Politische Popos

Bewegung Rhythmisches Wackeln mit dem Hinterteil: Das ist Twerking, ein starker Tanzstil, der sich klar gegen Diskriminierung wendet
Ausgabe 48/2016

Im Zentrum steht immer der Arsch: Enthusiastisch wackelt das Fett auf und ab, die Wirbelsäule schwingt wie ein Gummitwist, die Oberschenkel vibrieren im Takt. So sieht es aus, wenn getwerkt wird. Kraftvoll, sexy. Und so sehr diese Beschreibung zutreffen mag, ist sie zugleich das große Missverständnis beim Twerken: Dass es bei diesem Tanz darum geht, wie er für andere aussieht. Eigentlich ist das Gegenteil der Fall.

Seit Miley Cyrus 2013 bei den MTV Awards in einem fleischfarbenen Latexhöschen ihren Po gegen den Sänger Robin Thicke twerkte, ist aber genau das passiert: Twerk ist in der popkulturellen Vermarktungsindustrie angekommen, als bestaun- oder auch begaffbares Trendphänomen. Ein Jahr später veröffentlichte die Rapperin Nicki Minaj ihr Video zum Song Anaconda, eine viereinhalbminütige Zelebrierung des Pos, inszeniert irgendwo zwischen Geld, Gold und Fetisch. Ihr wirklich beeindruckendes Hinterteil erhebt sich majestätisch über Minajs Kopf und schwingt in Slomo und wellenförmig im Takt. Ohnehin trendet derArsch in der Mode wie in der Sportwelt. In den USA boomt mittlerweile der (Schwarz-)Markt für Brazilian Butt Lifts, und die professionelle Twerkerin Lexy Panterra hat mit ihren Twerk Outs eine eigene Fitnessmarke geschaffen: Sie verkauft weltweit Kurse, eine eigene App, plant eine Reality Show und eine Tour. Getwerkt wird in den Videos von Beyoncé, Alicia Keys, Rihanna und der weißen Rapperin Iggy Azalea. Nur: So war das nie gemeint.

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Twerk ist eine Praktik der Diaspora, des Ausgegliedert- und Verstreutseins, des Nichtdazugehörens, erklärt etwa der dominikanisch-amerikanische Perfomancekünstler niv Acosta. In seiner Tanzshow Discotropic wird das Twerking zu einer Bewegung von Empowerment – zu einer Strategie der Selbstermächtigung.

In der Steinzeit fing es an

Um diesen emanzipatorischen Charakter des Poschüttelns zu verstehen, muss man zu den Ursprüngen des Twerkens graben. Die liegen Jahrhunderte zurück, in neolithischen sexuellen und rituellen Tänzen, bei denen es mutmaßlich nicht nur um Fruchtbarkeit, sondern auch um Verhütung ging. Durch die ruckartige Bewegung des Beckens soll sich das Ei gar nicht erst im Uterus einnisten können. Entsprechende Tänze wurden einst im Wüstengürtel zwischen der Sahara, dem Nahen und Mittleren Osten und Zentralasien praktiziert, Fragmente davon verbreiteten sich durch Sklavenhandel und Kolonialisierung. Die Ähnlichkeiten zwischen Twerk und Bauchtanz oder auch dem Hula aus Hawaii sind unübersehbar. Auch gehören Twerk-Bewegungen heute ganz selbstverständlich zum Salsa oder zur Reggaeton-Musik auf Kuba, zur Clubkultur auf Haiti, zu den Tanz-Battles in der jamaikanischen Dancehallkultur oder in Brasilien zum Baile-Funk. Dort twerken übrigens häufig und ganz selbstverständlich auch Heteromänner.

Das tänzerische Arschwackeln ist also gewissermaßen universell. Zu seinem Namen kam Twerk jedoch erst in den 1990er Jahren im US-Bundesstaat Louisiana, er setzt sich zusammen aus den Begriffen twist und jerk, drehen und schütteln. New Orleans ist bis heute das Zentrum des Musikstils Bounce, der fest in der queeren Community wurzelt und geprägt ist von schnellen Beats und harter Sprache. Das Arschwackeln, wie wir es heute sehen, manifestierte sich als Teil dieser Subkultur. Die Künstlerin Katey Red, mit dem Rapper Sissy Nobby eine der zentralen Figuren der Bounce-Szene, tritt als Drag auf. In ihrem Video Where Da Melph At fährt sie in einem Glitzerdress und mit roter Langhaarperücke in einem Auto voll twerkender Frauen zu einem Galaauftritt. Im Scheinwerferlicht wird Katey Red dann von Weißen in Anzügen und Abendkleidern beklatscht.

