Plisch und Plum stehen schon in den Startlöchern. Wirtschafts- und Finanzministerium sollen in der Großen Koalition fein säuberlich zwischen Schwarzen und Roten - der Begriff lässt einen wirklich erröten - aufgeteilt werden. Plisch heißt ziemlich sicher Friedrich Merz und wird in die Geschichte als Erfinder der Bierdeckel-Steuererklärung eingehen. Plum könnte Gernot Mittler sein, bisher SPD-Finanzminister in Rheinland-Pfalz, oder auch Barbara Hendricks, Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium. Das Trio Infernale hat sich jedenfalls zusammengehockt und gleich nach der Bundestagswahl - Kanzler und Kandidatin waren zu diesem Zeitpunkt noch von der Rolle - nach konstruktiven Lösungen, wie man so schön sagt, gesucht.
Ohne Paul Kirchhof konnte man sich schnell einigen - und zwar auf die meisten Kirchhof-Essentials mit Ausnahme der Einheitssteuer. In der von Plisch und Plum abgesegneten Giftliste der Stiftung Marktwirtschaft wird die "zielgenaue Senkung der Unternehmensbelastung auf international wettbewerbsfähiges Niveau" versprochen, was mit 19 bis 22 Prozent angegeben wird, sich aber im Bedarfsfall auch der lettischen flat tax (15 Prozent) oder dem estnischen Ideal (null Prozent für Kapitalgesellschaften) annähern könnte. Weiterhin heißt es: "Steuervergünstigungen und Ausnahmebestimmungen müssen entfallen." Das wird die 19,3 Millionen - 51 Prozent aller abhängig Beschäftigten - freuen, die in diesem Land mit Schicht-, Nacht- und Wochenendarbeit ihr Geld verdienen. Ihre Steuererklärung wird künftig schnell zu machen sein, weil sie schlicht nichts mehr beim Fiskus absetzen können. So etwas nennt man lean economy.
Ob die werte Wählerschaft am 18. September für eine solche Politik votiert hat? Ausgerechnet die Londoner Times, ansonsten eher dem Neoliberalismus zugeneigt, widerspricht vehement. Kommentator Anatole Kaletsky bringt ein "dreifaches Hoch auf die Deutschen" aus, weil sie unklare Mehrheitsverhältnisse herbeigeführt hätten und damit - zumindest bevor Plisch und Plum kamen - politischen Stillstand. "Die Deutschen hatten Recht, die politische Paralyse zu wählen, und zwar aus demselben Grund wie die Franzosen und Holländer Recht hatten, Europa zu stoppen: Weil die deutschen Politiker ohne Ausnahme entschlossen waren, ihr Land in die falsche Richtung zu drängen. Und wenn man in die falsche Richtung auf einen Abgrund zusteuert, ist Stillstand eine bessere Lösung als Dynamik. Das war im Frühjahr richtig, als die Franzosen und Holländer dafür stimmten, Europas Kopfsprung in den Abgrund des Föderalismus zu stoppen. Und das war sogar noch mehr der Fall, als die Deutschen dafür stimmten, Politiker zu stoppen, die die Wirtschaft von der Stagnation in die totale Depression stoßen wollten."
Gegen die Nulldenker in den Mainstream-Medien hielt der Times-Autor am Offensichtlichen fest: Dass sich der Zustand des deutschen Patienten verschlimmern würde, wenn man ihm die Kur von Doktor Eisenbart zumutet - höhere Mehrwertsteuer, Kürzungen bei Löhnen, Renten und Sozialleistungen. Gerade ist man geneigt, diese Position als einen ebenso erfreulichen wie exotischen Ausrutscher in der Bürgerpresse abzutun, da kommt die aktuelle Einschätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) auf den Tisch: Das Haushaltsdefizit der Bundesrepublik würde voraussichtlich noch bis 2010 bei über drei Prozent liegen; "wichtigster Grund" hierfür sei die schwache Konjunktur, und deren wichtigste Ursache sei wiederum die "schwache Binnennachfrage". Logisch: Je weniger die Leute in der Tasche haben, desto weniger können sie kaufen, desto mehr bleibt liegen oder wird bei "Geiz-ist-geil" verramscht.
Raus aus der Krise - das geht also nicht mit dem Spießbürger Heinrich Brüning, der einst die Volkswirtschaft kaputt sparte, sondern nur mit dem Adligen John Maynard Keynes, der den schrumpfenden Binnenmarkt durch monetäre Blutzufuhr stärkte. Der Staat muss sich übergangsweise verschulden, muss neues Geld drucken oder auf den Kapitalmärkten leihen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Was aber heißt das konkret? Geht es beim "Deficit spending" vor allem um ein bedingungsloses Grundeinkommen oder um die Modernisierung des Steinkohleabbaus? Die Debatte darüber hat auch bei der Linkspartei erst begonnen und wird zusätzlich dadurch erschwert, dass einige ihrer Haushaltspolitiker das Dogma der Neoliberalen teilen und immer und überall schwarze Zahlen schreiben wollen.
Ein weiteres Problem kommt hinzu: Keynes lebte in den glücklichen Zeiten, als Maastricht nur für seinen Käse bekannt war. Ob ein Staat sich verschuldete und wer dafür im Bedarfsfall aufzukommen hatte, durfte die jeweilige Regierung mit ihren Bürgern und Banken ausmachen. In dem holländischen Städtchen aber wurde 1992 festgelegt, dass die Geldpolitik in der EU einzig und allein von der Europäischen Zentralbank (EZB) gemacht wird - monetärer Absolutismus ohne demokratische Kontrolle. Den einzelnen Staaten wurde mittels des so genannten Stabilitätspaktes eine Neuverschuldung nur in engsten Grenzen gestattet. Unter diesen Bedingungen ist keine antizyklische Wirtschaftspolitik vorstellbar. Wer sie trotzdem will, muss das Maastrichter Vertragspaket aufschnüren und neu verhandeln: die Defizit-Obergrenzen, die Ausnahmeregelungen, die diktatorischen Vollmachten der EZB, den Euro überhaupt. Die Franzosen und Holländer, die gegen die EU-Verfassung stimmten, wären begeistert über eine Linkspartei, die das laut ausspricht. Und die Deutschen?
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