Klein und geschlossen, so soll die perfekte Vulva aussehen. Aber warum legen Frauen ihr intimstes Körperteil unter das Messer? Die Soziologin Anna-Katharina Meßmer hat darüber promoviert.
der Freitag: Frau Meßmer, was veranlasst Frauen zu einer Intimoperation?
Anna-Katharina Meßmer: Die meisten erzählen von Unsicherheit und Scham, das ist wohl der stärkste Motor. Derzeit besteht die schlimmste Angst von Frauen darin, keine gute potenzielle Sexualpartnerin zu sein.
Wer lässt sich operieren?
Es gibt keine Zahlen. Angeblich sind Labienkorrekturen typisch bei Frauen in den Zwanzigern, Vaginalverengungen eher beliebt bei Müttern nach dem zweiten Kind. Und es ist vermutlich auch milieuspezifisch. In manchen Milieus hat Künstlichkeit einen starken ästhetischen Wert, in anderen ist Natürlichkeit das Ideal.
Wie kamen Sie zu diesem Thema?
Mich interessieren Körpertransformationen. Neue Verfahren, Körper zu bearbeiten, sind ja immer wie vom Baum der Erkenntnis zu essen: Du kannst hinter diesen Zustand nicht zurück. Frauen sind jetzt in der Situation, dass sie eine Entscheidung treffen müssen: Möchte oder brauche ich so einen Eingriff?
Zur Person
Anna-Katharina Meßmer ist Leiterin der strategischen Entwicklung beim Meinungsforschungsinstitut Civey. Die Soziologin war Mit-Initiatorin der Kampagne #aufschrei. Sie beriet den SPD-Parteivorstand sowie Gesine Schwan während deren Wahlkampf für das Bundespräsidialamt
Foto: Götz Schleser
Wie beim Social Egg Freezing. Weil es möglich ist, stehen Frauen vor der Entscheidung, ob sie Eizellen konservieren lassen.
Genau. Intimchirurgen sind Experten der Grenzziehung: Sie entscheiden darüber, welche Eingriffe machbar sind und was gesellschaftlich legitime Begründungen dafür sind. Deshalb habe ich mir angeschaut, wie sie ihre Eingriffe und sich selbst bewerben.
Was fiel Ihnen dabei auf?
Sie sind PR-Profis und treten gern als Experten für Körper und unternehmerisches Handeln auf. Sie inszenieren sich dabei weniger als Ärzte und mehr als Berater und Helfer.
Womit begründen diese „Profis“ den Eingriff?
In Deutschland wird diese Erzählung ganz stark über eine Leidensgeschichte entworfen. Also nach dem Motto: Da kommen diese armen Frauen mit ihren Problemen, und wir helfen ihnen. Denn Schönheitsoperationen sind nach wie vor verpönt, auch in der Medizin. Es geht also auch um eine moralische Aufwertung.
Wie sieht eine sogenannte Designervagina aus?
Das Ideal entspricht rassifizierten weißen, heteronormativen Vorstellungen von jugendlichen und eingehegten Frauenkörpern. Ich habe mal einen Chirurgen auf der Eröffnungsparty seiner Praxis gefragt, was genau er da macht. Er sagte: Ich mache Brötchen.
Zwei kompakte Hälften, dazwischen ein schmaler Schlitz.
Exakt. Manchmal ist auch die Rede vom Ideal der Muschel oder einer griechischen Statue. Es geht immer um eine Beschreibung, die Geschlossenheit signalisiert.
Kulturhistorisch ist die Grenzüberschreitung vom Körper zur Umwelt immer das Eklige. Und die Labien, die raushängen, sind die Grenzüberschreitung.
Als würde sich das Tor zur Welt öffnen und alles verschlingen. Das ist ja auch eine gängige Metapher. In der Tat sind Schamlippenverkürzungen der häufigste Eingriff. Begründet wird das aber meist nicht mit Ästhetik, sondern mit Funktionalität. Nach einer OP soll die Sexualität besser sein, auch weil sich Frauen dann angeblich weniger schämen – oder schämen müssen. Oft werden OPs auch mit Sport begründet, es wird argumentiert, geschlossene Vulven passten besser auf Fahrrad- oder Reitsättel.
