Neue Ausmaße im Schamgeschäft

London Das Werbegeschäft mit der "Bikinifigur" ist nicht totzukriegen. Doch wenn sich Aktivistinnen darüber aufregen, müssen sie sich auch noch "Fit-Shaming" vorwerfen lassen
Ausgabe 19/2015
„Are you beach body ready?“ - Yes.
„Are you beach body ready?“ - Yes.

Foto: Peter Macdiarmid/Getty Images

„Nur dumme Antworten gibt es, keine dummen Fragen“, wurde uns in der Schule beigebracht. Falsch. Ein Gegenbeweis: „Are you beach body ready?“ – Hast du schon deine Bikinifigur? Stopp, nein, geht gar nicht, liebe Werbeleute, auch wenn ihr in London sitzt, unbedingt komische Proteinshakes verkaufen müsst und dafür die Stadt mit gelben Plakaten und einer Überkörperfrau im Bikini zupflastert wie in den vergangenen Wochen. Eine Überkörperfrau ist eine Kunstfigur, an der sich jede Frau messen muss, ob sie will oder nicht. Weil die Überkörperfrau omnipräsent ist. In Frauenzeitschriften, im Kino, auf Werbeplakaten.

Ich kann zwischen April und Oktober („Bikinisaison“) keinen verdammten Tag zu meiner Arbeit fahren, ohne mir auf zwei mal zwei Metern anzuschauen, wie mein Körper idealerweise auszusehen hat. Enthaart, faltenfrei, fettfrei, schlanke Schenkel, Knackpo, flacher Bauch. Niemand entkommt der Überkörperfrau, auch wenn wir alle wissen, dass niemand so aussieht, egal ob gerade Badesaison ist oder nicht. Das nervt, und frau will es nicht mehr sehen. Das Ich ist sowieso eine geplagte Vergleichsmaschine, und ja, unerreichbare Schönheitsideale befeuern die Wirtschaft. Aber nein, wir würden unser Geld lieber anders investieren als in Schönheitsprodukte, die einem vorgaukeln, das Unerreichbare doch erreichen zu können, wenn man nur die richtigen Kaufentscheidungen trifft.

Das Problem ist: Natürlich wissen wir alle, dass diese Werbung Bullshit ist. Und trotzdem plagt uns am Badesee im Sommer das schlechte Gewissen, weil wir uns viel mehr hätten auf sie Sommersaison vorbereiten können, körperlich. Ein bisschen flacherer Bauch wäre ja schon schön, ach nächsten Sommer mache ich echt mal ein bisschen mehr Sport bevor es warm wird. Man nenne mir eine Frau, der nicht irgendwann mal solche Gedanken durch den Kopf spuken. Es kostet viel Mühe, sich davon freizumachen.

Zu Recht haben sich also innerhalb kürzester Zeit viele Frauen über die Plakate des Herstellers Protein World öffentlich aufgeregt und auf Twitter, Facebook und mit dem guten alten Edding ihren Unmut kundgetan. „Geht euch einen Scheißdreck an“, stand als Antwort auf einer der Anzeigen in der U-Bahn. Immerhin: Ein gewisses Maß an Konsens gibt es. Schnell erreichte eine Petition gegen die Kampagne 60.000 Unterschriften, dann schaltete sich die Werbekontrollbehörde ASA ein – nun müssen die Plakate wieder runter.

Als Reaktion versucht die betroffene Firma einen Begriff zu okkupieren, der seit einiger Zeit in verschiedenen Verwendungen durch die Körperdebatten wabert: Fit-Shaming. Damit will Protein World all jene auskontern, die ihren Plakaten Fat-Shaming vorwerfen, also die Diskriminierung dicker Menschen (vor allem: dicker Frauen). Durchs Netz ging der Begriff schon 2013, als die Bloggerin Maria Kang mit ihren drei Kindern zusammen ihren Überkörper zeigte und fragte: "What´s your excuse?". Überkörper mit Überkörpergewissen sozusagen. Ein Shitstorm brach gegen sie los, die Bloggerin warf ihren Kritikerinnen Fit-Shaming vor, sie müsse sich ja wohl nicht dafür schämen einen Überkörper zu haben. Ähnliches passierte Anfang des Jahres mit der britischen Bloggerin Abby Pell. Protein World übernimmt fröhlich die Rhetorik.

Seht her, soll Fit-Shaming in der Interpretation des Herstellers sagen, vor lauter politisch korrekten Debatten darf man gar nicht mehr auf seinen Körper achten und sich mit Sport und den richtigen Nahrungsergänzungsmittelchen in Form bringen. Man könnte fast darüber nachdenken, wenn die Interessen dahinter nicht so offensichtlich wären. Der Firma geht es ja nicht wirklich um den Kampf gegen eine überhandnehmende Kultur der Beschämung, sondern um den Verkauf von Proteinshakes.

Da hilft nur cool bleiben. Am Ende gibt es sowieso nur eine vernünftige Antwort auf die Frage, wie man zu einem Beachbody kommt: „1. Have a body. 2. Go to the beach.

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Geschrieben von

Juliane Löffler

Onlinerin beim Freitag. Quelle: Papier

Juliane Löffler

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