"Der Minirock des Internets"

Im Gespräch Laurie Penny ist in Großbritannien die Stimme eines jungen Online-Feminismus. Sie kämpft für eine sexismusfreie Diskussionskultur
Ausgabe 23/2013
Laurie Penny versucht, auf der Straße unnahbar zu wirken – als Schutz gegen dumme Anmache
Laurie Penny versucht, auf der Straße unnahbar zu wirken – als Schutz gegen dumme Anmache

Foto: Basso Cannarsa / LUZphoto

Der Freitag: Frau Penny, welche Rolle kann das Netz heute für Genderdebatten spielen?

Laurie Penny: Unsere Auffassung von Geschlecht und Sexismus wäre ohne das Internet heute fundamental anders. Ich bin davon überzeugt, dass sich durch die Geschichten und Erfahrungen, die wir online miteinander teilen, die Vorstellung davon verändert, welches soziale Verhalten akzeptiert wird – und welches tabuisiert wird. Der Feminismus der neunziger Jahre kreiste dagegen, teils auch als Anhängsel der damals dominaten neoliberalen Wirtschaftideologie, um Selbstermächtigungsfantasien in Form von Glamour, Shopping und Schuhen, wie wir das von Sex in the City kennen – er beschäftigte sich also vor allem mit den Sorgen reicher, weißer Frauen.

Und inwiefern ist der heutige Online-Feminismus anders?

Er ist ganz im Gegenteil nicht glamourös und versucht auch nicht, irgendjemand zu beeindrucken oder etwas zu verkaufen, wie das etwa die meisten Frauenzeitschriften tun. Der Online-Feminismus, so wie ich ihn verstehe, will Geschichten erzählen und ist viel konfrontativer. Und das ist auch viel machtvoller, als alle erwartet haben.

Aber ist das wirklich eine neue Art von Feminismus?

Es ist eine Weiterentwicklung. Eigentlich handelt es sich um einen alten Feminismus, der sich auf eine neue Art und Weise artikuliert. Er kann Menschen direkter erreichen als früher. Ich habe in meiner Schulzeit viel Literatur der zweiten und dritten Welle des Feminismus gelesen. Und ich habe mich umgeschaut und gefragt: Wo ist das alles? Was ist unser Feminismus? Alles, was ich damals in den Zeitungen sah, suggerierte: Dieser Kampf ist vorbei. Es gibt nichts mehr zu sagen. Erst als ich online aktiv geworden bin und 2005 angefangen habe, feministische Blogs zu lesen, habe ich in diesen Communitys etwas komplett Neues entdeckt.

Was war das genau?

Zum Beispiel Blogs wie LiveJournal oder the f-word. Über sie bin ich dann auch selbst zur Online-Aktivistin geworden. Ich habe dort in sehr kurzer Zeit eine Menge gelernt – auch über Themen wie ethnische Diskriminierung. Ich war 18 und in einer sehr weißen Gegend aufgewachsen. 2007 war ich dann fertig mit der Uni und beschloss, nicht auf einen Job bei einer lokalen Zeitung zu warten, sondern stattdessen dort zu bloggen. Ich tat einfach so, als wäre ich eine echte Journalistin – und dann wurde ich irgendwie eine.

Was hat sich dadurch an Ihrem Schreiben verändert?

Heute vermisse ich LiveJournal. Dort waren die Kommentare nicht ganz so brutal. Ich fühlte mich auf meinem eigenen Blog in der LiveJournal-Community geschützter, mehr als auf Webseiten professioneller Zeitungen – weil du in so einer Community viel persönlicher involviert bist, Beziehungen und Freundschaften pflegst. Um ehrlich zu sein, lese ich die Kommentare unter meinen Texten heute kaum mehr.

Ist es so schlimm?

Naja, manchmal, wenn ich schlecht gelaunt oder in Selbsthass-Stimmung bin, schaue ich mir an, was die Menschen im Internet über mich schreiben. Das ist aber so, als ob ein Teil deiner Seele leise umgebracht würde. Menschen sind manchmal so grausam und gezielt persönlich in ihren Attacken. Dann muss man sich einfach vor diesem ganzen Bullshit schützen. Durch die lauten, bösartigen Kommentare ist für mich aber auch etwas sehr Wertvolles verloren gegangen. Ich bin mir sicher, dass es viele Menschen gibt, die sich nicht im Netz engagieren und öffentlich exponieren, weil sie Angst haben – mit diesem Hass konfrontiert zu werden.

Wann wurden die Angriffe so richtig heftig?

Es fing an, als ich regelmäßig für die Website des New Statesman zu schreiben begann. Es hat mich völlig überrascht. Ich dachte zunächst, all diese fiesen Kommentare und Blogbeiträge wären Reaktionen darauf, dass ich eine schlechte Autorin oder ein schlechter Mensch sei. Dann war ich auf einem Treffen mit einigen anderen Autorinnen und Aktivistinnen. Jemand erzählte von Online-Hasskommentaren. Und ich sagte: „Moment mal, ich kenne das.“ Das Gespräch darüber wurde zu einem regelrechten Ausbruch.

Was steht in den besonders krassen Kommentaren?

Ein College-Student schrieb etwa auf Twitter: „Du dumme Schlampe, ich will dich ins Gesicht schlagen.“ Meine Follower haben ihm dann geschrieben, dass er ein Idiot sei. Und daraufhin hat er sich beschwert, dass er beleidigt würde. „Siehst du, so fühlt sich das an“, habe ich nur gedacht.

Haben Sie eine bestimmte Strategie, wie Sie heute mit solchen Anfeindungen umgehen?

