Himmel, hilf!

Asyl Wenn die Abschiebung droht, kann das Kirchenasyl schützen. Flüchtlinge leben dort in Angst – den Gemeinden fehlt die rechtliche Grundlage
Ausgabe 07/2015

Keiner hatte es kommen sehen. Es war ein heißer Sommertag, und die Fenster standen offen im Berliner Verwaltungsgericht. Plötzlich stürzt sich ein junger Mann während der Verhandlung aus dem sechsten Stock. Der Mann heißt Cemal Altun, und an diesem 30. August 1983 sollte entschieden werden, ob er in die Türkei abgeschoben wird.

Altun war in einer kommunistischen Jugendorganisation und vor der türkischen Militärdiktatur geflohen, wo ihm die Todesstrafe für ein vermeintlich verübtes Attentat auf einen rechtsgerichteten Zollmeister drohte. Nun sollte er auf Geheiß des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten ausgeliefert werden, obwohl sein Antrag auf politisches Asyl so gut wie bewilligt war. An diesem Augusttag sollte entschieden werden, ob die Entscheidung des Bundesbeauftragten anfechtbar war. Ob das Recht auf Asyl stärker sein konnte, als die diplomatischen Interessen eines Staates. Altun hatte nicht mehr daran geglaubt. Rund 6000 Menschen begleiteten den Trauerzug, als sein Sarg von Kreuzberg zum Friedhof nach Marienfelde zu seiner Beerdigung durch die Straßen getragen wurde. Rund sechs Wochen später entstand das erste Kirchenasyl der Bundesrepublik Deutschland.

Moral versus Rechtsstaat

Jürgen Quandt ist zu der Zeit Pfarrer in Berlin-Kreuzberg. Er nimmt zwei palästinensische Familien aus dem Libanon auf, die mit Matratzen vor seiner Tür standen. In ihrer Heimat werden Menschen wie sie zwischen den Fronten des Bürgerkrieges zerrieben. Doch auch das Kirchenasyl ist riskant: Niemand weiß, ob Polizei und Behörden das akzeptieren würden. Eine Rechtsgrundlage für das Kirchenasyl fehlt bis heute.

Daher gibt es nun Streit. Bundesinnenminister Thomas de Maizière hatte bei einem Treffen mit Bischöfen gesagt, dass er das Kirchenasyl „prinzipiell und fundamental“ ablehne. Kürzlich legte er in einem Radio-Interview mit dem Deutschlandfunk nach: Der Schutz von Hunderten Menschen sei „eine systematische Verhinderung von Überstellungen“ und „ein Missbrauch des Kirchenasyls“. Nun hat sich auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geäußert – Präsident Manfred Schmidt zielte in diesselbe Richtung, als er der Zeitung Die Welt sagte, das Kirchenasyl werde "immer häufiger als Systemkritik am europäischen Dublin-System" genutzt. Auf der Deutschen Bischofskonferenz Anfang der Woche unterstrich die Katholische Kirche dagegen ihr Recht, Kirchenasyl zu gewähren. Auch wenn es mittlerweile Beteuerungen gab, den Streit um das Kirchenasyl beilegen zu wollen, ist noch völlig unklar, wie eine solche Lösung aussehen soll.

Mindestens 376 Personen (Stand: 25.02.2015) haben im vergangenen Jahr Schutz in der Kirche gefunden. Viele sind das nicht, im Vergleich zu allen Asylbewerbern in Deutschland. Doch die Zahl der Kirchenasylfälle hat sich in den vergangenen Jahren – ähnlich wie die Flüchtlingszahlen – etwa verdoppelt. Zudem stellt das Kirchenasyl die Frage, was mehr wiegt: Moral oder Rechtsstaat. Und wie politisch die christliche Idee der Nächstenliebe werden darfe. Diese Fragen werden offenbar in Teilen der Behörden und Politik als Provokation gesehen. Dass sich darunter auch Christdemokraten mischen, die ihr "C" stolz im Programm tragen, ist eine zynische Spitze.

In der Regel wird das Kirchenasyl vom Staat geduldet und beruft sich dabei auf eine jahrhundertalte Tradition: Bereits im alten Testament finden sich Vorstellungen des sogenannten Heiligtumasyls, Asyle gebunden an sakrale Gegenstände, Personen oder Tempel. Im antiken Griechenland wurde mit der Hikesie ein vergleichbares Prinzip gepflegt und mit dem Zerfall des römischen Reiches erstarkte das kirchliche Asylrecht und wurde institutionalisiert. Erst im Zuge der Aufklärung wurde es von den europäischen Staaten wieder aufgehoben, ohne dass die römisch-katholische Kirche ihrerseits das Asylrecht aufgegeben hätte. In diesem rechtsstaatlichen Zwiespalt steckt das Kirchenasyl noch heute.

Trotz einer fehlenden rechtsstaatlichen Grundlage wird das Asylrecht der Kirche vom Staat geduldet. Zwar gab es immer wieder Pfarrer oder Gemeindemitglieder, gegen die staatsanwaltschaftliche ermittelt wurde, und die für ihr Engagement mit Anklagen wegen Beihilfe zu unerlaubten Aufenthalt oder Bußgeldern konfrontiert wurden erzählt Jürgen Quandt. Der wohl prominenteste Fall der letzten Jahre ist der eines Tschetschenen in der Berliner Galiläa-Samariter-Kirche, wo die Polizei sogar in die Kirchenräume eindrang. Trotz Magengeschwür und inneren Blutungen sollte er zurück nach Polen abgeschoben werden. In der Regel jedoch gilt die mora- lische Übereinkunft, dass Kirchen vom Staat als Schutzräume anerkannt werden.

