Vor dem Sturm

Ukraine Die Bilder vom Maidan-Platz in Kiew sind von Eskalation und Gewalt bestimmt. Dabei begann der Protest als friedliche Bewegung. Eine Austellung in Berlin erinnert daran
Ein junger Mann ruht sich im in der Halle eines der besetzten Gebäudes aus. Yevgenia Belorusets stellt in ihren Porträts intime Momente her
Ein junger Mann ruht sich im in der Halle eines der besetzten Gebäudes aus. Yevgenia Belorusets stellt in ihren Porträts intime Momente her

Alle Foto: Yevgenia Belorusets

Die Bilder aus der Ukraine, welche zur Zeit durch die Medien laufen, zeigen vor allem: Gewalt. Etwa die schwer zu ertragenden Bilder des gefolterten Oppositionellen Dmitrow Bulatow, brennende Straßenbarrikaden, knüppelnde und schießende Polizei.

In einer Berliner Galerie hängen unterdessen Fotografien, die eine ganz andere Seite des Protests zeigen. Eine friedliche. Die ukrainische Fotografin Yevgenia Belorusets hat im Dezember die Maidan-Proteste in Kiew festgehalten – in einer Zeit, als die Dauerproteste sie immer wieder an ein Volkstreffen erinnerten, auf dem die Menschen vor allem zusammenkamen, um sich auszutauschen. Als man im Zentrum der Stadt viel Musik hörte und in der Nacht getanzt wurde, um sich warm zu halten. Mit den von der Regierung erlassenen repressiven Gesetzen vom 16. Januar haben die Proteste einen brutaleren Charakter bekommen. Vor allem darüber wird in den deutschen Medien nun berichtet.

Belorusets will dieser medialen Erzählung etwas entgegensetzen und verweist auf die friedlichen Absichten der meisten Demonstranten. Was ist mit den nationalistischen Kräften? Diese Kritik wiegelt die Fotografin ab. Sie als Sympathisantin der Proteste hat darauf einen stellenweise unkritischen Blick. "Die kann man nicht so einfach mit den Rechten in Deutschland vergleichen", sagt sie. Es ginge den Rechten in der Ukraine seltener darum, Minderheiten anzufeinden, sondern sich vor allem gegen russische Einflüsse abzugrenzen.

Allerdings, so räumt sie ein, "gibt es in der Ukraine keine große Angst vor rechten Ideen, es fehlt einfach das Bewusstsein dafür". Es sei ein großes Problem, wenn auf der Straße populistische Slogans wie "Tod den Feinden" oder "Ruhm der Nation" skandiert würden.

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Die Polizisten sind nicht nur das Feindbild – die Fotgrafin hat am Maidan-Platz auch immer wieder beobachte, wie Menschen das Gespräch mit ihnen suchten. In ihren stundenlangen Einsätzen seien in der Kälte Polizisten immer wieder ohnmächtig geworden. Auch sie seien teilweise verzweifelt und traurig.

Der Fotografin geht es jedoch mit ihren Bildern um etwas anderes. Sie möchte den Alltag der Aktivisten zeigen und hat sie dafür vor allem in den besetzen Gebäuden fotografiert: im Rathaus, im Oktoberpalast und im Gewerkschaftshaus. "Die Menschen schlafen in riesigen Sälen auf dem Boden nebeneinander. Wenn du 50 Jahre alt bist, ist das kein Spaß. Es ist eine Heldentat." Unter den Demonstrierenden sind viele Menschen, die nicht aus Kiew kommen, sondern aus anderen Städten und vom Land angereist sind. Sie alle sind zu "obdachlosen Protestierenden" geworden, sagt Belorusets. Die fehlende Infrastruktur wurde herbeiimprovisiert. Dass es in den Gebäuden etwa bisher keine Krankheitsepidemien gebe, liege an der ehrenamtlichen Versorgung durch medizinische Helfer und die vielen Spenden von Desinfektionsmittel.

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Zwei Männer, aus der Westukraine angereist, wärmen sich auf ihrem Schlaflager auf. Draußen herrschen zweistellige Minustemperaturen.

Belorusets’ Bilder sind Momentaufnahmen dieses Protestalltags und zeigen vor allem das Dazwischen – Momente des Innehaltens und Versuche, etwas Ruhe zu finden. Auf einem Bild spielt ein Mann Gitarre, neben ihm auf dem Tisch stehen Blumen in einer Vase, auf der Protestsymbole aufgeklebt sind. Es ist ein provisorisches Einrichten im Protestalltag. Die Idylle, welche die Bilder teils austrahlen, ist trügerisch. Die Proteste rund um die Uhr bei hohen Minustemperaturen sind kräftezehrend. Auf einem anderen Bild liegt ein Mann voll bekleidet im Dämmerschlaf. Es sieht aus, als wäre er einfach in die nächstbeste Ecke gefallen und dort liegengeblieben.

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Meistens brennt in den besetzen Häusern das Licht, richtig dunkel wird es nie, ständig durchqueren Menschen die Hallen. Erholsamen Schlaf zu finden, ist kaum möglich.

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Zwei Studentinnen in der besetzten Rathaushalle.

In den Fotos der Menschen, die in den besetzen Gebäuden rund um den Maidan-Platz leben, erkennt man diese Erschöpfung. Trotzdem wirken Belorusets Bilder nicht trostlos, im Gegenteil. Vor allem in den Poträts spiegeln sich die Hoffnung und Entschlossenheit der Menschen, mit ihrem Protest etwas verändern zu können.

Yevgenia Belorusets kehrt diese Woche nach Kiew zurück. Für die Ukrainerin, die teils in Berlin lebt, ist es schwer erträglich in Deutschland zu sein, während sich in Kiew die Situation zuspitzt. Fast hätte sie die Austellung abgesagt: "Nachdem ich gehört hatte, dass Menschen erschossen wurden, erschien mir die Fotoaustellung auf einmal so nebensächlich." Der Wunsch, mit ihren Bildern über den Charakter der Proteste zu informieren, überwog.

Nun drängt es sie zurück an den Maidan-Platz um weiterzuarbeiten. "Nach dem Morden auf dem Euromaidan kann dieser Protest zu einem Trauma für die ganze Gesellschaft werden", sagt sie. Beloruset wird mit ihren Bildern versuchen, das sichtbar zu machen.

Die Ausstellung EUROMAIDAN - Besetzte Räume ist noch bis zum 15.02.2014 in der OKK-Galerie in Berlin zu sehen. Das OKK ist ein Projektgruppe, die ihre Arbeit als Schnittstelle zwischen Kunst und politischem Aktivismus versteht

Weitere Arbeiten von Yevgenia Belorusets findet man auf ihrer Webseite

Nachtrag, 16:37: Der Beitrag wurde um zwei einordnende Sätze ergänzt.

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Geschrieben von

Juliane Löffler

Onlinerin beim Freitag. Quelle: Papier

Juliane Löffler

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