Mit den Worten „Liebe Menschen. Der Zirkus hat ein Ende“ verabschiedete sich die syrische Schauspielerin May Skaf von den Zuschauern der neuen Aktion des Zentrum für Politische Schönheit. Rund zehn Tage lang hatten die Aktivisten der Gruppe vor dem Berliner Gorki-Theater damit gedroht, Geflüchtete in einen Käfig mit vier Tigern zu sperren und sie fressen zu lassen, wenn die Bundesregierung nicht endlich für sichere Fluchtwege sorge.
Konkret forderten sie, die Regeln abzuschaffen, nach denen Fluggesellschaften mit empfindlichen Strafen belegt werden, wenn sie Flüchtende transportieren. Das Gesetz ist mitverantwortlich für die lebensgefährliche Fluchtroute über das Mittelmeer. Bei einer Abstimmung im Bundestag wurde die Richtlinie jedoch erst vergangene Woche wieder bestätigt. Auch die Aktion, mit einem gecharterten Flugzeug 100 Syrer von der Türkei nach Deutschland zu bringen, misslang, weil Air Berlin den Vertrag in letzter Minute doch noch kündigte. Kein Visum, kein Transport. Stattdessen langweilten sich die vier Tiger in ihrem Käfig. Ihre Funktion blieb absehbar symbolisch.
Künstlerisch misslungen, realpolitisch gescheitert, so könnte das bittere Fazit der Berliner Aktion lauten. Die Idee, eine Verbindung herzustellen zwischen den Toten im Mittelmeer und der individuellen Mitverantwortung für die europäische Abschottungspolitik ist ein wichtiges Anliegen. Viele Menschen sind darüber empört. Doch wie kann Betroffenheit in gesellschaftliche Handlungen transformiert werden?
Der Tigerkäfig produzierte nicht nur medienwirksame Bilder. Er erinnerte außerdem daran, dass das europäische Verständnis von Menschlichkeit schwer angeschlagen und eigentlich nur noch für die aufrechtzuerhalten ist, die in der Flüchtlingskrise fest die Augen zudrücken. Immerhin: Für einen – viel zu kurzen – Moment rückte die gesetzlich legitimierte Unmenschlichkeit der europäischen Flüchtlingspolitik in den Fokus der Öffentlichkeit.
Genützt hat es am Ende wenig. „Wir werden nicht Teil eurer Logik des Tötens sein. Wir lassen euch mit eurem Dilemma allein“, sagte Skaf in ihrer Schlussrede. Auch wenn es richtig ist, den Ball nun an das Publikum zurückzuspielen – jene, die dem Sterben im Mittelmeer zuschauen, ohne selbst davon betroffen zu sein, bleibt unklar, wer zukünftig wo welche Verantwortung übernehmen soll. Die Bundesregierung hat sie erneut abgelehnt. Das Publikum des Zentrums für Politische Schönheit besteht jedoch größtenteils aus genau jenen, welche dem Machtgefälle aus zivilgesellschaftlichen Handlungsoptionen und dem weltpolitischen Roulette ratlos gegenüberstehen. Das Ende der Aktion von Flüchtlinge fressen stellt ihnen die eigene Ratlosigkeit gegenüber. Und so kippt das Ende der Kunstaktion leider nur wieder in die passive Betroffenheit, welche zu überwinden das ZPS angetreten war. „Mein Tod hätte in den Augen der Politiker kein Gewicht“, sagte May Skaf. Mit dieser bitteren Realität scheint sich das Diskursfenster vorerst wieder zu schließen.
Kommentare 3
>Konkret forderten sie, die Regeln abzuschaffen, nach denen Fluggesellschaften mit empfindlichen Strafen belegt werden, wenn sie Flüchtende transportieren.<
Wusste gar nicht dass so ein Gesetz existiert. Das ist absolut niederträchtig.
Und so merkwürdig der zelebrierte Politzirkus des Zentrums für politische Schönheit da anmutet, allein schon das Bewusstsein für solche Abartigkeiten zu schaffen ist ein Verdienst.
Wobei man vielleicht statt Tigerzirkus eine Verfassungsklage erwägen sollte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass so etwas offen Menschenfeindliches nicht kassiert würde.
"Ich kann mir nicht vorstellen, dass so etwas offen Menschenfeindliches nicht kassiert würde."
Ihr Wort in Gottes Gehörgang!
Ich finde die Aktion gelungen. Natürlich schade, dass Air Berlin einen Rückzieher gemacht hat (auf entsprechenden Druck hin?), aber das Zentrum braucht sich nicht vorwerfen lassen es nicht versucht zu haben.
Wie schon angemerkt wurde: ein wenig Aufmerksamkeit (und bitteres Schmunzeln) haben sie auf jeden Fall geschaffen.
Und dass sich wirklich Flüchtlinge fressen lassen, nun ja, das sollte ja nun niemanden überraschen, dass das nicht stattgefunden hat. Daher ist die Überschrift schon etwas merkwürdig.
Und letzter Punkt: Kunst muss keine Lösungen anbieten. Wirkliche "Lösungen" in dieser Frage, sagen wir lieber "Verbesserungen" kann nur Politik schaffen, und Politik wird sich nur durch öffentlichen Druck bewegen, und öffentlichen Druck schafft nur Aufmerksamkeit und Aufmerksamkeit hat diese Aktion sicher eher geschaffen als ein betroffen/vorwurfsvoller Artikel im ... sagen wir mal ... Freitag z.B.