In höchste Höhen und zurück

Tanz Stöhnen, Springen, Sprechen. Das Foreign Affairs Festival widmet dem Choreographen William Forsythe einen Schwerpunkt und zeigt die Vielfalt seines Werkes
Ausgabe 29/2013
Unruhe im Karton: Einziges Requisit der Choreografie „Sider“ sind mannshohe Pappen
Unruhe im Karton: Einziges Requisit der Choreografie „Sider“ sind mannshohe Pappen

Foto: Dominik Mentzos

Das Alter und der damit einhergehende Verfall des eigenen Körpers sind für einen Tänzer früher als für den Durchschnittsbürger eine existenzielle Bedrohung. Auch William Forsythe, der wohl bekannteste Choreograf des zeitgenössischen Tanzes, inzwischen 63 Jahre alt, kommt daran nicht vorbei. „Ein Blick auf mein Leben ohne mich“, so hat er sein Stück I don´t believe in outer space von 2011 beschrieben, das nun auch im Rahmen des Foreign Affairs Festivals in Berlin zu sehen war.

Zusammen mit Sider, Forsythes anderem großen Company-Stück der letzten Jahre, und drei weiteren Arbeiten huldigt das Festival dem enorm vielfältigen Werk des Künstlers. Ein Werk, das stets mit Wendungen überraschte und beständig Erfolgshits hervorbrachte. Wenn Forsythe gezeigt wird, sind die Häuser voll. Als er 2004 Frankfurt am Main nach zwanzig Jahren als Ballettdirektor verließ, provozierte er damit einen kulturpolitischen Aufschrei.

Die zwei kleineren Installationen Suspense und The Defenders Part 3 sind choreografische Objekte, welche die intellektuelle Arbeit des Künstlers zeigen, der sich auch in akademischen Kontexten immer wieder mit Tanztheorie beschäftigt. In der Videoarbeit Suspense setzt sich Forsythe in einer Art Studie mithilfe eines einfachen schwarzen Seils mit Bewegung und Bewegungslosigkeit auseinander, kämpft, stöhnt mit zusammengeknoteten Körperteilen.

Eine ähnlich unheilvolle Stimmung erzeugt das Tanzstück Sider. Unter flackernden Neonröhren und zu bedrohlich leisen Bass- und Pfeiftönen (Musik: Thom Willems) bewegen sich die 13 Tänzer wie entfesselte Gliederpuppen. Tatsächlich folgen sie dem Sprachrhythmus eines elisabethanischen Theaterstückes, das sie über einen Ohrstöpsel hören. Zu der Auseinandersetzung mit der eigenen Existenz gehört für Forsythe offensichtlich der Rückblick, was sich in solchen historischen Referenzen zeigt.

Gleichwohl zeichnet das Festival kein melancholisches Bild von der Arbeit des Künstlers. Die Tänzer in Sider etwa tragen neben clownesk anmutenden barocken Kragen Pop-Camouflage – bunte, bedruckte Kleidung und farbige Motorradmasken (Kostüm: Dorothee Merg).

Einziges Requisit sind mannshohe Pappen, mit denen die Tänzer in beeindruckenden Bildern immer neue Räume erschaffen. Wie eine römische Legion bilden sie eine geschlossene Pappspitze Richtung Publikum, ziehen sich trippelnd zurück, bevor das Gebilde in alle Richtungen zerfällt. Bewusst verweigert Forsythe das Erkennen von Mustern und Strukturen, wodurch die Choreografie in hohem Maß über ihre Form funktioniert. Das Unvorhergesehene ist hier so programmatisch, wie es für William Forsythes gesamte künstlerische Entwicklung typisch ist. „In dissaray“, in Unordnung, steht dann auch einleitend auf einer der Pappen.

Lebensbejahend und unprätentiös präsentiert sich auch das White Bouncy Castle, eine Hüpfburg und interaktive Installation. Sie erweitert die Kräfte des Körpers. Schneller, höher und kindlich euphorisiert fliegen im 20-Minuten-Takt abgezählte Menschenmengen in dem schneeweißen Schloss herum. Ein bisschen kann man erahnen, wie Superman sich fühlt, eine Gruppe junger Leute ist mit improvisierten Umhängen über dem Rücken erschienen und tobt sich neben Familien, Tänzern und Senioren aus. Wie Forsythe selbst scheinen sie auf längst nicht aufgebrauchte Energiereserven zurückzugreifen.

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Geschrieben von

Juliane Löffler

Onlinerin beim Freitag. Quelle: Papier

Juliane Löffler

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