Berührende und erschreckende Szenen haben sich vergangene Woche in Nürnberg ereignet. „Mörder, Mörder“, riefen Schülerinnen und Schüler, verharrten im Sitzstreik, wurden von der Polizei hart angegangen, mit Tränengas angegriffen. Irgendwann schleifte die Polizei einen jungen Mann in einem gelben T-Shirt über den Boden in einen Einsatzwagen. Das war Asef N., ein junger Afghane, Berufsschüler, den rund 300 Mitschülerinnen und Mitschüler vor einer Abschiebung zu schützen versuchten. Die Behörden werfen ihm Täuschung vor, sein Anwalt widerspricht. Seit vier Jahren lebt Asef N. in Deutschland, wird als fleißig und ehrgeizig beschrieben, ein Ausbildungsplatz als Schreiner stand in Aussicht.
Gibt es gute Gründe für eine Abschiebung? Ja, wird häufig argumentiert, weil in Deutschland nicht genug Platz für alle sei. Weil es eine gesamteuropäische Lösung brauche. Und weil für Menschen, die aus anderen Ländern kommen und straffällig werden, andere Regeln gelten müssen als für solche mit deutschem Pass. Wer sich nicht integriert oder die innere Sicherheit gefährdet, muss gehen – so die Logik, die etwa im Fall Anis Amris, des Attentäters vom Breitscheidplatz, nachvollziehbar ist.
Andere Argumente sprechen dagegen. Selbst wenn Deutschland alle Flüchtenden der Welt aufnähme, hätte es dieselbe Bevölkerungsdichte wie Japan. Eine europäische Lösung steht in den Sternen und ist keine Alternative für jene, die jetzt flüchten müssen. Und Straftäter könnten nach deutschem Recht bestraft werden, wie alle anderen auch – nur müssen die Behörden, die etwa beim Anschlag in Berlin versagt haben, dann auch ihren Job machen.
Selbst wenn man für das Instrument der Abschiebungen plädiert, heißt das im Umkehrschluss, dass die Rückführung in die Heimatländer in vielen anderen Fällen Unsinn ist. Etwa bei jenen, die gut integriert sind und in Deutschland eine neue Heimat gefunden haben. Sicherlich gibt es eine rechtliche Seite des Falles, und an ihr wird sich entscheiden, ob Asef N. bleiben darf, oder nicht. Es gibt jedoch auch eine moralische oder ethische Seite. Wie ist das vermittelbar: Da sitzen junge Menschen in einer Berufsschule, lernen gemeinsam, schmieden Zukunftspläne. Und plötzlich wird einer von ihnen gewaltsam aus der Gruppe gerissen, um in ein Land geschickt zu werden, in dem sein Überleben nicht gesichert ist?
Dass Afghanistan zum sicheren Herkunftsland erklärt wurde, ist blanker Hohn. Das zeigt der jüngste Anschlag in Kabul mit über 150 Toten, das zeigen die Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes. Und das zeigen verschiedene Berichte, etwa vom UNHCR oder dem afghanischen Journalisten Ramin Mohabat, der erzählt, wie einem Mann auf der Busfahrt von Herat nach Kabul der Kopf abgeschlagen wurde, weil er die falsche Kleidung und keinen Bart trug. In dieses Land soll Asef N. nun zurückkehren. Wer kann ernsthaft darüber verwundert sein, dass er sich dagegen wehrt?
Wer das unsagbare Leid auf den Fluchtrouten selbst gesehen hat, oder die Augen davor nicht verschließt, kann die Geflüchteten kaum guten Gewissens zurückschicken. Niemand riskiert sein Leben zum Spaß – das ist im Titelthema dieser Ausgabe erneut und eindringlich beschrieben. Und wenn sogar jene, die in Deutschland als sogenannte Vorzeigebeispiele gelten könnten, brutal und unvermittelt aus der Gesellschaft gerissen werden – welches Signal wird damit gesendet? In der Stadt Nürnberg gibt es ein Sprachintegrationszentrum, an der Berufsschule Integrationsklassen, am Euro-Bildungswerk Integrationskurse. Abschiebeaktionen wie am vergangenen Mittwoch senden ein fatales Signal: Wofür sich integrieren, wenn die Maßstäbe für Asyl und Duldung nicht gerecht erscheinen? So zerstört man Integrationschancen – und Existenzen.
Es gibt einen zweiten Fall, der zeigt, wie deutsches Asylrecht gelungene Integration einfach wegwirft. Die 14-jährige Schülerin Bivsi Rana ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Morgens wird sie vom Schulleiter aus der Klasse geholt, um 17 Uhr geht ihr Flieger nach Nepal, das Geburtsland ihrer Eltern. Die waren gegen ihre Abschiebung durch alle Instanzen gegangen, dann entschied die Härtefallkommission gegen sie. In einem Interview mit dem WDR, das Rana jüngst per Skype aus Nepal gab, wird die Absurdität der Entscheidung deutlich. Das junge Mädchen bricht in Tränen aus, als sie von der Solidarität ihrer Klasse erzählt und sagt: „Ich hab mich so gefühlt wie ein Schwerverbrecher.“ Auf die Frage, ob sie in Kathmandu zur Schule gehen wird, schluchzt sie: „Ich bezweifle, dass ich es hier schaffe, denn Deutschland ist ja meine Heimat.“
Heimat. Da ist dieses Wort, was Politiker wie Thomas de Maizière so gerne von Menschen mit Migrationshintergrund hören möchten. Statt jedoch die Chancen zu sehen, welche Bivsi Rana oder Asef N. für die Integrationsarbeit bieten, arbeitet die Bundesregierung an einem neuen „Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“, welches vor wenigen Wochen im Bundestag beschlossen wurde. Mehr Einsatz von Fußfesseln, Massenauslese von Handydaten und überfallartige Abschiebungen inklusive. Es lässt sich streiten, wann und ob Abschiebungen aus Deutschland gerechtfertigt sind. Wenn die Entscheidungen aber weder menschlich noch rechtlich nachvollziehbar sind, hinterlässt man ein Trümmerfeld statt einer offenen und solidarischen Gesellschaft.
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