Für die Flüchtlinge ist es jedoch nicht einfach, Kirchenasyl zu erhalten. Meist wenden sich ihre Anwälte an die Gemeinde, wenn sie rechtlich nicht mehr weiterkommen und die Abschiebung droht. Der Kirchenvorstand prüft dann, ob die Voraussetzungen für ein Kirchenasyl gegeben sind. Dazu gehört etwa die Gefahr einer unmittelbaren Abschiebung, aber auch die realistische Chance auf einen Erfolg im regulären Asylverfahren. Diese Beschränkungen sind nötig, weil die Gemeinde nur begrenzte Kapazitäten hat, wie Räume, die psychische oder medizinische Versorgung, ein Netzwerk für die soziale Betreuung und Spendengelder zur Finanzierung.

Ein Flüchtling darf während des Kirchenasyls die Räume nicht verlassen, ist praktisch monate- oder jahrelang eingesperrt – oder geht das Risiko ein, von der Polizei festgenommen zu werden. Für viele ist das eine enorme Belastung. Daher ist es auch kaum möglich, als Journalistin mit einem Flüchtling im Kirchenasyl zu sprechen. Viele von ihnen haben Angst, und wer es herausgeschafft hat, will diese Zeit hinter sich lassen und ein normales Leben führen, statt sich daran zu erinnern. Nur gelegentlich werden Fälle medienwirksam in die Öffentlichkeit gestellt, wie etwa der Fall des Tschetschenen, um öffentlichen Druck aufzubauen. Die meisten Kirchenasyle jedoch verhandeln die Kirchen jedoch direkt mit den zuständigen Behörden und dem. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Ziel ist es immer, neue rechtliche Möglichkeiten auszuloten. In rund drei Viertel der Fälle findet die Kirche eine Lösung, wie der Flüchtling dauerhaft in Deutschland bleiben kann.

Sonderrecht für die Kirche?

In letzter Zeit jedoch hat sich die Lage geändert. Die meisten Menschen im Kirchenasyl fallen unter die sogenannte Dublin III-Regelung – sie sind über ein anderes europäisches Land eingereist und müssen dort ihren Asylantrag stellen. Ihr Anspruch auf Asyl wird in Deutschland nicht inhaltlich, sondern rein formal geprüft, so werden etwa Härtefälle nicht berücksichtigt. Hier kann das Kirchenasyl einen Ausweg bieten, denn nach einer sechsmonatigen Frist kann ein reguläres Asylverfahren in Deutschland stattfinden, sofern der Asylbewerber nicht flüchtig ist. Oft dient das Kirchenasyl als Überbrückung für diese Zeit. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erklärt jedoch, dass der Asylsuchende als flüchtig eingestuft wird, obwohl das Kirchenasyl regulär bei den Behörden gemeldet wird. Damit kann das Asylverfahren erst nach 18 Monaten beginnen. Das bedeutet eine größere Belastung für die Gemeinden und die Flüchtlinge, außerdem erhöht sich die Gefahr, dass ein Flüchtling festgenommen wird, falls er oder sie doch einmal die kirchlichen Räume verlässt.

Man kann das als Versuch sehen, das Kirchenasyl bürokratisch auszuhebeln. Umgekehrt wird den Kirchen vorgeworfen, ihr Asyl als politisches Druckinstrument gegen Dublin III zu verwenden. Daher resultieren auch die jüngsten Äußerungen aus dem Innenministerium und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. “Aber wenn wir in den vergangen 30 Jahren immer nur Kirchenasyl gewährt hätten, wo die Staatsmacht dies auch akzeptierte, hätte es die meisten Kirchenasyle nicht gegeben. Da sind wir als Kirche dann schon politisch“, sagt Jürgen Quandt.

In der Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche stellt sich deshalb die grundsätzliche Frage, ob Sonderrechte für die christliche Glaubensgemeinschaft akzeptabel sind. Dürfen sich die Kirchen mehr herausnehmen als beispielsweise die Gruppe der Atheisten? Stehen sie in diesem Fall über den geltenden Gesetzen?

Blickt man auf christliche Vorstellungen über Abtreibung, Verhütung oder Homosexualität, kann man nur froh sein über die säkulare Demokratie. Im Asylrecht jedoch hängt die Politik, allen voran die Christdemokraten, der Realität weit hinterher und man muss den Kirchen dankbar sein für ihre Basisarbeit. Ohne ihre Hilfe hätte es weder in Hamburg mit den Lampedusa-Flüchtlingen noch in Berlin mit der Oranienplatzbewegung mit rund 500 Flüchtlingen so lang an- dauernde Flüchtlingsproteste geben können. Die Kirchen sind ein wichtiges Sprachrohr für eines humanere Flüchtlingspolitik geworden. Sie verfügen über die institutionellen Strukturen, um nicht in kleinpolitische Splittergruppen zu zerfallen oder an der Erschöpfung für ihr freiwilliges Engagement zu scheitern wie die Unterstützerszene der Flüchtlinge. Und sie besitzen mit ihren Gemeinden die finanziellen Möglichkeiten, humanitäre Nothilfe für Gruppen und Kirchenasyl für Einzelne zu leisten.

Den Widerspruch, dass die Kirche sich nicht über den Staat erheben sollte, und es trotzdem gut sein kann, wenn sie es tut, werden wir vorerst aushalten müssen. Erst wenn wir über rechtsstaatliche Regelungen verfügen, die Flüchtlinge nicht zu unmenschlichen Lebensumständen verurteilen können, wird es Zeit sein, neu über das Kirchenasyl zu diskutieren.

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Geschrieben von

Juliane Löffler

Onlinerin beim Freitag. Quelle: Papier

Juliane Löffler

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