Wirkliche Feierlaune wollte unter den feministischen Aktivistinnen nicht aufkommen, nachdem der Bundestag der Verschärfung des Sexualstrafrechts zugestimmt hatte. Auch wenn Expertinnen vermuten, dass die Verschärfung nicht allzu häufig zur Anwendung kommen könnte, ist die gesellschaftliche Signalwirkung zwar unbestritten. Die Grenzen werden neu gezogen – und das bedeutet: mehr Schutz für Frauen.
Ein Änderungsvorschlag, der erst kurz vor der Abstimmung von der Großen Koalition vorgelegt worden war, sorgt aber für Unmut. Die Verschärfung soll auch auf das Aufenthaltsgesetz angewendet werden sowie ein kollektiver Straftatbestand für Gruppen eingeführt werden. Konkret heißt das: Sexuelle Übergriffe können für Asylbewerber zur schnelleren Abschiebung führen. Das Asylrecht wurde ohnehin im März verschärft. Es ist eine Reaktion auf die Silvesternacht in Köln. Das #ausnahmslos-Bündnis feministischer Aktivistinnen reagierte mit einer deutlichen Kritik, ebenso Linken-Abgeordnete wie etwa Halina Wawzyniak.
„Das Überschreiten eines Nein ist nun strafbar, wird aber doppelt geahndet, je nachdem, welche Staatsbürgerschaft der Täter hat. Es sind zwei Schritte vor und einer zurück. Ich fühle mich verraten, weil dieser Kuhhandel eingegangen wurde“, sagte #ausnahmslos-Mitinitiatorin Jasna Strick dem Freitag. Zeit zum Verhandeln blieb durch die kurzfristige Änderung nicht mehr. Problematisch ist vor allem die dahinterstehende Logik: Sexuelle Übergriffe werden – wie auch in der „Nach-Köln“-Debatte – in einem bestimmten Milieu verortet. Grapschen, belästigen, vergewaltigen, das ist ein Problem der Anderen, Migranten, Asylbewerber.
Ein ähnliches Signal senden übrigens die Berichte dieser Tage, die die strafrechtlichen Folgen von Köln sezieren. 1.200 Opfer, nur rund 120 Täter, die meisten Taten werden wohl ungesühnt bleiben, meldete der Rechercheverbund von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung. Willkommen in Deutschland 2016. Mit ernsthaftem Interesse hätte man vergleichbare Zahlen auch schon vor der Silvesternacht und auch vor der sogenannten Flüchtlingskrise recherchieren können. Auch aus deutschen Haushalten heraus.
Die Last-Minute-Änderung der Gesetzesverschärfung lädt zum Generalverdacht ein und ist Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten. Die Doppelbestrafung fördert Vorurteile. Und mal ehrlich, ist es verhältnismäßig, jemanden in lebensbedrohliche Länder abzuschieben, weil er eine Frau begrapscht? Oder anders gefragt: Was spricht dagegen, ihn genauso zu bestrafen wie alle anderen auch? Helfen tut die Doppelbestrafung den betroffenen Frauen kaum. Im Gegenteil: Da Übergriffe häufig im privaten Umfeld stattfinden, könnten Frauen eher davor zurückscheuen, zur Polizei zu gehen, wenn gleich die Abschiebung droht.
Kommentare 8
Vielleicht hätte weniger Druck und Euphorie vorher, dafür mehr Nachdenklichkeit geholfen.
Was soll diese Last-Minute Änderung bewirken?
Nicht nur das wie bereits im Artikel dargestellt der Fokus der Diskussion vom eigentlichen Problem abrückt, sondern auch eine populistische Sonderregelung so Einzug in das Gesetzt erhält. Von mir aus kann man gerne unterschiedliche Meinungen bezüglich des Abschiebens straffällig gewordener Asylbewerber haben, aber dies sollte wie bereits geschehen im Asylrecht verankert werden und nicht in anderen Bereichen.
Diese explizite Erwähnung gerade bei der Verschärfung des Sexualstrafrechts erlaubt nur den Schluss, dass es sich hierbei um eine rein populistische Ergänzung, welche bewusst probiert den rechten Rand zu bestärken, handelt.
"Da Übergriffe häufig im privaten Umfeld stattfinden, könnten Frauen eher davor zurückscheuen, zur Polizei zu gehen, wenn gleich die Abschiebung droht."
Das kommt darauf an was frau im konkret vorliegenden Fall will, den gewalttätigen Mann loswerden, um endlich ohne Gewalt leben zu können oder aus Angst vor finanziellen Problemen einknicken.
Ist der Begriff "häufig" nicht eine kleine Untertreibung? Soweit ich weiß ist häusliche Gewalt (Ehe, Lebenspartner, Freund, ob nun gemeinsame Wohnung oder nicht) gg. Frauen statistisch Platz 1 und die Dunkelziffer von Nichtanzeigen dürfte auch noch hoch sein.
Falls das Zurückscheuen bei Frauen von "Anderen, Migranten, Asylbewerber" tatsächlich zuhauf (selten ist es ja eh noch nie gewesen) eintreten würde, wäre es ein klassisches Eigentor der rassistisch Vorurteilenden, denn statistisch wäre dann das MWW-Subjekt ganz oben und nicht mehr die "Anderen, Migranten, Asylbewerber", wie ja gerne von Rechts kolportiert wird (die werden es eh weiter kolportieren...).
Deutschland liegt übrigens über dem europäischen Durchschnitt bei Gewalt gg. Frauen ab dem 15. Lebensjahr!
verlässliche zahlen zur häuslichen gewalt gibt es kaum, diverse studien widersprechen sich deutlich, die debatte dauert an.
https://de.wikipedia.org/wiki/H%C3%A4usliche_Gewalt#Strafurteilsstatistik
http://www.sueddeutsche.de/panorama/haeusliche-gewalt-maenner-die-verkannten-opfer-1.1458489
Hier wäre noch eine Quelle zu Zahlen.
Mit der Angabe "nur rund 120 Täter" wird der Rechercheverbund falsch zitiert, der die BKA-Bilanz korrekt wiedergegeben hatte: "In der Silvesternacht sind ...deutschlandweit mehr als 1200 Frauen Opfer von Sexualdelikten geworden. Bei geschätzt 2000 Tatbeteiligten seien aber nur 120 Verdächtigte ermittelt worden." Richtig ist, dass 900 Straftaten völlig ohne Folge bleiben werden. In der Silvesternacht gab es also rechtsfreie Räume, in denen die Männer mit den Frauen machen konnten, was immer sie wollten (mindestens eine Frau musste nach der Silvesternacht abtreiben!) Ich hätte mir eine gründliche Aufarbeitung im "Freitag" gewünscht!
Jaja, wenn weiße Männer unschuldig in den Knast gehen, stört das keine Feministin. Aber wehe es trifft Migranten oder Asylanten, dann auf einmal merkt sie wie daneben die neue Rechtssprechung ist...
Ich finde unerträglich, wie in diesem Artikel kleingeredet wird, was es für ein Opfer bedeutet, wenn es "begrapscht" wird! So kann auch nur jemand schreiben, der von Traumata in keiner Weise Ahnung hat!