Mehr Zwischentöne

Auszeichnung Die Publizistin Carolin Emcke wird mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt - eine gute Entscheidung
Ausgabe 26/2016

Lauten Stimmen hört man in der Regel eher zu als den leisen. Das war beim Brexit so, das ist bei der AfD und oft auch im Journalismus der Fall. Gerade jetzt, da Ressentiments und Hass bisweilen mehrheitsfähig geworden sind, ist es ein politisches Statement, jene zu stärken, die dagegen ankämpfen. Dass Carolin Emcke dieses Jahr nun den mit 25.000 Euro dotierten Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhält, ist deshalb ein gutes Zeichen.

Emcke leiste mit ihren Büchern, Artikeln und Reden einen wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Dialog und zum Frieden, heißt es in der Begründung der Jury. Und: „Mit analytischer Empathie appelliert sie an das Vermögen aller Beteiligten, zu Verständigung und Austausch zurückzufinden.“ Das Werk der Publizistin ist umfassend: Als Kriegsreporterin arbeitete sie in Afghanistan, Pakistan und dem Irak; sie veröffentlichte zahlreiche Bücher, Essays und Aufsätze, leitet an der Berliner Schaubühne eine monatliche Diskussionsveranstaltung, lehrt, doziert, streitet. Und immer wieder appelliert die studierte Philosophin an die Zwischentöne. Daran, genau hinzuschauen und zu differenzieren. Die einfachen Parolen nicht gelten zu lassen, sei es im Gaza-Krieg oder in Orlando, ist der rote Faden, der durch ihr Werk führt.

Gleichzeitig findet Carolin Emcke einen Sound, der von einer Dringlichkeit ist, die berührend wirkt. In ihrer wöchentlichen Kolumne in der Süddeutschen Zeitung klingt das etwa so: „Es fühlt sich an, als wäre einem die Haut vom Leib gezogen worden. Mit einem einzigen Riss. Von den Fußsohlen bis zum Schädel. So als gäbe es keine Schutzschicht mehr. Als läge alles bloß und wund. Ausgeliefert dem, was da noch kommen möge. Dieser Schmerz über die eigene Schutzlosigkeit ist vielleicht das Bitterste neben der Trauer, die seit dem Massaker von Orlando eingezogen ist und die nicht mehr verschwinden will.“

Emcke spannt den Bogen von konkreten Erfahrungen zu einer abstrakten und intellektuellen Ebene, und das macht ihre Texte beim toleranten Mittelstand so beliebt. Jenen, denen Spiegel-Online-Kolumnist Georg Diez sediertes Schweigen attestierte. Emcke schweigt nicht, sondern fungiert als der moralische Zeigefinger des Bildungsbürgertums, fest im Sattel eines Zitatefundus von Hegel über Freud bis Rilke, sodass eine häufige Reaktion auf ihre Texte ehrfürchtiges Nicken bleibt. So wird es wohl auch wieder mit ihrem neuen Buch Gegen den Hass sein, das im Oktober im Fischer-Verlag erscheint.

Anschließen muss man sich den Kolleginnen und Kollegen, die sie des „Betroffenheitsjournalismus“ bezichtigen, oder ihre Wahl für den Friedenspreis „langweilig“ finden, deshalb nicht. Es ist gerade die falsche Zeit, Moral nervig zu finden, zumal Populismus (auch ein linker) nicht das Mittel gegen rechte Wahlerfolge sein kann. Aber auch, weil im Werk von Emcke neben Moral viel Charme, Witz und viel Mut zu finden sind. Wie wir begehren, ihr Sachbuch über das homosexuelle Coming of Age von 2012, ist ein Beispiel dafür.

Darin scheut Emcke sich nicht, ihr eigenes Begehren präzise zu thematisieren und dabei auch Namen wie Brad Pitt fallen zu lassen. Ihre filmische Intervention Tolerant? Sind wir selber, zu finden auf Youtube, ist ein anderes Beispiel. Hier werden die Klischees homo- und heterosexueller Zuschreibungen einfach, aber wirksam umgedreht. Den Blick weiterzudrehen – das kann auch innerhalb der eigenen Rezeptionsblase niemals schaden.

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Geschrieben von

Juliane Löffler

Onlinerin beim Freitag. Quelle: Papier

Juliane Löffler

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