Retweeten hilft mir sehr, also die Kommentare ohne Anmerkungen auf der eigenen Plattform weiterveröffentlichen. Ich erwidere nichts darauf, sondern zeige nur, was Menschen sagen und tun. Lustig ist: Wenn du die Aufmerksamkeit auf diese Leute selbst lenkst, fühlen sie sich in ihrer freien Meinungsäußerung bedroht. Dabei tun sie doch genau dasselbe. Sie mobben dich und wollen dich zum Schweigen bringen. Die Beleidigungen sind ein bisschen weniger geworden, seit ich angefangen habe, öffentlich darüber zu schreiben. Und natürlich bekomme ich auch viel Unterstützung und Zuspruch.

Eine deutsche Bloggerin hat Trolle und Stalker als Kinder beschrieben, die von einer Brücke spucken. Von wem kommen die Anfeindungen bei Ihren Texten?

Das sind gar nicht nur Männer. Auch Frauen können sexistisch sein. Wir stellen uns Trolle immer als Typen vor, die ungewaschen im Keller ihrer Mutter sitzen und mit den Fingern aus der Dose essen. Enthüllungs-Kampagnen, die sie bloßstellen, haben aber gezeigt, dass es oft ganz normale, auch gut integrierte Typen sind – mit Job, Frau und Kindern. Manche machen das sogar unter Klarnamen, denen geht es nicht mal um Anonymität.

Haben Sie mal daran gedacht, sich wegen dieser Attacken aus dem Netz zurückzuziehen?

Ich habe sogar daran gedacht, mit dem Journalismus ganz aufzuhören. Meinen Twitter-Account würde ich zwar nicht löschen, aber ich habe mein Passwort dafür meiner besten Freundin gegeben. Sie moderiert manchmal die Kommentare, wenn ich einmal ein paar Stunden Pause brauche, zum Tee trinken, arbeiten, Nachrichten schauen. Frauen, die sich gegenseitig vertrauen und unterstützen, sind meiner Erfahrung nach bei so etwas extrem wichtig.

Es werden auch Männer gemobbt, die sich öffentlich im Netz äußern. Gibt es da einen Unterschied?

Männer werden meiner Einschätzung nach eher für ihre Ideen und Inhalte angegriffen. Es wird nicht ihr Recht, sich zu äußern, grundsätzlich infrage gestellt. Und die Menge an Beleidigungen ist bei ihnen in der Regel auch geringer – das sehe ich im Vergleich mit meinen Kollegen. Ich persönlich spüre Sexismus auch stärker online als offline.

Wieso das?

Im Netz wird die strukturelle misogyne Gewalt unserer Gesellschaft besonders deutlich sichtbar. Auf der Straße versuche ich, als Frau immer auszustrahlen, dass man sich bloß nicht mit mir anlegen sollte – vielleicht bekomme ich das dort deshalb weniger ab als viele meiner Freundinnen.

Und online kann man das nicht ausstrahlen?

Meine Erfahrung ist es, dass ich dort mit meinen Meinungen und Texten als Provokation wahrgenommen werde – eben auch, weil ich eine Frau bin. Deshalb habe ich geschrieben: Die Meinung einer Frau ist der Minirock des Internets.

Bewegen sich Frauen im Netz grundsätzlich anders als Männer?

Die Belästigungen haben zum Ziel, Frauen aus dem Internet möglichst zu verjagen. Dem liegt der Zorn zugrunde, dass Frauen sich auch in einem vermeintlich männlich konnotierten Rückzugsraum bewegen. Das ist natürlich Quatsch. Frauen waren von Anfang an daran beteiligt, die Infrastruktur des Netzes mitaufzubauen. In der Diskussion um Online-Belästigungen wird Frauen aber oft erzählt: „Das Netz ist ein gefährlicher Ort, geh nicht dorthin.“ Das ist der falsche Weg, weil es die Absicht der Belästiger unterstützt.

Wie können wir die digitale Kommunikation verbessern, sodass sie für alle angenehmer wird?

Es geht beim Online-Mobbing oft darum, Macht auszuüben und einen höheren sozialen Status zu demonstrieren. Kampagnen, die das öffentlich machen, sind ein Versuch, diesen Mechanismus umzukehren. Ich bin auch absolut dafür, bei Stalking oder Vergewaltigungsdrohungen sofort die Polizei einzuschalten – auch wenn man diese Anfeindungen selbst damit nicht ganz verhindern kann.

Und was muss sonst noch passieren?

Die Netzkultur wird sich verändern müssen. Man muss klarmachen, dass, wenn du misogyne, gewalttätige Drohungen im Netz postest, auch noch fünf Jahre später die Konsequenzen spüren könntest, wenn du gerade einen neuen Job suchst. Dass du ein Problem bekommst, wenn die Person, die dich anstellt, eine Frau ist – oder ein Mann, der solche Äußerungen nicht als Bagatellen abtut. Wenn die Leute verstehen, dass ihre sexistischen Äußerungen online Auswirkungen auf ihr Leben offline haben, werden sie aufhorchen.

Das Gespräch führte Juliane Löffler

Laurie Penny, geboren 1986 in London, bloggt seit 2007. Sie schreibt für den Independent, den Guardian und den New Statesman. Der konservative Daily Telegraph nannte sie kürzlich die „lauteste und umstrittenste weibliche Stimme der Linken“.

Der digitale Freitag

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Geschrieben von

Juliane Löffler

Onlinerin beim Freitag. Quelle: Papier

Juliane Löffler

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