Schule aus, Probleme an

Asylprotest Im Konflikt um die besetzte Schule gibt es nun ein Einigungspapier. Ein Ende der Probleme bedeutet das nicht, denn noch immer ignorieren Senat und Bund ihre Verantwortung
Flpchtlinge auf dem Dach der besetzten Schule
Flpchtlinge auf dem Dach der besetzten Schule

Foto: Futureimage/ imago

Lange war die Stimmung Ecke Reichenberger/ Ohlauer Straße nicht so gelöst wie am Mittwochabend. Nach über einer Woche Ausnahmezustand in dem Kreuzberger Kiez einigten sich gestern Bezirk und die Flüchtlinge auf eine Regelung, wie mit der besetzten Schule weiter zu verfahren sei: Das Gebäude wird, wie bereits zuvor von Baustadtrat Hans Panhoff und Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann in Erwägung gezogen, saniert und in ein Internationales Flüchtlingszentrum umgebaut. Die Flüchtlinge dürfen während dieser Zeit in dem Gebäude bleiben, ein Sicherheitsdienst soll dafür sorgen, dass die Schule nicht von zusätzlichen Flüchtlingen bezogen wird. Auch wenn man die Freude der Aktivisten verstehen kann – immerhin haben sie mit ihren tagelangen Protesten die Räumung verhindert – muss man skeptisch sein, ob es sich bei der Einigung um eine echte Lösung handelt.

Nicht alle Flüchtlinge haben das Einigungspapier unterzeichnet und auch abgesehen davon sind mit der Einigung neue Konflikte vorprogrammiert: Wie etwa soll verhindert werden, dass die Schule nicht erneut bevölkert wird? Weder nach der Auflösung des Protestcamps am Oranienplatz, noch nach der „freiwilligen Räumung“ der Gerhart-Hauptmann-Schule in der Ohlauer Straße stand für alle Flüchtlinge, insgesamt nahezu 500, wie versprochen eine Unterkunft zur Verfügung. Einige sind seitdem ohne Dach über dem Kopf. Wo sie hin sollen, ist völlig ungeklärt. So ist auch nicht abzusehen, ob bei diesem Einigungspapier, anders als beim Oraniencamp, die Zusagen des Bezirks für voll genommen werden können. Oder in wenigen Wochen sogar einige von Ihnen wieder kurz vor der Abschiebung stehen.

Das Hauptproblem der Einigung mit dem Bezirk aber ist, dass er zwischen den falschen Parteien getroffen wurde. Eigentlich hätte es der Senat sein müssen, der eine Entscheidung fällt. Oder der Bund. Oder: Europa.

Die letzte Woche hat die Absurdität regionaler Flüchtlingspolitik beispielhaft für ein grenzüberschreitendes Problem wie unter einem Brennglas sichtbar gemacht. Rund um die Schule wurde eine abgesperrte Festung errichtet. Anwohner konnten ihre Häuser innerhalb des Sperrgebietes nur noch nach Vorzeigen des Personalausweises betreten, teilweise nicht mehr ihre Einkäufe ungehindert nach Hause bringen, Läden innerhalb des gesperrten Bereichs mussten dicht machen und ließen tagelang ihre Rollläden hinunter. Anliegende Geschäfte wie die Croissanterie wurden zum infrastrukturellen Mittelpunkt der Proteste. So waren teils bizarre Szenen zu beobachten: In den gespenstig leeren Straßen fanden sich solidarische Anwohnerinnen zu Protesten zusammen, an den Absperrungen verharrten hochgerüstete Polizisten und Armadas von Polizeiwannen, dahinter hatten sich an den verschiedenen Sperrpunkten hunderte von Aktivisten versammelt, die mit Transparenten, Sprechchören und Infopoints kleine Protestinseln bildeten.

Sie waren es letztendlich auch, welche der kompromisslosen Forderungen der Flüchtlinge nach einem Bleiberecht, welches weiterhin bestehen bleibt, den Rückhalt und die nötige Aufmerksamkeit gegen die überzogenen Maßnahmen des Bezirks gaben (die Kosten des Einsatzes belaufen sich bis jetzt auf rund fünf Millionen Euro). Was sie nicht leisten konnten, war es, das politische Versagen von Senat und Bund zu durchbrechen.

Es kann nicht oft genug betont werden: Mit der Anwendung des §23 des Aufenthaltsgesetzes hätte Innensenator Henkel eine Möglichkeit, der Gruppe von Flüchtlingen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Ja, der Paragraf 23 erfordert die Zustimmung des Bundesinnensenators. Ja, es müsste geprüft werden, ob die Flüchtlinge wirklich als Gruppe zu sehen sind. Dass Henkel dies nicht einmal versucht, hängt allerdings nicht mit den möglichen Hürden, sondern reinem politischen Unwillen zusammen – und sicherlich der Angst, der eigenen politischen Karriere zu schaden. Der Berliner Innensenator spricht davon, sich nicht erpressbar zu machen – er hat Angst, einen Präzedenzfall zu schaffen. Genau das ist es aber, was es jetzt braucht: Ein bundespolitisches Signal, welches eine politische Debatte über die verfehlte Asylgesetzgebung in Deutschland auslösen könnte.

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Geschrieben von

Juliane Löffler

Onlinerin beim Freitag. Quelle: Papier

Juliane Löffler

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