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Twerking, das ist ein Tanz marginalisierter Körper – und es ist eine Zurückeroberung und Sichtbarmachung dieser Körper. „Wenn Miley Cyrus twerkt, wird das weitestgehend akzeptiert“, sagt Performancekünstler Acosta. „Aber wenn schwarze Frauen auf der Straße oder im Club twerken, wird das als sexuell oder exotisch betrachtet. Große Ärsche wurden ja immer schon mit schwarzen Körpern assoziiert.Der Tanz wird dabei zu einem Werkzeug, um People of Color als animalisch oder fremd zu kategorisieren. Sie zu Objekten zu machen und zu entrechten.“

Wie öffentlich das Twerken sein soll, inwieweit es also auch außerhalb der eigenen Szenen passieren soll, ist in der Tat eine zweischneidige Frage. Da ist einerseits der Wunsch, sich von Diskriminierung zu befreien. Glamourös sein zu können, begehrt und akzeptiert. Nach diesem Prinzip funktioniert auch die Kultur des Voguing, die der weiße Popstar Madonna 1990 im Video zu ihrem Song Vogue einem großen Publikum bekannt gemacht hat: Gegen den Frust der Ausgegrenztheit schufen sich Queers of Color eigene sogenannte Häuser, Veranstaltungsorte, in denen sie zusammenkommen und sich tänzerisch gegenseitig herausfordern. Eindringlich nachzuspüren ist das im Film Paris Is Burning, einer Dokumentation von 1990: Alle dürfen auf den Voguing-Ball-Abenden ihre eigene Wunschfigur sein und sich wie ein Star fühlen. Gevoguet wird heute in Clubs in Paris wie in Berlin, im Theater, inzwischen auch bei größeren Hip-Hop-Battles.

Doch solche Schritte aus der Nische heraus bedeuten – andererseits – eben auch, die Körper und Orte genau jener Kritik auszusetzen, vor der die Communities Schutz bieten sollen. Dass die weiße Miley Cyrus das Twerking für ihre eigene Selbstvermarktung auf die Bühne gebracht hat, wird zu einer Waffe gegen schwarze Frauen, findet etwa niv Acosta. „Sie hat sich etwas ausgesucht, um ein radikaleres Image zu bekommen, die schwarzen Frauen auf der Bühne sind nur ihre Requisiten. Das ist das ganze Problem mit der Aneignung: Menschen stehlen, machen Geld damit, vergessen diejenigen, die es erschaffen haben.“ Richtig sei allerdings auch, dass durch die größere Bekanntheit, die Twerk jetzt habe, wichtige Diskurse in Gang gekommen seien, räumt der 28-Jährige ein.

Wie kann eine diskriminierte Gruppe sichtbar werden, Aufmerksamkeit erringen? Ist das ohne Enteignung von außen überhaupt möglich? Dies sind Fragen, die auch die Künstlerin und Aktivistin Fannie Sosa beschäftigen – und Sosa gibt darauf radikal eindeutige Antworten. Sie hält Twerkshops auf der ganzen Welt ab, promoviert zum Thema Twerking – und spricht darüber nicht gern mit weißen Journalistinnen, auch nicht für diesen Freitag-Text. Ist das umgekehrter Rassismus? Oder eine legitime Strategie, um Orte und Diskurse vor Machtverhältnissen zu schützen und zu sagen: Das ist jetzt mal nur für uns? Im Video Cosmic Ass erklärt Sosa: „Ich twerke, um Widerstand zu leisten.“ Sie geht von einem kolonialisierten Körper aus. Der beurteilende Blick von außen wohnt dem eigenen Körpergefühl, laut Sosa, immer inne. Besonders unangenehm oder gar brutal wird er, wenn er weiß, männlich, hetero ist. Twerking ist für Sosa daher auch eine Befreiung von jenem Blick, eine meditative Art, sich lustvoll dagegen zu wehren.

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Mütter, Töchter, Freundinnen

Twerk wird somit, über die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper, zu einem politischen wie auch zu einem Heilungsprozess. Und es ist ein „feministischer Modus Operandi“ (Sosa), weil der Spaß auch eine Menge mit Selbstbewusstsein zu tun hat, mit einem herzlichen „Fuck You“ an die Adresse aller gängigen Benimm- und Schönheitsnormen Es ist ein Tanzstil, bei dem es vor allem darauf ankommt, wie man sich selbst wahrnimmt – weniger darauf, wie es für andere aussehen mag.

Abseits aller Showbühnen ist das Twerking ohnehin Alltagspraxis für viele Frauen: Getwerkt wird zu Hause mit Freundinnen, auf der Straße vor der eigenen Haustür, von Müttern und Töchtern gemeinsam. Auf die Frage, ob es einer weißen Journalistin wie mir nun zustünde, zu twerken, oder nicht, zögert niv Acosta einen kurzen Moment. Dann sagt er: „Ich denke, du solltest rausgehen und es lernen. Stell dich nur hinterher nicht hin und verkaufe es, als ob es dir gehört.“

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Geschrieben von

Juliane Löffler

Onlinerin beim Freitag. Quelle: Papier

Juliane Löffler

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