Bei Männern hängt der Penis ja auch heraus, und die können ganz normal Fahrrad fahren.
Diese Erzählungen sind stark gegendert. Als Begründung taucht nie auf, dass Frauen ein Problem beim Motorradfahren haben. In einem Onlineforum zu Intimchirurgie hat eine Frau beispielsweise geschrieben: Ich möchte so gerne eine bestimmte Form von Stringtanga tragen und das geht mit meinen Labien nicht. Es scheint leichter zu sein, sich und den eigenen Körper zu ändern, als sich dafür einzusetzen, dass Produkte geändert werden.
Diese funktionale Begründung ist sehr neoliberal.
Absolut. Es hat mit einer starken Vorstellung von Selbstbestimmung und Optimierung zu tun. Ich kann meinen Körper beherrschen, und wenn ich an etwas leide, ändere ich mich. Es handelt sich aber auch um eine Art Ohnmachtserfahrung. Als Einzelperson ist es ja tatsächlich leichter, sich selbst zu ändern, statt einen ganzen Markt.
Es hat auch etwas mit dem Bedürfnis nach Normalität zu tun. Erhöht es nicht den Druck anderer Frauen, sich an diese vermeintliche Norm anzupassen?
Wenn eine Frau Eingriffe vornehmen lässt, um mit ihrem Körper klarzukommen, möchte ich ihr das nicht vorwerfen. Don’t blame it on the women. Gleichzeitig ist es wichtig, auf die Rahmenbedingungen hinzuweisen. Es ist ein Markt, der Ängste und Unsicherheiten bedient. Aber Schönheitsideale bediene ich natürlich auch schon, wenn ich geschminkt das Haus verlasse.
Nur ist es ein Unterschied, ob ich Lippenstift auftrage oder mich unters Messer lege. In Lisa Rogers’ Doku-Film „The Perfect Vagina“ (2008) sieht man, wie eine junge Frau nach dem Eingriff weint, als sie auf die Toilette geht.
Klar, diese Eingriffe sind invasiv. Die Intimchirurgie steht hier historisch in einem Kontinuum. Was dabei seit Jahrhunderten gleich bleibt, ist die Erzählung, dass der weibliche Körper defizitär ist und seine Anforderungen nicht erfüllt. Ganz lange sollte die Lust der Frauen deswegen medizinisch reduziert werden.
Bis ins 20. Jahrhundert wurde in Europa Frauen die Klitoris beschnitten, um sie etwa von Hysterie zu heilen.
Und jetzt hegen wir den Körper immer noch ein, aber wir nutzen intimchirurgische Maßnahmen, um Frauenkörper lustvoller zu machen. Es gibt eine enorme Diskrepanz zwischen der Erzählung, was ein weiblicher Körper anatomisch schaffen soll, und der Realität, wie er funktioniert.
Als vergangenes Jahr ein 3D-Modell der Klitoris vorgestellt wurde, war die Irritation groß. Die wenigsten wussten, dass dieses Organ so groß ist. Umgekehrt ist die Größe des Penis Allgemeinwissen. Naomi Wolf hat das fantastische Buch „Vagina“ geschrieben, und auf jeder Seite dachte ich: Warum hat mir das bisher niemand beigebracht?
Gerade weil der weibliche Körper immer als eine Art Sonderwesen Gegenstand der Medizin war, ist es paradox, dass gleichzeitig so wenig über ihn bekannt ist. Auch heute noch, etwa wenn es um Regelschmerzen oder Endometriose geht. Ich finde die aktuellen gynäkologischen Debatten mitunter verstörend in ihrem Nichtwissen. Die Vulva ist für uns alle Neuland. Gleichzeitig wird daran bereitwillig chirurgisch gearbeitet.
Zum Beispiel mit G-Punkt-Unterspritzung für besseren Sex.
Das ist absurd: Einen Körperbereich mit Hyaluronsäure zu unterspritzen, von dem man sich in der Gynäkologie noch gar nicht geeinigt hat, ob er in der Form überhaupt existiert.
Für das weibliche Geschlechtsorgan existieren drei Rollen: Mutter, Hure oder Heilige. Was ist die Designervagina?
