Kann man einer rechtsradikalen Frau ansehen, dass sie rechtsradikal ist? Seit klar ist, dass Beate Zschäpe eine maßgebliche Täterrolle in der rechten Terrorzelle NSU spielte, hat sich der Blick auf Frauen in der rechten Szene verändert. Dass Rechtsradikalismus und Weiblichkeit sich nicht ausschließen, sondern sie vielmehr in der rechten Szene eine wichtige und gerade deshalb gefährliche Funktion einnehmen – fast macht es den Anschein, als wäre es uns wie Schuppen von den Augen gefallen. Jeder fünfte Neonazi ist heute weiblich, jede zehnte rechtsradikale Straftat wird von einer Frau verübt.
Mit der Frage, warum die Rolle rechtsradikale Frauen in der Öffentlichkeit lange Zeit nicht thematisiert worden ist, stellt sich auch die Frage nach ihrer Sichtbarkeit. Wurden rechtsradikale Frauen durch ein biologistisches Rollenverständnis vor der Öffentlichkeit geschützt? Vielleicht sind es die Klischees über Rechtsradikale, welche so wenig zusammengehen mit Frauen, welche Mütter oder Partnerinnen sind, die handgefertigte Kleidung tragen und sich in Kitas engagieren. Die sanft wirken und familienfreundlich. Und eben nicht wie laut pöbelnde Aggressoren, die mit Springerstiefeln und ausgetrecktem Arm durch die Innenstädte ziehen. Sie gelten als der bürgerliche Anstrich für Rechtsradikalismus, stehen für die unauffällige Unterwanderung der Gesellschaft mit rechten Ideologien.
Deshalb hat der Tanzchoreografen Christoph Winkler versucht, das Thema über den weiblichen Körper zu analysieren. Was passiert, wenn sich der Körper radikalisiert? Wie wird Rassismus in Bewegungen sichtbar? Er schafft damit einen so überraschenden wie eindringlichen Zugang zu einem Thema, bei dem die Ratio allein nicht mehr zum Verständnis ausreicht. Was Beate Zschäpes Motivation war zu morden – in letzter Konsequenz ist das nicht zu verstehen. Wo vor allem sprachliche Erklärungsmuster für Rechtsradikalismus an die Grenzen von so etwas wie dem gesunden Menschenverstand stoßen, hakt Winkler ein.
Er hat dafür mit vier Tänzerinnen ein eigenes zeitgenössisches Bewegungsrepertoire geschaffen. Während zu Beginn des Stücks Originaltöne einer Nazidemonstration zu hören sind, besetzt eine Tänzerin (Katarzyna Sitarz) den Raum. Mit festen Schritten läuft sie den Raum ab, blickt herausfordernd in das Publikum, verharrt immer wieder in kämpferischen Posen, die eine Reminiszenz an antike Statuen zu sein scheinen. Langsam spannt sie den Bizeps, während sie sprungbereit auf dem Boden lauert. „Ihr könnt mir gar nichts“ scheint sie zu sagen. Und doch wird in ihren präzisen Bewegungen eine Unsicherheit des Körpers sichtbar. Immer wieder formt sie einen Buckel, unter dem sie sich hinwegduckt, bewegt sich rastlos, schleudert ihre deutliche Aggressivität in impulsiven Gesten mit einer unheimlichen Energie dem Zuschauer entgegen und bittet gleichzeitig mit ausgebreiteten Armen und Händen darum, angenommen zu werden.
Dieses Prinzip zwischen fundamentaler Unsicherheit, der Sehnsucht nach Halt und einem aggressiven, fast schmerzhaften Gebahren, ist an allen vier Tänzerinnen erkennbar. Es zeigt sich in ruckartigen, schnellen Bewegungen ähnlich der Locking-Technik, welche heute meist dem Hip-Hop zugeordnet wird. Der Effekt dieser Körpersprache ist zweierlei: Der Ausdruck der Bewegungen wirkt zeitgenössisch. Gleichzeitig kommen sie gänzlich ohne die geläufigen Klischees aus, welche man mit Rechtsradikalismus assoziieren mag: keine erhobenen Fäuste, keine in die Luft gereckten Arme, kein Marschschritt. Gleichzeitig verweisen die immer wiederkehrenden Bewegungsmuster darauf, dass Rechtsradikalismus eben nicht im luftleeren Raum entsteht, sondern ein Prozess ist, eine Spur mit einem Anfang (und im besten Fall mit einem Ende).
Winkler zeigt mit seinem Stück keine Bestandsaufnahme sondern eine Entwicklung. Tragen zu Beginn die vier Tänzerinnen noch Alltagskleidung, ziehen sie in einer späteren Szene schwarze Kapuzenpullover und weiße Masken an und positionieren sich bedrohlich im Raum. Im Hintergrund läuft ein Video des Bauzener Fackelmarsches von rund 400 Neonazis. Die Frauen sind fester Teil dieses Szenarios geworden.
Begehrensobjekt und Kämpferin
Und doch kehrt Winkler mit seiner Choreografie immer wieder zu den Widersprüchen zurück. Wie zwei der Tänzerinnen mit kurzen Röcken etwa kokettierend bis aufreizend über die Bühne tanzen. Mit schlenkernden Füßen, gespreizten Beinen, so dass sie ihre Unterwäsche vorzeigen, ihre Haare langsam aus ihren Kapuzenpullovern hervorholen und dazwischen immer wieder erstarren, schlagen, kämpfen. Darin zeigt sich die ganze Zerissenheit zwischen dem Bedürfnis nach Nähe und Abwehr, darin, Begehrensobjekt zu sein und Kämpferin.
In der letzten Szene wird das besonders virulent. In einem erschöpfenden Kampf scheint eine der Tänzerinnern (Claire Vivianne Sobottke) ein Kind zu gebären. Sie hyperventiliert, bis nur noch kehlige Laute den Raum erfüllen, schreit, krampft – eine schwer zu ertragende Szene, die zwischen orgasmischer Extase und diabolischem Aufbäumen oszilliert.
Man ist hin und hergerissen zwischen Abscheu und Mitleid. Einige Zuschauer verlassen den Saal. Eine Antwort darauf, wie dieses ambivalente Gefühl helfen kann, in dem Kampf gegen rechts (und ob so etwas wie Mitleid überhaupt zulässig ist), liefert Winkler mit seinem Stück nicht. Was er aber zeigt, ist dass der Entwicklung zum Rechtsradikalismus auch immer Möglichkeitsräume inhärent sind. Dass eine Frau, die ein Kind bekommt vielleicht mehr Wünsche haben kann, als rechte Ideologien weiterzutragen. Sondern die Liebe zu einem anderen Wesen eine kleine Chance sein könnte, von dem Hass des Rechtsradikalismus Abstand zu gewinnen.
RechtsRadikal wurde am 17. und 18. Januar 2014 als Wiederaufnahme in den Sophiensäle Berlin gezeigt (Premiere 2. Mai 2013), weitere Vorstellungen sind zur Zeit nicht bekannt
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