Bosnia Gate

Wie der Dschihad nach Europa kam Ab 1993 sorgte die Regierung Clinton dafür, dass die bosnischen Muslime hochgerüstet wurden

Während bisher beim Thema al-Qaida in der Regel die vermeintlichen oder tatsächlichen Aktivitäten der Terroristen in allen möglichen Ländern ausführlich geschildert wurden, blieb ausgerechnet das europäische Aufmarschgebiet des Dschihad bisher so gut wie unbeachtet. Doch im bosnischen Bürgerkrieg haben einige Tausend militante Moslems aus arabischen Staaten und dem Iran an der Seite ihrer Glaubensbrüder gegen die ungläubigen Christen, also gegen Serben und Kroaten, gekämpft. Sie wurden dabei mit Hilfe der US-Regierung und in Kooperation mit Teheran massiv aufgerüstet.

"Die Feststellung, dass die Clinton-Regierung einen Irrtum begangen hat, indem sie den Iranern und anderen radikalen Elementen die Durchdringung Europas ermöglichte, wäre eine atemberaubende Untertreibung."
US Congress Report vom 16. Januar 1997*

In den achtziger Jahren hatte die Reagan-Administration unter Umgehung eines eindeutigen Verbots durch den Kongress die Aufrüstung der antikommunistischen Contra-Guerillas betrieben, die in Nicaragua gegen die linksgerichteten Sandinisten kämpften. Da die gelieferten Waffen nur zum Teil von den Contras bezahlt werden konnten, füllte das Pentagon den dafür bestimmten Reptilienfonds mit Hilfe einer weiteren Geheimoperation: durch den Verkauf von Militärgütern an den Iran, der nach der Machtergreifung der Fundamentalisten unter Ayatollah Khomeini 1979 eigentlich mit einem US-Waffenembargo belegt worden war. Doch Reagans Sicherheitsberater Robert McFarlane flog zur Einfädelung des Deals im Mai 1986 unter einem Decknamen in die iranische Hauptstadt.

Bei dieser Operation bedienten sich die USA der Hilfe Israels. Die Waffen - darunter hochentwickelte Raketensysteme - wurden zunächst von den Israelis nach Teheran geliefert und die israelischen Bestände dann in der Folge von den USA wieder aufgefüllt. In der zweiten Phase lieferten die USA auch direkt an die Mullahs, wobei auch in diesem Fall die Waffen in Israel umgeladen wurden.

Der "Nie wieder"-Reflex

Die Neuauflage dieser schmutzigen Allianz in den neunziger Jahren wich in zwei Punkten vom Original der achtziger Jahre ab: Zum einen waren die Mullahs nicht die Empfänger von Waffen, sondern die Lieferanten. Und im Weißen Haus saß kein Republikaner, sondern ein Demokrat.

"Bosnia-Gate" - so das Schmähwort der US-Medien für das Remake des Iran-Gate - wurde erst möglich, nachdem William ("Bill") Clinton Präsident geworden war. Clinton fand bei seinem Amtsantritt 1993 eine frustrierende Situation in Südosteuropa vor. Nach dem Zerfall des alten Jugoslawiens hatte Serbien den größten Teil der Konkursmasse retten können. Zum einen hatte Präsident Milos?evic´ zusammen mit seinem montenegrinischen Amtskollegen Bulatovic´ 1992 eine neue Bundesrepublik Jugoslawien ausgerufen. Zum anderen hatten sich neue Serbische Republiken sowohl in der Krajina als auch in Bosnien etabliert - auf Territorien, die eigentlich die prowestlichen Regierungen in Zagreb beziehungsweise in Sarajevo beanspruchten.

Die Frage, ob die USA sich in dieser Situation nicht offensiver auf Seiten der Muslime engagieren müssten, führte von Anfang an zu Spannungen zwischen den Fachleuten des Militärs und der Geheimdienste auf der einen und der neuen Administration auf der anderen Seite.

"Die amerikanischen Geheimdienst- und Sicherheitsdienste vertraten die Meinung, dass alle kriegführenden Seiten Gräueltaten begangen hatten und es keine ›guten Jungs‹ gebe. Alle Bürgerkriegsparteien taten einander unaussprechlich grausame Dinge an, und das war die übereinstimmende Sicht aller US-Militäranalytiker in ganz Europa", so steht es in Cees Wiebes Standardwerk Intelligence and the War in Bosnia 1992 - 1995. "Bei den amerikanischen Diensten hatte man das Gefühl, dass man in den eigenen Berichten eine ausgeglichene Haltung einnahm, aber dass die US-Politik das nicht haben wollte. Das State Department und Präsident Clinton waren - so diese Dienste - durchgehend pro-muslimisch und anti-serbisch, und in den politischen Stellungnahmen wurde die Wahrheit generell verdreht, um die Serben negativer als die anderen Bürgerkriegsparteien darstellen zu können. Dies ging normalerweise mit einer Ignorierung unerwünschter Aktivitäten seitens der Kroaten und Muslime einher."

