F.I.N.D. #4 – Husbands

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Sex, Crime and Langeweile. Ivo van Hoves Inszenierung Husbands zeigt drei gefühlsblinde Männer, welche auf den Tod ihres alten Freundes mit einem merkwürdigen Ausbruch in die Welt des Exzesses reagieren

Ein Schauspieler sieht es sicherlich als große Chance an, in einem Stück des hochkarätigen Theaterregisseurs Ivo van Hove mitwirken zu dürfen. Er ist sicherlich noch erfreuter, wenn dieses Stück dann als Gastspiel auf das renommierte Festival für Internationale Neue Dramatik (F.I.N.D.) der Berliner Schaubühne eingeladen wird. Was aber, wenn ihm während des spärlichen Applauses nach der Aufführung bewusst wird, dass irgendwas schief gelaufen ist? Was, wenn er während der Proben schon merkte, dass die Inszenierung ein zerstückeltes Agglomerat unmotivierter Handlungsfetzen ist? Oder ist der gemeine Darsteller derart narzisstischer Natur, dass ihm solche Zweifel niemals kommen? Diese Fragen stelle ich mir, während ich am Ende bei der Verbeugung in die etwas gequälten Gesichter der fünf Schauspieler (Barry Atsma, Roeland Fernhout, Hans Kesting, Alwin Pulinckx, Halina Reijn) blicke und mich zwinge, ihre Leistung zu würdigen.

Wie es dazu kam: Zwei Stunden zuvor hatte ich den inzwischen angenehm vertrauten Saal der Schaubühne betreten und mich auf Husbands frei nach dem Film des Independent-Filmregisseur John Cassavetes von 1970 gefreut. Einen Film am Theater zu inszenieren ist zwar nicht neu, kommt aber auch nicht häufig vor - und man kann gespannt sein, wie der Medientransfer dem Stoff bekommt. Der Teaser des Stücks „men in menopause“ verspricht Erhellung über die Irrungen und Wirrungen der Generation meiner Eltern. Das Bühnenbild ist ein dezentes Arrangement der Deplatzierungen. Im Waschbecken liegt ein Basketball, aus der Wand ragt ein Bierzapfhahn, die Leinwand für den Übersetzungstext hängt auf Nackenstarre-Höhe. Auf einem Sofa sitzt eine schluchzende Witwe mit großer Sonnenbrille und schwarzem Kopftuch.

Geistiger Sekundenschlaf

Sie ist die Frau des verstorbenen Stuart und empfängt seine drei besten Jugendfreunde Freunde Gus, Harry und Archie zur Beerdigung. Nach der Zeremonie beginnen die emotional verwirrten und offensichtlich zur Reflexion ihrer Gefühle völlig unfähigen Männer sich in einen Strudel aus Freiheitssuche und Exzess zu begeben. Dabei helfen ihnen altbacken anmutende Männerinteressen: Bier, Frauen, Basketball, Sex, ein Wochenende in London, Witze über Homosexualität, noch mehr Frauen. Dem Zuschauer kommt die Aufgabe zu, darüber zu sinnieren was der Tod ihres Freundes für die das nun unvollständige Dreiergespann zu bedeuten hat, außer dass es sie in eine Mischung aus geistiger Umnachtung und emotionaler Verwirrung stürzt.

Die Deplatzierung des Prologs erfüllt leider im Verlauf des Stücks keinen weiteren Sinn, außer sich als Gefühl auf mich zu projizieren. Was mache ich hier eigentlich? Diese Frage erreicht ihren Zenit, als gefühlte zehn Minuten Bruce Springsteens Born in the USA läuft und die drei Jungs mit ausgebreiteten Armen und einer England-Flagge über den Schultern im Kreis rennen: es ist die Flugreise nach London. Hier zeigt sich der crossmediale Umgestaltungswille ganz nach Voglers Heldenreise, Teil fünf: Aufbruchstimmung, der Held überschreitet die erste Schwelle, von der es kein zurück mehr gibt. Symbolik mit dem Holzhammer. Andere Zuschauer fühlen sich vom Aufbruch inspiriert und verlassen lautstark den Saal. Denn die Inszenierung ist vor allem eines: langweilig. Das liegt nicht an den Darstellern: die spielen sich zwischen Wutanfällen, schizophrenen Attacken gegen Prostituierte und sich selbst, Basketballspielen und Lachanfällen kaputt. Leider umsonst, denn ihre Handlungen sind so unmotiviert und willkürlich, dass man zur Inkarnation des Fragezeichens wird. Darunter leidet auch der Humor des Stücks. „Sing richtig. Aus deiner Fotze!“, schreit einer der drei Herren im Traueranzug die trällernde und betrunkene Witwe an. Danach lachen alle. Witz komm raus?

Mir fällt, wie in einem geistigen Sekundenschlaf, drei mal mein Stift aus der Hand. Mein Sitznachbar windet sich schmerzlich in seinem Sitz hin und her. Das unauffällige Schielen auf seine Armanduhr wird zum kurzweiligen Zeitvertreib. Wie lange noch? Am Ende wird in einer Filmszene auf einer Riesenleinwand die Heimkehr zwei der Männer in ihr Reihenhausstrasse gezeigt. Back to normal. Harry ist zurückgeblieben um seiner zerrütteten Ehe zu entkommen – er hat den exzessiven Ausbruch derart auf die Spitze getrieben, dass er nichts mehr zu verlieren hat. Langsam klingt das Flimmern der Leinwand aus und die Akteure stellen sich unbeteiligt davor. Der digitale Epilog steht stellvertretend für das misslungene Unterfangen, einen Film im Theater mit neuer Bedeutung aufzuladen. Vielleicht muss man das auch gar nicht versuchen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Juliane Löffler

Onlinerin beim Freitag. Quelle: Papier

Juliane Löffler

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