Wahrscheinlich von allem ein bisschen. Das Brötchen ist paradox, weil es in Richtung von De-Sexualisierung und Sexualisierung gleichzeitig geht.
Das Brötchen-Ideal stammt angeblich aus der Pornoindustrie.
Da bin ich mir nicht sicher, Pornos haben gar nicht diese Idealvorstellungen von kleinen und aufgeräumten Vulven. Das Ideal resultiert eher aus einer generellen gesellschaftlichen Unsichtbarkeit. Bei Barbies zum Beispiel zeichnet sich nichts ab, was auf eine Vulva hindeutet und auch in Biologiebüchern gibt es bei Zeichnungen meist nur den Schlitz. Wir haben sprachlich wie visuell keine Vorstellungen von der Vielfalt weiblicher Genitalien.
Was haben die Recherchen mit Ihnen selbst gemacht?
Ich habe eine Zeit lang nur diese perfekten Körper auf Bildern angesehen. Auf einmal veränderte sich mein Blick, und ich merkte, wie eine unbewusste Internalisierung der Bilder einsetzte. Ich hab auf Körper, auch meinen eigenen, geschaut und gedacht: Da könnte man doch was machen lassen. Ich bin dann oft in die Sauna gegangen, weil ich das Gefühl hatte, das rekalibriert meinen Blick.
Wenn man über Labien und Vulven spricht, zucken viele zusammen, sind aber auch neugierig.
Mir haben Leute extrem viel über Genitalien erzählt. Und zwar sowohl über ihre eigenen, als auch über die ihrer Sexualpartnerinnen und -partner.
Too much information?
Ja, manchmal schon. Man kommt da nicht raus, weil du für viele die Expertin für Intimes bist, schließlich liest du ja den ganzen Tag über Genitalien. Das Krasseste sind Männer, die einem von sexuellen Begegnungen mit Frauen erzählen, bei denen irgendwas „komisch“ war oder die Vagina ihrer Meinung nach zu weit gewesen sein soll. Einer erzählte mir auf einer Party, wie das für ihn sei, seit seine Frau Kinder auf die Welt gebracht habe.
Gibt es auch bei Männern intimchirurgische Eingriffe?
Ja, zum Beispiel Hodensackstraffung. Aber die sind viel seltener. Dabei ist die Sorge um das Nicht-richtigsein der eigenen Genitalien bei Männern viel älter als bei Frauen. Es gibt mehr diese Vergleichskultur, man guckt unter der Dusche, wie das bei den anderen ist. Ich glaube, Männer trifft so ein Porno-Ideal sehr hart, weil ihre Geschlechtsteile visuell so extrem inszeniert werden. Gleichzeitig werden Frauen viel früher daran gewöhnt, ihre Körper in ein medizinisches System einzupassen und zu verändern, zum Gynäkologen zu gehen, die Pille zu nehmen. Frauen werden stärker trainiert, Modifikationen zu akzeptieren, ja anzustreben.
Was sagen denn Männer zu den Intimoperationen bei Frauen?
Die meisten Frauen lassen die Eingriffe sicherlich nicht machen, weil daheim der Partner sitzt und sagt: Das finde ich nicht schön, ändere das. Aber weil Frauen in unserer Gesellschaft aus einer männlichen Begehrensperspektive betrachtet werden und es immer wieder abfällige Kommentare gibt, setzt sich der Makel fest. Schon dieses kritische Erzählen intimer Details auf einer Party erzeugt natürlich einen gewissen Sog.
Er sagt: Seit meine Frau zwei Kinder bekommen hat, ist ihre Vagina zu weit. Nicht: Seit meine Frau zwei Kinder bekommen hat, ist mein Penis zu klein.
Exakt.
Als Feministin gesprochen: Sind wir darüber nicht hinaus?
Die Soziologin Paula-Irene Villa schreibt von einer „neoliberalen Light-Version“ des Claims: „Mein Bauch gehört mir.“
Mein Körper gehört mir – aber ich mach das Beste draus.
Meine Biologie ist nicht mein Schicksal. Die ständige Beschäftigung mit dem eigenen Körper führt dazu, dass man in einer Gesellschaft, die Optimierung erwartet, immer Teile finden wird, die man optimieren kann.
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