Eventkritik Die Volksbühne will sich einen Abend lang der Punkband Pussy Riot und der Menschenrechtssituation in Russland widmen. Und es kommt alles irgendwie ein bisschen anders
Pussy Riot steht eigentlich für klare Aussagen. Gegen Putin, gegen Sexismus, gegen die Ultraorthodoxen, für Punk und für Meinungsfreiheit. Umso erstaunlicher war der gestrige Abend in der Volksbühne, den man vor allem als Agglomerat der Verwirrung bezeichnen könnte. Geladen hatte das Berliner Theater zu „Hands up for Pussy Riot“, der Vorführung des Dokumentarfilms Pussy vs. Putin (2013) mit anschließender Podiumsdiskussion und Konzert.
Dann die Ansage: Man werde den Film, anders als geplant, mit einigen geschwärzten Stellen zeigen. Eine mindestens mittelschwere Untertreibung. Die gefühlte Hälfte des Films war überblendet, ohne Ton oder vollständig geschwärzt. So zerfielen kraftvolle Szenen in lose Teile und unverst
#252;berblendet, ohne Ton oder vollständig geschwärzt. So zerfielen kraftvolle Szenen in lose Teile und unverständliche Bilder. Ein Mitglied von Pussy Riot habe auf Grund der Verletzung von Persönlichkeitsrechten untersagt, den Film vollständig zu zeigen, erklärten die Veranstalter auf Nachfrage. Warum? Das verrieten sie auch nach mehreren lauten Fragen aus dem Publikum nicht genau. Unmut, Rufe, Pfiffe und eine Menge Spekulation. Noch im November war der Film in Gänze auf dem International Documentary Film Festival Amsterdam (IDFA) gelaufen und wurde dort ausgezeichnet und ist zudem im Netz zu kaufen. Was man aus den Filmschnipseln jedoch trotzdem erahnen konnte, lässt auf einen sehenswerten Film hoffen. So dürfte es zum Beispiel weniger bekannt sein, nach welchem Schema Pussy Riot ihre Aktionen probten und inszenierten und dass sie bereits vor ihrem Auftritt in der Christ-Erlöser-Kathedrale mehrfach verhaftet wurden. Es sind eindringliche und neue Bilder. Wie sie in einem Tonstudio hochkonzentriert ihre Musik aufnehmen. Wie sie ihre Texte von einem Baugerüst in einer U-Bahnstation rufen, während unten bereits die Polizei bereitssteht, um sie abzuführen. Wie sie aus einer Gefängniszelle heraus verhandeln, um ihr Megafon zurückzubekommen. Wie sie während ihrer Aktionen Federkissen auf die Straßen leeren. Wie sie auf dem Rand eines zugeschneiten Brunnens stehen und fast ein wenig lächerlich wirken, in ihren bunten Kleidern, mit ihrer Fahne, wie sie ihre Beine in die Luft kicken während vereinzelten Passanten mit dicken Mützen staunend an ihnen vorübergehen. Dabei ist es bitterer Ernst. Schon rollen Polizeiwagen an und die Frauen sammeln ihre Mäntel ein, bevor sie abgeführt werden. Wie unterschiedlich die Reaktionen der Bevölkerung ausfallen. Wie Orthodoxe, indem sie geweihtes Wasser auf die Unterstützer der Gruppe spritzen, diese bekehren wollen. Wie es im Polizeiwagen zwischen Unterstützern und jenen, die „Tötet den Antichrist“ rufen, fast zu einer Schlägerei kommt. All das ist mit verwackelten Handkameras, oft aus dichter Perpektive aufgenommen und verschafft ein Gefühl der Brisanz und Nähe. Die Bilder sind berührend und doch nicht einfach zugänglich. Ganz anders als die inzwischen mainstreamingen Bilder mit den bunten Mützen, die man zur Genüge kennt. Tiefe gesellschaftliche Gräben scheinen auf, immer wieder, deren Zusammenhänge nicht einfach zu verstehen sind.Man wünschte sich eine Erklärung. Stattdessen war die zweite große Verwirrung des Abends die per Skype zugeschalteten Filmemacher, das Kollektiv Gogol´s Wives, von denen man sich einige Antworten hätte erhoffen können. Die Verbindung war schlecht, die Übersetzung lückenhaft, die Zeit zu knapp, der Moderator Alexander Formozov überfordert. Um es kurz zu machen: Keine der drängenden Fragen (unter welchen Umständen waren die Aufnahmen entstanden, bedeutet der Film ein Sicherheitsrisiko, wer genau vertrat hier wen und mit welchen Motiven?) wurden beantwortet, das Gespräch wurde abgebrochen, die ersten Zuschauer gingen. Die anschließende Podiumsdiskussion ließ erneut das aufscheinen, worum es hätte gehen können an diesem Abend. Der geladener Aktivist und Dichter Alexander Delfinow sprach ankedotisch vom Kunstaktivismus in Russland seit den 90er Jahren, von welchem Pussy Riot nur die „Spitze des Eisberges“ sei. Joachim Willem, Autor des Buches Pussy Riots Punkgebet, setzte zu einem theologischen Kurzvortrag an, die russische Anwältin Olga Gnezdilowa sollte wohl zu der Menschenrechtssituation sprechen, es hätte alles spannend werden können, aber eigentlich war da schon alles zu spät.Schon schritten gemächlich weiß gekleidete Musiker von Hands Up-Excitement auf die Bühne, ob sie nicht mehr zuhören wollten oder sollten, man weiß es nicht, und begannen schelmisch ihre Instrumenten klingen zu lassen, irgendwo im Lichterwirbel zupfte versunken in seine Gitarre August Diehl mit, die Anwältin ließ irritiert ihr Mikro sinken und brach mitten im Satz ab, der Aktivist verließ die Bühne und winkte genervt ab, ein Mädchen in Sporthosen sprang jauchzend herum, Pussy Riot Sounds erfüllten den Saal, irgendwo riefen ein paar Menschen laut "Hans", am Bühnerand begannen Pärchen zu tanzen, die Hälfte des Publikums war sowieso schon längst in Privatgespräche versunken oder giggelte vor sich hin und überhaupt machte eigentlich jeder sein eigenes Ding.Unterhaltungswert auf einer Skala von eins bis zehn: zehn. Informationswert auf derselben Skala: eins. Sollte es nicht um die Situation der Menschenrecht in Russland gehen? Sängerinnen schrien in ihre Mikros. Kraftvoll, ekstatisch, ein bisschen Rrriot-Gefühle: „Die Wahrheit findet man nicht im Himmel, Die Wahrheit findet man nicht im Himmel!“. In der Volksbühne – zumindest an diesem Abend – allerdings auch nicht.
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