. Lesen lohnt sich trotzdem nicht. Meine Ausgabe ist jetzt wieder da, wo ich sie herhatte: in der Altpapiertonne.

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Geschrieben von

Juliane Löffler

Onlinerin beim Freitag. Quelle: Papier

Juliane Löffler

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