Es sind nur noch wenige hundert Meter bis zu den Bussen, die sie nach Serbien bringen werden, doch der staubige Weg ist holprig, die Dämmerung fortgeschritten und die Frau erschöpft. Die 75-jährige aus Damaskus stöhnt bei jedem Schritt leise auf, das Gesicht ist schweißüberströmt. Ihre Tochter hat einen schweren Rucksack übernommen und kann sie nicht länger stützen, doch die Zeit drängt, der Bus steht abfahrbereit und sie sind die letzten aus ihrer rund 40-köpfigen Bezugsgruppe, die eilig vorgelaufen ist.
Tausende Flüchtende kommen so derzeit an der sogenannten Westbalkanroute im mazedonischen Gevgelija an, einem Ort im Südosten des Landes hinter der Grenze zu Griechenland. In den vergangenen Tagen kam es hier zu massiven Ausschreitungen, als die mazedonische Polizei versuchte, Flüchtlinge mit Blendgranaten, Tränengas und Nato-Draht am Grenzübertritt zu hindern. Am Donnerstag hatte das Land den Ausnahmezustand verhängt, der in der Grenzregion bis heute nicht beendet wurde.
Am Samstag noch waren nach Angaben eines mazedonischen Grenzbeamten, der nicht namentlich genannt werden will, rund 4.000 Menschen über die Grenze gekommen und hatten versucht, den Zaun zu umgehen, indem sie über die umliegenden Felder in Richtung des Bahnhofs in Gevgelija rannten, dessen Bilder in den letzten Tagen um die Welt ging. Seit gestern nun ist die Lage wieder ruhiger, weil Mazedonien die Grenze wieder geöffnet hat und nun versucht, in Zusammenarbeit mit den griechischen Polizeibeamten die Situation zu deeskalieren.
Um neun Uhr morgens öffnete Griechenland am Sonntag nach Angaben einer griechischen Polizistin die Grenze, um die Menschen, die sich über Nacht dort gesammelt hatten, durchzulassen. Um 12.30 Uhr folgte dann ein zweites Mal ein Durchlass. Von dort laufen die Flüchtenden entlang der Zuggleise bis an den Rand Gevgelijas, wo Beamte, mazedonisches Militär, UN-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter, Helferinnen und Helfer des Roten Kreuzes und anderer lokaler NGOs auf sie warten und sie systematisch in Zwanziger- bis Fünfziger-Gruppen zu einer ersten Auffangstation lotsen. Dort bekommen sie Wasser und kleine Lebensmittelpakete, warten zu Hunderten, bis sie aufgerufen werden, um durch die Büsche bis zum Bahnhof weiterzulaufen und in die dort wartenden Busse steigen. Sie bekommen hier außerdem neue abgestempelte Papiere, was sie berechtigt, innerhalb von 72 Stunden Mazedonien zu durchqueren.
Systematische Weiterleitung
Nachdem die mazedonische Regierung offenbar eingesehen hat, dass der Versuch, die Flüchtlinge abzuhalten, nur zur völligen Eskalation der Lage führt, ist nun die Strategie, die Menschen vor allem schnell durch das Land nach Serbien weiterzulassen. Zum Kurswechsel dürfte auch die Öffentlichkeit beigetragen haben. Ein EU-Beitrittskandidat kann sich keine Bilder von verletzten Kindern in Nato-Draht leisten.
Das Ziel der meisten Menschen hier, der Großteil aus Syrien, Afghanistan, Irak, Iran oder Pakistan, ist ohnehin Deutschland. Die Regierung hat dafür nun etliche Busse und Sonderzüge bereitgestellt, welche die Flüchtlinge vor die serbische Grenze bringen. Elf Euro kostet ein Ticket pro Person – mehr, als es an einem regulären Ticketschalter kosten würde, doch für Verhandlungen ist keine Zeit. Die bevorstehende Grenzschließung nach Ungarn sitzt ihnen im Nacken, die Erschöpfung und der Zeitdruck der serbischen Regierung. Sie wollen vor allem schnell weiter an die serbische Grenze. Ab dort ist ihr Schicksal ungewiss.
Die Szenen, die sich unterdes an der Sammelstelle am Rande Gevgelijas abspielen, sind so berührend wie erschreckend. Erlöst oder erschöpft kommen die Flüchtenden nach dem kilomterlangen Fußmarsch aus Griechenland an. Eine Frau nutzt die kurze Wartezeit, um ihr Neubegorenes unter einem Strommast zu stillen, ein querschnittsgelähmter Mann wird getragen, drei Männer hieven einen anderen in einem Rollstuhl über die Gleise, Kleinkinder und Säuglinge, soweit das Auge reicht. Am Abend werden es mehr, weil die Familien langsamer voran kommen als die allein reisenden jungen Männer, doch in großen Gruppen reisen sie alle, oftmals seit Izmir.
