Ganz so einfach ist es dann doch nicht

Coming-out Schauspielerin Kristen Stewart hält das Outing und die Festlegung auf eine starre Sexualität für gestrig. Nur die gesellschaftliche Realität ist leider noch eine andere
Ausgabe 35/2015
Will sich nicht festlegen: Kirsten Stewart
Will sich nicht festlegen: Kirsten Stewart

Foto: Martin Bureau/AFP/Getty Images

Ist ein Coming-out heute überhaupt noch nötig? Nein, befand kürzlich Kristen Stewart. Sie verstecke sich nicht, sagte die US-amerikanische Schauspielerin, aber sie halte die Festlegung auf eine starre Sexualität für gestrig. Ja, befand dagegen die deutsche Youtuberin Melina Sophie und erklärte vor kurzem in einem Video, das bisher drei Millionen Mal geklickt wurde, sie sei lesbisch. Danach folgte ein Statement, dass sie nun der glücklichste Mensch der Welt sei und sie von Freunden und Eltern nur „superpositive“ Reaktionen bekommen habe. Mit ihrem Coming-out wolle sie anderen helfen. Die wenigen Hasskommentare ließen sie nach eigener Aussage kalt.

Das ist schön für Melina Sophie. Aber so einfach, wie sie es darstellt, ist es leider nicht. Nicht weil in unserer Gesellschaft Homosexualität noch immer „das Andere“ ist, wie sie in einem Follow-up selber zugab. Sondern weil sie mit ihrem Loblied auf das Coming-out all jene kleinen Hürden im Alltag ausblendet, die unbemerkt auftauchen, einen aber sehr treffen können.

Wenn deine Mutter ein paar Wochen länger zögert, bevor sie deine neue Freundin kennenlernen will. Wenn deine Freunde dir unterstellen, es sei nur ein Kreuzberger Hipster-Phänomen, dass du jetzt "auch mal mit einer Frau" schlafen wolltest. Wenn jemand über ein ekelhaft riechendes Parfum spricht, oder ein schlechtes Buch, und es "schwul" nennt. Wenn deine Freunde in deiner Gegenwart verschämt auf ihrem Stuhl rutschen, wenn du von deiner letzten Nacht mit einer Frau erzählst. Oder einfach gar nicht mehr mit dir über Sex reden. Oder wenn du dir nicht sicher bist, ob es eine gute Idee ist, deinen Kollegen von deiner Sexualität zu erzählen, weil du eigentlich kein Interesse an einem Sonderstatus hast.

Im Thema Homosexualität stecken jede Menge Unsicherheiten. Und je stärker dein Umfeld vorher meinte, dich einordnen zu können, umso größer ist die Unsicherheit, wenn du das Bild, das sie von dir hatten, plötzlich über den Haufen wirfst. „Bist du jetzt lesbisch?“, fragte mich ein Freund und bekam einen Lachanfall, als ich ihm von meiner ersten Freundin erzählte. „Nein, ich bin Jule“, antwortete ich und fragte mich, was genau jetzt so komisch war. Sich nicht erklären zu müssen, damit Menschen ihre Schubladen beibehalten können, ist, was Heterosexuelle von Anderssexuellen unterscheidet. Wir alle lieben diese Schubladen leider – und ich fürchte, es wird ein frommer Wunsch Kristen Stewarts bleiben, dass sich das in ein paar Jahren geändert haben wird. Ich habe mir zwischenzeitlich eine Schublade ausgesucht, mit der ich derzeit gut leben kann. Ich bezeichne mich als nicht-heterosexuell.

der Freitag digital zum Vorteilspreis

6 Monate mit 25% Rabatt lesen

Geschrieben von

Juliane Löffler

Onlinerin beim Freitag. Quelle: Papier

Juliane Löffler

Der Freitag im Oster-Abo Schenken Sie mutigen Qualitätsjournalismus!

Print

Entdecken Sie unsere Osterangebote für die Printzeitung mit Wunschprämie.

Jetzt sichern

Digital

Schenken Sie einen unserer Geschenkgutscheine für ein Digital-Abo.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden