Während die Bevölkerung verunsichert und aufgebracht verfolgt, wie der Sozialstaat geschleift wird, verläuft der deutsche Aufmarsch für die nächsten Kriege, ohne Aufsehen zu erregen, in gespenstischer Lautlosigkeit. In wenigen Wochen schloss die Bundeswehr ruck-struck wieder zur amerikanischen Weltmacht auf.
Man ist Spitze in Europa: Das Kommando über die sogenannte Stabilisierungstruppe in Bosnien-Herzegowina (SFOR) soll 2004 von der NATO auf eine EU-Armee übergehen. Diese Streitmacht meldete Mitte Mai teilweise Einsatzbereitschaft, bis Dezember wird die volle Kampfstärke von 60.000 Mann erreicht sein. Deutschland stellt den Oberbefehlshaber und die relative Mehrheit der Soldaten - ein Drittel tritt unter schwarz-rot-gold an. In Bosnien sollen 6.000 EU-Peacekeeper stationiert werden, weit mehr als bei den bisherigen EU-Militärmissionen in Mazedonien und im Kongo.
Man ist Spitze in Afghanistan: Schon ab November sollen weitere 450 Bundeswehrsoldaten dorthin geschickt werden, wo nach Meinung von Peter Struck die Verteidigung Deutschlands stattfindet: an den Hindukusch, genauer gesagt nach Kundus. Seit die UNO das Mandat der Afghanistan-Schutztruppe ISAF über Kabul hinaus ausgeweitet hat, ist kaum noch Widerspruch aus Koalition oder Opposition zu hören. Niemandem scheint aufzufallen, dass die Bundesregierung keineswegs von ihren Bündnispartnern zu diesem Engagement gedrängelt wurde, sondern selber an die Spitze spurtete. Kein einziger Staat sonst hat bisher Truppen für ISAF außerhalb Kabuls angeboten, Frankreich sogar explizit abgelehnt.
Man ist Spitze in der NATO: Die Schnelle Eingreiftruppe (NATO Response Force/ NRF) steht Gewehr bei Fuß. Gerade elf Monate ist es her, dass ein solcher Interventionsverband auf dem Prager NATO-Gipfel beschlossen wurde. Am 15. Oktober marschierten im niederländischen Brunssum die ersten Soldaten vor der Militärspitze des Nordatlantikpaktes auf, 9.000 Mann können ab sofort für "humanitäre Kriseneinsätze" weltweit verlegt werden. Insgesamt soll die NRF bis zum Herbst 2006 ihre Sollstärke von 21.000 erreichen. Die Bundeswehr stellt ein Viertel davon, das vergleichsweise größte Kontingent. Am gefährlichsten ist dieser letzte Punkt - der deutsche Part in der Schnellen Eingreiftruppe.
Anfang Oktober hatte Donald Rumsfeld in Colorado Springs seinen Amtskollegen "mit einer Übung für einen fiktiven Einsatz der NRF ... das Fürchten" (Die Welt) gelehrt. Das Szenario: In einem Nahost-Staat namens Corona hat eine terroristische Organisation die Macht übernommen. Um die im Lande lebenden Bürger aus westlichen Staaten zu schützen - ein Gummi-Argument, das sich überall verwenden und schwer widerlegen lässt -, muss die NRF eingreifen. Als die humanitären Krieger in Corona nicht mit Blumen bekränzt, sondern angegriffen werden, eskaliert die Lage. Die Terroristen bedrohen den NATO-Partner Italien mit chemischen und biologischen Waffen. Was ist zu tun? - An dieser Stelle brach Rumsfelds sein Laptop-Manöver ab, nicht ohne den Hinweis, das virtuelle Corona sei realiter überall. Deshalb müssten Entscheidungen im Bündnis wesentlich schneller getroffen werden.
Damit die NRF in fünf Tagen an jedem Ort der Welt intervenieren kann, dürfen NATO-Staaten, die für ihre Truppenfreigabe länger brauchen, nicht mitmachen. Das ist in sich durchaus schlüssig, sonst könnte der Blitzkrieg ja im letzten Augenblick noch gestoppt werden, weil ein Parlament auf einem UN-Mandat besteht oder Beweise für die Unabwendbarkeit eines Militärschlages verlangt. Wenn Bush und Blair also demnächst behaupten, irgendein Schurkenstaat könne seine Kernwaffen in 48 Stunden scharfmachen, soll das NATO-Korps ohne demokratische Verzögerung losschlagen können. Da sich die USA die Kommandoebene in der NRF reserviert haben - Europäer dürfen nur das Fußvolk stellen -, ist zu befürchten, dass die Truppe im Zweifelsfall der neuen US-Militärdoktrin folgt und den Milzbrand präventiv mit klitzekleinen Atombomben (Mini-Nukes) löscht. Die für die NRF vorgesehenen Bundeswehr-Tornados wären dabei sicher hilfreich. Der Bundestag könnte sich allenfalls hinterher beklagen. Struck hat bereits in Colorado Springs bei Rumsfeld mit der Ankündigung gepunktet, in Deutschland solle künftig nicht mehr umständlich im Parlament über Kriege entschieden werden, sondern subito in einem Parlamentsausschuss. Inzwischen konnte er zurückrudern, weil ihn sein Stab wissen ließ, dass der Bundestag auch bisher schon zu allen Schandtaten bereit war. Beim Krieg gegen Jugoslawien fasste er im Oktober 1998 sogar einen "Vorratsbeschluss", der Schröders Küchenkabinett für alles weitere freie Hand gab. Und schließlich hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil von 1994 den Parlamentsvorbehalt bei "Gefahr im Verzug" ohnedies relativiert - es genügt dann, holt sich die Regierung hinterher das Plazet der Legislative.
Grünen-Chefin Beer lehnt den Struck-Vorstoß ab und wirbt stattdessen für ein "Parlamentsbeteiligungsgesetz" bei Bundeswehreinsätzen, sie tut dies mit dem bemerkenswerten Argument, dass nach seiner Verabschiedung "Klagen gegen die Beteiligung deutscher Soldaten im AWACS-Einsatz ... ad absurdum geführt werden" können. Mit anderen Worten: Die Rechte der Abgeordneten seien zu achten, so ließen sich Einstweilige Verfügungen der Verfassungshüter vermeiden. Struck sollte ein Einsehen haben: Beers Entsendegesetz genügt vollauf, da braucht es kein Ermächtigungsgesetz mehr.
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