Ein paar Kinder, die kaum noch Kraft haben zu laufen, stolpern mit einigen Bananen der ehrenamtlichen Hilfsarbeiterinnen und Hilfsarbeiter vor Ort den Weg entlang, ihre Eltern nehmen die Wasserflaschen entgegen, andere sind trotz ihrer Erschöpfung glücklich, eine weitere Etappe geschafft zu haben und halten lächelnd Peace-Zeichen in die Luft.
"Diese Gruppe sagt, sie seien die letzten", ruft Alessandra Morelli, eine italienische Mitarbeiterin der UN-Flüchtlingshilfe. Noch einmal sind innerhalb von nur einer Stunde 350 Menschen angekommen. Laut den Angaben des mazedonischen Polizisten könnten es heute rund 1.000 Menschen gewesen sein. Doch es ist gut möglich, dass die Anzahl wesentlich höher ist. Alternative Schätzungen gehen von 5.000 Menschen in den letzten 36 Stunden aus.
Morelli ist seit 17 Stunden im Einsatz, auch sie ist erschöpft und vor allem fassungslos. 15 Jahre hat sie in Somalia gearbeitet, war selbst Opfer eine Anschlags, doch heute kann sie die Situation kaum begreifen. "What is happening to our world?", sagt sie in einem kurzen Moment, in dem sie den Blick über die Wartenden schweifen lässt.
"Finish!", ruft ein Polizist, die griechische Kollegin neben ihm greift zu ihrem Funktelefon. "For Today", sagt er dann.
Kommentare 7
Auch im DF wird abgesehen von einem Lagebericht nicht die Frage gestellt, aus welchen Gründen die Flüchtlinge aus jenen Ländern, in denen die beschissene US-Politik, der die EU-Regierungen stets folgen, erst zu der katastrophalen Lage geführt hat, in denen sich die nun flüchtenden Menschen befinden. Es wird auch nicht die Frage gestellt, welchen Sinn & Zweck der Transfer der Flüchtlinge per Balkan-Route über die Nicht-EU-Länder Mazedonien & Serbien haben soll. Die in Griechenland angekommenen Menschen aus den Krisen &Kriegsgebieten sind bereits dort angekpmmen wo sie hinwollten _ in dier EU _ wo sie ihren Asylantrag stellen können.
Natürlich ist Griechenland mit der Vielzahl an Flüchtlingen überfordert so wie es von den ´EU-Partnern´ bzgl. der Koordination, Verteilung & nicht zuletzt Finanzierung im Stich gelassen wurde & immer noch wird. Doch der Transfer der Flüchtlinge raus aus der EU in die tatsächlich armen Länder wie Mazedonien & Serbien so wie die parallele NATO_Zsun-Grenzbefestigung seitens der ungarischen Grenze zu Serbien ist eine bodenlose Unverschämtheit. Es stinkt nach einem Kalkül, mit dem sich die Europäischen Regierungen zum Einen abschotten möchten, in dem sie die in die EU strebenden Länder unter Druck setzen, diese Flüchtlinge aufzunehmen. Sollte dieses Kalkül nicht aufgehen, gibt es wieder einen Grund, die Aufnahmeverhandlungen zu vertagen…
Eigentlich habe ich Urlaub!!! aber sieht niemand außer mir dieses abgefuckte Spiel was mit den Flüchtlingen einerseits & den Ländern wie Mazedonien & Serbien, die irgendwie nicht in der EU willkommen sind andrerseits gespielt wird.
Für Alle zum Nachdenken: Die US-konformen Regierungen in Albanien & Montenegro aowie die EU-Länder Bulgarien, & Kroatien sind auf sonderbarer Weise nicht von der massiven Flüchtlingsbewegung betroffen…
Wie ist das zu erklären? Es dürfte recherchiert werden, vor allem von DF!!!!!
"Es stinkt nach einem Kalkül, mit dem sich die Europäischen Regierungen zum Einen abschotten möchten, in dem sie die in die EU strebenden Länder unter Druck setzen, diese Flüchtlinge aufzunehmen"
An dem Verdacht eines Kalküls ist sicher etwas dran. Sicher wären die Länder im Norden froh, wenn im Süden Europas mehr Flüchtlinge bleiben würden. So sind Griechenland und der Balkan, Italien usw. für die Flüchtlinge ja vor allem Transitländer; bleiben wollen dort offenbar die wenigsten. Und diese Länder wollen die Flüchtlinge ja auch nur möglichst schnell durchwinken. Selbst das Abschieben wäre ihnen zu aufwändig. Ich sehe aber nicht, dass die EU die südlichen Nicht-EU-Länder unter Druck setze, die Flüchtlinge aufzunehmen. Aber vielleicht wissen Sie da mehr als ich.
