"Gutmensch" ist Unwort des Jahres 2015

Diskurs Die Jury der unabhängigen Aktion "Unwort des Jahres" setzt ein Zeichen gegen Rechtspopulismus
Engagierte Helferin (streiche: Gutmensch) bei der Arbeit
Engagierte Helferin (streiche: Gutmensch) bei der Arbeit

Foto: Christof Stache/AFP/Getty Images

Deutschland wehrt sich gegen Rechtspopulismus. So zumindest kann man die Wahl der Jury vom Unwort des Jahres verstehen, nachdem sie nun für 2015 "Gutmensch" ausgewählt haben. "Als „Gutmenschen“ wurden 2015 insbesondere auch diejenigen beschimpft, die sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagieren oder die sich gegen Angriffe auf Flüchtlingsheime stellen", heißt es in der Begründung. Zusammen mit Begriffen wie „Gutbürger“ oder „Gutmenschentum“ würden Toleranz und Hilfsbereitschaft pauschal als naiv, dumm und weltfremd diffamiert, heißt es weiter.

Indirekt zielt die Wahl also gegen jene, die gegen Migration hetzen (außer wahrscheinlich, es geht um die eigene), die ganz prinzipiell gegen Asyl, Schutz und Unterstützung von Flüchtenden sind und die statt auf differenzierte Auseinandersetzung auf populistische Parolen setzen.

Sinn macht die Wahl deshalb, weil der Begriff vor allem, aber nicht nur im rechtspopulistischen Umfeld wabert, wenn übertriebenes Engagement lächerlich gemacht werden soll – eine Strategie, die man auch von der Bezeichnung "politisch korrekt" kennt. Auch in Leitmedien werde der Begriff von Journalisten "als Pauschalkritik" genutzt, heißt es in der Begründung weiter, und auch im Alltagsgebrauch taucht das "Gutmenschentum" immer wieder auf.

Da richtet sich die Diffamierung nicht nur gegen freiwillige Helfende in der Flüchtlingspolitik, sondern auch gegen Atomgegner bis hin zu Mülltrennern. Überhaupt Menschen, die sich kritisch, emanzipiert und abweichend gegenüber der Gesellschaft äußern und verhalten. In dem Begriff verbirgt sich die Enttäuschung und die Wut der Menschen, die ihr konservatives Weltbild durch kritisches Engagement gefährdet sehen. Die Angst davor, dass nicht alles so bleibt "wie es war" und die Angst, eigene Privilegien verlieren zu können durch etwas, was man gemeinhin als demokratische Prozesse bezeichnen könnte.

Dass der "Gutmensch" aus dem Sprachgebrauch gestrichen gehört, zeigt übrigens auch eine schnelle Begriffskunde. Direkt aus der Nazi-Zeit stammt das (Un-)Wort zwar nicht, wiederholt jedoch eine "Diskursstrategie" der Nationalsozialisten. Der Versuch, den Begriff positiv zu besetzen, scheiterte in den 90er Jahren. Sein Revival erlebte er dann 2011 (in welchem er bereits Platz zwei auf der Liste des Unwort belegte) durch Figuren wie Thilo Sarrazin oder Akif Pirinçci und rückte damit weiter in die rechtspopulistische Ecke. Letzterer landet mit dem Begriff "Verschwulung" (aus seinem Buchtitel, der keine Verlinkung verdient) zusätzlich auf Platz drei der aktuellen Liste.

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Geschrieben von

Juliane Löffler

Onlinerin beim Freitag. Quelle: Papier

Juliane Löffler

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