Im Dschungel der Politik

Calais Das französische Camp wurde erneut geräumt. Doch wenn die Politik Flüchtenden keine Perspektive bietet, werden auf Dauer alle Bulldozer dieser Welt nichts nützen
Ausgabe 43/2016
Flüchtende warten in Calais auf den Transport in Registrierungszentren
Flüchtende warten in Calais auf den Transport in Registrierungszentren

Foto: Philippe Huguen/AFP/Getty Images

Frankreich ist kein guter Ort für Flüchtende. Er wird es wohl auch nicht mehr werden. Am Montag hat die französische Regierung, wie angekündigt, mit der Räumung des Flüchtlingscamps in Calais begonnen. Auch der sogenannte Dschungel war kein sicherer Ort, doch es gab zumindest eine improvisierte Infrastruktur: fließendes Wasser, medizinische Versorgung, eine Moschee. Und für viele die Hoffnung auf eine Zukunft in Großbritannien. Nach Bränden in der Nacht wurde am Mittwoch gemeldet, es befinde sich niemand mehr im Camp. Die 10.000 Menschen sollen nun auf das ganze Land verteilt werden, nur ein Teil der 1.300 unbegleiteten Minderjährigen kann sich noch Hoffnungen machen, auf die andere Seite des Kanals zu kommen.

Man sollte jedoch nicht glauben, dass die französische Regierung auf eine langfristige Lösung aus ist. Die Räumung ist vielmehr eine Reaktion auf die anstehenden Parlamentswahlen im November. Flüchtlingspolitik stand nie auf der Prioritätenliste von Präsident François Hollande. Und statt ein linkes Gegenprogramm zu entwerfen, gab er rechten Parolen indirekt nach – indem er auf die Terroranschläge in Paris und Nizza mit Notstandsgesetzen und Ausnahmezustand statt Reformen für eine bessere Integration reagierte. Ohnehin gibt es in Frankreich keine progressive Flüchtlingspolitik. Die Anerkennungsquoten bei Asylverfahren sind niedrig, die Wahlergebnisse des Front National hoch. Ein Großteil der Menschen wird also wieder abgeschoben, es herrscht ein gravierender Mangel an Unterbringungsmöglichkeiten. In Paris schlafen Flüchtende auf der Straße. Dass rund 80.000 Asylanträge wie im Jahr 2015 nicht besser bewältigt wurden, ist auch Zeichen des politischen Unwillens, an der Lage etwas zu ändern.

Es zeigt sich in Frankreich, ähnlich wie in der restlichen EU, eine fatale Tendenz: Niemand will Flüchtende aufnehmen. Großbritannien baut an der Grenze zum Eurotunnel eine Betonmauer, vier Meter hoch, einen Kilometer lang. EU-Ratspräsident Donald Tusk verkündete kürzlich, dass der erst vor einem Jahr angedachte europaweite Flüchtlingsverteilungsschlüssel für ihn vom Tisch sei. Damit rückt eine gesamteuropäische Lösung noch weiter in die Ferne. Ungarn hat seinen Zaun bereits gebaut, Slowenien plant ihn noch, die deutsche Bundeskanzlerin schmiedet nach dem EU-Türkei-Deal weitere Abkommen mit Ägypten, dem Sudan oder Eritrea. Auch in Schweden und Frankreich brennen Flüchtlingsunterkünfte. In der Konsequenz entstehen Camps wie in Calais, wie in Idomeni oder Piräus. Es sind Grenz- und Übergangsorte, von denen es weder vor noch zurück geht. Die Leidtragenden sind stets die Flüchtlinge.

Dass sie sich ein bestimmtes Ziel für ihre Flucht auswählen, hat oft einen Grund. Sie wollen etwa zu Angehörigen kommen, die ihnen wirtschaftlichen und sozialen Anschluss bieten können. Oder sie haben eine kulturelle oder sprachliche Bindung zu einem Land. Der Sudan und Eritrea etwa, aus denen der Großteil der Asylsuchenden in Calais stammt, haben eine britische Kolonialgeschichte. Auch daran sollte gedacht werden, wenn ihnen nun die Einreise versagt wird. In der Konsequenz werden viele untertauchen.

Das Camp von Calais existiert schon seit 14 Jahren und wurde schon oft geräumt, allein in diesem Jahr bereits zwei Mal. Alle Bulldozer dieser Welt werden nichts ausrichten, wenn Frankreich und die EU keinen Weg finden, Flüchtenden eine Perspektive anzubieten. Dann werden die Menschen schon bald wieder im Dschungel von Calais auftauchen.

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Geschrieben von

Juliane Löffler

Onlinerin beim Freitag. Quelle: Papier

Juliane Löffler

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