"Die US-konformen Regierungen in Albanien & Montenegro aowie die EU-Länder Bulgarien, & Kroatien sind auf sonderbarer Weise nicht von der massiven Flüchtlingsbewegung betroffen…"
Ein Blick auf die Landkarte kann allerdings ein bisschen Luft aus einer Verschwörungstheorie nehmen, die Sie andeuten.
Sehr gut geschriebener Artikel. Finde, dass die Flüchtlingswelle nach Europa auch und wohl vor allem so berichtet werden muss.
Hier bekommen die Flüchtlinge ein Gesicht und die Not und das Erschrecken der Flucht wird erkennbar.
Es geht um Menschen und ihre Leidensgeschichten.
Da muss man hinsehen und wenn man / frau kann helfen.
Alle verdienen sie Achtung und Respekt und natürlich Hilfe.
Ich sehe aber nicht, dass die EU die südlichen Nicht-EU-Länder unter Druck setze, die Flüchtlinge aufzunehmen.
Sie sind echt witzig...natürlich sehen Sie das nicht, weil nicht in diese Richtung in den deutschen ÖR-Medien berichtet wird & worüber nicht berichtet wird, kann ja nix dran sein _ oder?
Wie interpretieren Sie die Abschottung an der ungarisch-serbischen Grenze inkl. der mangelnden ´EU-Empörung´?
Wie interpretieren Sie die Ankündigung vom serbischen Premier Vucic vor einigen Monaten, dass in diesem Jahr ein enormer Druck seitens der EU auf Serbien zukommen wird? Können Sie sicherlich nicht, da in den deutschen Medien diese Infos nicht zu lesen waren.
Aber vielleicht wissen Sie da mehr als ich.
Nein, ich weiß nicht mehr als Sie _ kombiniere nur mein Knowhow der politischn Berichterstattung offenaichtlich anders. Was ich wei0, ist, dass die aktuelle Belgrader Regierung alles tut, um der EU zu gefallen & die Beitrittsverhandlungen zu beginnen. Sie schert sich einen Dreck darum, welche negativen Konsequenzen die vielen Kompromisse für die Bevölkerung bedeuten.
Ich weiß nicht welche Landkarte Sie vor Augen haben, doch der Weg von Serbien nach Österreich oder Deutschland ist über Kroatien in keinster Weise länger eher kürzer...
Nun will man offensichtlich die ehem. NATO-Mitarbeiterin & kürzlich installierte Präsidentin Kroatien _ Kolinda Grabar-Kitarović nicht in die Breouillie bringen....
Die auch von ihr wiedererwachten faschischten Feuchtträume in Kroatien dürften unschöne Szenen in der Aufnahmekultur von Flüchtlingen bieten _ inkl. brennender Unterkünfte _ Deutschland lässt wie immer grüßen....
"(...) der Weg von Serbien nach Österreich oder Deutschland ist über Kroatien in keinster Weise länger eher kürzer."
Für Flüchtlinge spielt es v.a. eine Rolle, wieviele Grenzen sie übertreten müssen. Koatien allein erzeugt zwei Grenzübergänge mehr; dann erst käme Ungarn oder sogar der Weg über Slowenien nach Österreich. Jetzt rechnen Sie mal die Grenzübertritte nach! Die Strecke, die die Flüchtlinge derzeit über den Balkan nehmen, ist die direkteste (GR - MAC - SRB - HU). Ungarns Grenzzaun wird allerdings einiges ändern ...
"Nein, ich weiß nicht mehr als Sie _ kombiniere nur mein Knowhow der politischn Berichterstattung offenaichtlich anders."
Sie "kombinieren", wovon ich "natürlich" nichts wissen kann, weil ich ja allein und einzig aus deutschen ÖR informiert, weshalb ich auf die Höhe Ihrer politischen Kombinationsfähigkeit erst gar nicht kommen kann. Wenn Vučić etwas sagt, dann können Sie darin die großen Linien von Belgrad über Brüssel bis nach Washington lesen.
Wissen Sie, wenn Sie sich ernsthaft unterhalten wollen, dann müssen Sie konkret etwas anbieten. Erstens, was genau Sie sagen wollen und das zweitens so, dass auch jemand anderes außer Ihnen selbst mitreden und Anknüpfungspunkte finden könnte. Wenn Sie sagen, Sie hätten die Glaskugel, in die ich freilich niemals reinschauen könnte, dann hilft das nicht gerade viel weiter.