Abgehoben nach Outer Space

Spaltungsgefahr Die Berliner Linkspartei könnte nicht nur die örtliche WASG, sondern auch den Kontakt zur Realität verlieren

Ob der anstehende Bundesparteitag der Linkspartei in Dresden auch so wunder-wunder-schön wird? Die Vorstellung, die der Berliner Landesverband am vergangenen Wochenende geboten hat, dürfte allerdings kaum zu übertreffen sein. Es war ein fast schon esoterisches Erlebnis. Wer am ersten Dezembersamstag am Ostbahnhof durch die feucht-schimmlige Nebelsuppe der Hauptstadt stapfte, fand mit etwas Glück den Zugang zu einer lichten Zukunft. Im Berliner Energieforum konnte man die lepröse Hauptstadt für ein paar Stunden hinter sich lassen und die Linkspartei auf einen Space-Trip begleiten. Ein Raumschiff hatte abgehoben.

One million lightyears from home gab es kein sterbendes Samsung-Werk in Oberschöneweide, keinen drohenden Umzug der Bahnzentrale nach Hamburg, vor allem aber keinen Streik an der Charité. Die Pfleger, Schwestern und Ärzte dort hätten den Sternfahrern sicherlich übel genommen, dass sie auf ihrer Flucht aus der schnöden Realität ihre Überstundenvergütung und ihr Weihnachtsgeld als Ballast abgeworfen hatten. Um die bösen Dämonen zu bannen, durften sie in der Debatte kaum erwähnt werden. Ebenso verpönt war der Gebrauch von Unwörtern aus der alten Zeit: Kapitalisten, Imperialismus, Profitrate. Statt der eingemotteten roten Fahnen oszillierte ein Leuchttransparent hinter den Rednern: "Berlin - attraktiv, sozial, gerecht." - There´s no business like showbusiness.

In der Schönen Neuen Welt der mitregierenden Sozialisten herrschten Frieden und Harmonie: eine beinahe totale Mehrheit für den neuen Vorsitzenden Klaus Lederer, der wie der frühe Joschka den Charme des Hausbesetzers mit der Härte des Politkommissars verbindet; eine ähnliche Mehrheit für den Leitantrag mit den Orwellschen Worten "Berlin ist 2005 besser, als es 2001 war" und dem Versprechen, "die Option für eine rot-rote Regierung zu erneuern".

Schlechte Laune war nicht erlaubt und den Miesepetern von der Berliner WASG kein Gastreferat zugestanden worden - ihre Diskutanten mussten sich mit Kurzinterventionen begnügen. Ein Bündnis mit ihnen, beschied Lederer, habe ohnedies "kaum Erfolgsaussichten". Aber selbst der Bundesvorstand der WASG, der seine Berliner Filiale unablässig zum Nachgeben gegenüber den Senatssozialisten auffordert, fand bei den Rednern keine Gnade, weil er ein "Weiter so" mit der rot-roten Koalition ablehnt. Statt weiterer Verhandlungen forderte Lederer einen Eingriff gegen die unbotmäßigen WASGlinge, auch der eigene Bundesvorstand erscheint ihm zu versöhnlerisch. "Hier muss Klarheit der Bundesspitzen her, sonst nichts. Keine schwammigen Bedingungen, sondern ganz deutliche Aussagen."

Als das Raumschiff.PDS gerade auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigte, dockte doch noch das Spacemobil eines altmodischen Erdlings an. Oskar Lafontaine warnte vor einem Wahlkampf mit Koalitionsaussage und vor weiteren Privatisierungen. Da er die scharfen Reden zuvor nicht mitbekommen hatte, fielen ihm gute Wünsche für den eingeschlagenen Kurs der Kosmonauten nicht schwer, was diese als Aufforderung zum Weitermachen goutierten.

Im Sternenstaub zurückbleiben werden Sozialdemokraten wie Hans-Georg Lorenz. Er ist seit 45 Jahren SPD-Mitglied, sitzt seit 27 Jahren für die traditionsreiche Partei im Berliner Abgeordnetenhaus und will das aus irgendeinem nostalgischen Grund auch weiter tun. Die WASG warnt er vor einem übereilten Zusammengehen mit der ehemaligen PDS: "Ich glaube nicht, dass die schnelle Fusion ein guter Weg für den Aufbau einer wirklich sozialdemokratischen oder gar sozialistischen Kraft ist. Die Linkspartei ist da kein guter Partner und wird diesen Weg nicht wirklich mitgehen können und wollen. Die WASG sollte besonders in Berlin ihren eigenen Weg gehen. Ziel der WASG sollte es auch nicht sein, in eine Koalition zu gehen, um da dann untergebuttert zu werden. Die SPD braucht wirklichen Druck von links. Ich hoffe, dass die Mitglieder der WASG das einsehen, und vielleicht sogar der in solchen Fragen manchmal sehr blauäugige Oskar Lafontaine."

Unten, auf der Erde, hatte der WASG-Länderrat inzwischen auf einem Treffen in Markkleeberg bei Leipzig beschlossen, dass sich zur irdischen Zeit Anfang März ein Sonderparteitag mit den Plänen für einen Zusammenschluss mit der Linkspartei befassen soll.


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