Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt, schrieb Schiller in seinen Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen. Er erhoffte sich vom homo ludens nichts weniger als die Überwindung der menschlichen Zerissenheit zwischen Sinnlichkeit und Rationalität. Müssen Spiele also mehr können als Spaß machen? Möglicherweise ist das keine schlechte Ausgangsfrage, um an diesem Abend das Stattbad Wedding in Berlin zu besuchen. Ein Hallenbad, in dessen Becken aus Geldmangel schon länger das Wasser abgelassen ist. Stattdessen gibt es hier – wie an so vielen Orten in der Arm-aber-sexy-Stadt Berlin – Raum für kulturelle Experimente.
An diesem Abend findet hier der „Stattmedia Game Contest“ statt. Durch verschmierte Glastüren kommt man in die dunkle, leicht abgerockte Eingangshalle. Im Eingangsbereich stehen ein paar rauchende Endzwanziger und kontrollieren die Taschen der Besucher. Die historische Badeanstalt von 1907 verfügt über zwei Schwimmhallen, die früher Männer und Frauen trennten. Etwas verloren wandern die Besucher durch die verschiedenen Gänge und gelangen eher zufällig in eine der Schwimmhallen. Die meterhohen Wände sind hellblau gekachelt, die hohen Fenster mit schwarzen Stoffen verhängt, die Wände bunt beleuchtet. Herzstück ist der leere Pool, in dem eine große Leinwand für die Videospiele aufgespannt ist. Auf dem Beckenboden versammeln sich die Spieler. Oben, um die Geländer des Pools, stehen Schaulustige.
Tritte auf leuchtende Matten
Die Halle füllt sich schnell. Auf fünf „Pressure Pads“ verteilen sich die Spieler, sie müssen miteinander über Tritte auf den rot aufleuchtenden Matten die Spiele navigieren. Peter Angstadt ist extra aus San Fransisco angereist. Er vertritt eine Gruppe von Indie-Spiel-Entwicklern eines Onlinenetzwerkes, die für diesen Abend einen Gamedeveloper-Wettbewerb ausgerufen haben. Zwanzig Spiele werden gezeigt und bespielt, alle liebevoll designt. Die besten drei bekommen ein kleines Preisgeld, 1.200 Euro für den Sieger.
Angstadt nimmt ein kleines Megaphon und erklärt die Regeln für das nächste Spiel, mit Blicken verständigen sich schnell fünf neue Spieler. Mit lauten Ah- und Uh-Rufen kommentiert die Menge den Spielverlauf. „Stupid Yellow“, ruft ein Zuschauer lachend, als eine junge Frau ihren gelben Punkt nicht richtig steuert. Auch andere Ungeübte versuchen ihr Glück. Einige notorische Game-Over-Kandidaten beschränken sich schnell wieder aufs Zuschauen.
Die Spiele sind lustig, manche ausgeflippt: Da gibt es einen Schwimmer, dessen Arme, Beine und Sauerstoffgehalt (Kopf) von den fünf Spielern koordiniert werden müssen. Ein Kühlschrank muss über fünf Antriebsmotoren durch den Weltraum navigiert werden – oder ein Lindwurm wirft Babys in die Höhe, damit sie dort Donuts futtern können.
Bei Bier und Zigarette spricht Luca, der Hauptveranstalter des Abends, über sein Konzept. Das Stattbad sei für ihn „eine Plattform, auf der interdisziplinäre und multimediale Projekte stattfinden“ sollten, erzählt er. Lucas schwarze Dreads hält ein Stirnband zurück, er trägt eine blaugetönte Brille mit Goldrand und eine schwarze Lederhose. Ihn würden die Schnittstellen zwischen Musik und Museum, Streetart, Indie- und elektronischer Musik interessieren.
Tatsächlich steht in der Schwimmhalle das DJ-Pult für das ausgefeilte Line-Up des Abends schon bereit. Luca will etwas, „das sexy ist, aber nicht nur saufen!“ Es gehe um Inhalte und Interaktion, es solle abstrakt statt dekadent sein. Die Ideen sprudeln nur so aus ihm heraus. Und dann sind da noch die ganz konkreten Probleme. „Die Nachbarn beschweren sich manchmal, wir müssen noch die Fenster isolieren.“ Man merkt: Das Projekt Stattbadmedia ist sein „Baby“.
Als die Berliner Bäderbetriebe 2001 aus wirtschaftlichen Gründen das Stadtbad dicht machten, lag das 7.000 Quadratmeter große Gebäude eine Weile brach. Acht Jahre später kaufte ein Privatinvestor die gekachelten Hallen, um einen Supermarkt daraus zu machen. Aber Lidl war in der Gegend zu wenig los. Doch letztendlich wurde aus dem Bad ein Ort für Kunst- und Kulturprojekte. Natürlich geht es auch um kommerzielle Interessen. Das Stattbad hat jetzt einen Juristen und einen BWLer als Manager. Letzterer heißt Jochen Küpper. Er sagt: „Wir sind keine Spielothek“, natürlich gehe es hier nicht nur ums Geld. Man habe ein Profil, das man schärfen wolle. Trotzdem müssten auch Renditen erzielt werden, das Stattbad solle ein „kulturwirtschaftliches Zentrum“ sein. Ein offener Ort, der aber unabhängig von Subventionen sei. Das Stattbad ist bereits selbsttragend, die oberen Etagen sind an ein Filmproduktionsteam, eine Booking-Agentur und Künstler vermietet, ein 3D-Drucker ist dort inklusive.
Miteinander mit Körpereinsatz
Julius und Kevin, beide Mitte zwanzig, sind Spiele-Entwickler. Sie sind von Ort und Veranstaltung fasziniert. Die Spielideen sind nicht neu, aber das Format. Sich persönlich zum Videospielen zu treffen, ist nicht unüblich. Die traditionelle Form der Gamer sind Lan-Partys, nächtelange Spielerversammlungen mit unzähligen zusammengesteckten Computern. Es gibt Videospiele-WMs, wo Preise im siebenstelligen Bereich vergeben werden oder auch Treffen zum Nintendo-Wii-Zocken. Meist wird bei diesen Treffen aber gegeneinander angetreten, im Stattbad geht es mehr um das Miteinander mit Körpereinsatz.
Gute Spiele funktionieren non-verbal, trotzdem wird kommuniziert. Na klar nehme die Game Culture zu, besonders in Berlin, sagen die Spiele-Entwickler. Dazu gehören auch Streetgames – Spiele, die im öffentlichen Raum gespielt und von Netzwerken organisiert werden. Analog- und Online-Spiele verschmelzen dabei immer mehr miteinander. Eine junge Frau steht ein Stück hinter den Mattenspielern. Mona ist eine der seltenen weiblichen Spiele-Entwicklerinnen. Warum sie nicht spielt? „Spielen ist für mich etwas Intimes“, sagt sie. Hier im öffentlich Raum fühle sie sich nicht so richtig wohl.
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