Die Buhfrau

Porträt Die Berliner Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann will den Flüchtlingen im Oraniencamp eigentlich helfen. Doch damit eckt sie nicht nur in der Politik an
Ausgabe 03/2014

„Nein, ich fühle mich überhaupt nicht als Buhfrau“, sagt Monika Herrmann und lehnt sich in ihrem Stuhl zurück. Die Grünen-Bürgermeisterin des Berliner Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg sitzt im Büro und verschränkt die Arme. Sie hat in den vergangenen Wochen eine Menge Kritik einstecken müssen – wegen ihrer Haltung zum Oraniencamp, dem symbolischen Zentrum des deutschlandweiten Protests gegen das geltende Asylrecht. In der Hauptstadt regiert Rot-Schwarz, der CDU-Innensenator Frank Henkel will das Protestlager auf dem Kreuzberger Oranienplatz schließen lassen und wirft Herrmann Planlosigkeit vor. Sogar eine Strafanzeige wurde gegen die 49jährige Grüne gestellt. Ein Bezirkspolitiker der CDU warf ihr vor, sie dulde, dass ehemalige Bewohner des Camps nun auch eine Schule in Kreuzberg besetzt halten. Dass die Zustände sich im Camp aber verändern müssen, weiß auch Monika Herrmann und sucht einen Kompromiss: Ein Infozelt soll bleiben. Aber die Schlafzelte müssen verschwinden.

Immer wieder ist das Camp zum Stein des Anstoßes geworden, es gab Klagen aus der Nachbarschaft über Lärm und Müll, eine Messerstecherei, es fehlte an Lebensmitteln und sanitärer Versorgung. Die Aktivisten am Oranienplatz aber halten an ihrem Ziel fest: Das Camp soll so lange bleiben, bis ihre Forderungen erfüllt sind. Sie wollen Asyl, sie verlangen eine menschenwürdigen Unterbringung, eine Arbeitserlaubnis und das Recht, sich in Deutschland frei bewegen zu dürfen. Monika Herrmann ist mit ihren Bemühungen um Kompromisse auch unter linken Aktivisten schnell zu einem Feindbild geworden. Kann man die verfahrene Situation lösen? Die Bezirksbürgermeisterin steht im Fadenkreuz der unterschiedlichen Interessen und eckt zwangsläufig an – auf beiden Seiten.

Die gebürtige Berlinern lebt seit 15 Jahren in Kreuzberg. Sie arbeitete hier als Jugendstadträtin und hat sich immer mit Migration beschäftigt. Der Wohlstand in Deutschland beruhe auch auf dem Elend anderer Menschen, sagt sie. Dass Flüchtlinge daran erinnern, sei deshalb richtig. „Trotzdem kann unser Sozialsystem, so wie es jetzt ist, nicht unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen. Dann müssen wir uns über unsere Systeme Gedanken machen.“ Die heutige Situation ist für Herrmann ein Dilemma: Sie spürt eine deutliche Diskrepanz zwischen ihren persönlichen Vorstellungen und den Vorgaben, die sie als Staatsvertreterin umsetzen muss. „Tatsächlich liegen dazwischen manchmal Welten.“ Die politische Verantwortung sieht sie bei Bund und Ländern. Nur diese haben die Kompetenzen, um den Flüchtlingen in ihren vier zentralen Forderungen entgegenzukommen und den Konflikt zu entschärfen.

Dass eine Räumung des Camps die Situation eskalieren würde, ahnte auch der Senat und hat diese Aufgabe dem Bezirk überlassen. Weil sich Herrmann aber weigerte, hat Innensenator Henkel inzwischen auf eigene Faust ein Ultimatum für die Räumung gestellt: Eigentlich sollte die Polizei in dieser Woche das Lager abreißen. Aber kurz bevor es soweit war, schaltete sich der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit ein, stoppte Henkel in seinem Tatendrang und die schwarz-rote Koalition hatte ihre erste schwere Krise.

Das zeigt, dass es durchaus gewisse politische Spielräume gibt – auch wenn sie nicht überall genutzt werden. In Hamburg dagegen macht der SPD-Bürgermeister Olaf Scholz seit Wochen mit Polizeikontrollen Druck auf Flüchtlinge. Auch in der SPD gibt es ganz offenkundig verschiedene Meinungen darüber, wie mit den Asylprotesten umgehen sollte.

"Das macht mich wütend"

Monika Herrmann hat das Camp am Oranienplatz regelmäßig besucht, man kennt sie dort. „Wenn Menschen immer und immer wieder mit denselben Fragen zu mir kommen, etwa warum sie nicht arbeiten dürfen, macht mich das wütend auf die politischen Zustände. Dabei könnten wir die ausgebildeten Handwerker aus Libyen im Bezirk gut gebrauchen.“ Auf den Aufenthaltsstatus oder die Arbeitserlaubnis hat sie jedoch keinen Einfluss. Das ist wiederum Sache der Ausländerbehörde. Was sie aber tun kann: gemeinsam mit den Kirchen für die Unterkünfte und die Versorgung der Flüchtlinge sorgen und die radikale Räumung des Camps verweigern. Sie macht das nicht nur, weil sie sonst mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit den schwarzen Peter zugesteckt bekäme. Sie macht es auch aus innerer Überzeugung. Die Kritik, die sie dafür von mancher Seite einstecken muss, lässt sie kühl an sich abprallen.

Die Grüne hält sich ganz pragmatisch an ihre Möglichkeiten. Dabei arbeite sie „sehr intuitiv“, erzählt sie. Im Dezember hatte Herrmann auf Wunsch einiger Flüchtlinge eine alternative Unterkunft in einem Seniorenheim organisiert und wollte die Zelte mit Unterstützung der Polizei abbauen lassen. Schnell war jedoch in linken Kreisen von einer Räumung die Rede, innerhalb weniger Stunden formierte sich eine Spontandemonstration mit rund 500 Menschen, die Situation war angespannt. Herrmann wartete ab, die Polizei zog sich zurück, der Abbau der Zelte wurde verschoben. „Menschen reagieren eben nicht immer so, wie man das vielleicht gerne hätte.“ Ihre Strategie mag eine kurzfristige sein, aber sie ist realistisch. „Schritt für Schritt“, sagt sie.

Nun hat Monika Herrmann mit den Flüchtlingen einen kleinen Etappensieg errungen. Die rot-schwarze Koalition hat die SPD-Integrationssenatorin Dilek Kolat beauftragt, mit den Menschen im Camp zu sprechen. Zum ersten Mal wird also eine wichtige Landespolitikerin mit den Aktivisten verhandeln. Was dann Herrmanns Rolle sein wird, muss sich noch zeigen. Vom Tisch ist das Thema jedenfalls noch lange nicht. „Berlin wird immer eine Flüchtlingsstadt sein“, sagt sie. Es klingt ein wenig trotzig – und ein wenig stolz.

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Juliane Löffler

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