Zum Beispiel, so Cees Wiebes weiter, wussten die amerikanischen und kanadischen Dienste, dass die muslimische Armee fast täglich die serbischen Kampfstellungen rund um Sarajevo provozierte, aber dies wurde von den politischen Entscheidungsträgern in Washington niemals aufgegriffen oder bestätigt.

Insbesondere wiesen die Geheimdienste "wiederholt darauf hin, dass die Muslime enge Verbindungen zu verschiedenen fundamentalistischen Regierungen und terroristischen Bewegungen pflegten und dass sie auch Waffen aus dem Iran erhielten" und dass auch die Moslems Kriegsverbrechen begangen hatten. Cees Wiebes: "Die Clinton-Administration wollte jedoch nichts davon hören. Sie bekräftigte, dass man in Bosnien eine multi-ethnische Gesellschaft aufbauen könnte. Auch da hatten die amerikanischen Geheimdienste eine unterschiedliche Sicht: ›Keinesfalls, das müssen wir vergessen‹."

Doch die CIA konnte ihre Position nicht durchsetzen, und zwar ausgerechnet deswegen nicht, weil die Iran-Contra-Affäre in der US-Politik einen "Nie wieder"-Reflex ausgelöst hatte. Leider bezog sich dieses "Nie wieder" nicht auf den Inhalt der Affäre, also die geheime Militärzusammenarbeit mit Fundamentalisten, sondern auf die Tatsache, dass damals Teile der CIA an der Regierung vorbei agiert hatten. Dies schwächte die Position von CIA-Chef James Woolsey gegenüber Clinton - der Präsident führte den Dienst an der kurzen Leine.

All the president´s men

Bill Clinton hatte schon während des Präsidentschaftswahlkampfes 1992 für eine Aufhebung des Waffenembargos für die bosnischen Muslime geworben. Doch Frankreich und Großbritannien, die das Gros der UN-Blauhelme in Bosnien stellten, bestanden strikt auf dem Gewaltmonopol der Vereinten Nationen. Alle Versuche, das Kräfteverhältnis vor Ort nicht durch Verhandlungen, sondern durch die einseitige Unterstützung der Muslime zu verändern, könnten die eigenen Soldaten zum Ziel serbischer Racheaktionen machen. Auf der anderen Seite übte das für die USA so wichtige saudische Königshaus Druck in die entgegengesetzte Richtung aus und forderte für den bosnisch-muslimischen Präsidenten Izetbegovic´ mehr Rückendeckung. Die amerikanische Regierung wagte das nicht - die Furcht vor einer Spaltung der NATO war zu groß, andererseits erachtete sie das saudische Signal als so wichtig, dass eine neue Strategie ausgearbeitet wurde. Ihr Architekt sollte Richard Holbrooke werden, der nach einem Weg suchte, die bosnischen Muslime zu bewaffnen.

Im Sommer 1993 legte das Pentagon einen ersten Plan vor, demzufolge Kalaschnikows und andere Kleinwaffen aus eingemotteten Beständen des Warschauer Pakts ins Kriegsgebiet geliefert werden sollten. Dafür wären ungefähr 300 Flüge mit Transportmaschinen vom Typ C-130-Herkules nötig gewesen. Doch der Plan verschwand im Papierkorb, man fürchtete, er würde durchsickern, und wollte den Protest der europäischen Verbündeten vermeiden.

Holbrooke hatte eine bessere Idee, nämlich Saudi-Arabien und Pakistan mit der Hochrüstung der bosnischen Muslime zu beauftragen - beide Staaten waren von den USA schon einmal mit einer ähnlichen Mission betraut worden, als in den achtziger Jahren die afghanischen Mudschahedin aufzurüsten waren. Doch auch dieser Vorschlag wurde zurückgewiesen, vor allem von Außenminister Warren Christopher und Clintons Sicherheitsberater Anthony Lake.

Das bedeutete für Lake allerdings nicht, die abstinente Position der CIA bezüglich des balkanischen Kriegsschauplatzes zu unterstützen, sondern lediglich, die auch von ihm angestrebte Intervention besser zu kaschieren. Dafür erschien es unumgänglich, die zwischenzeitlich verfeindeten Muslime und Kroaten wieder zusammenzubringen und dadurch das Risiko zu mindern, dass Kroaten geheime Waffenlieferungen an die Muslime verpfiffen - oder auf ihrem Territorium einkassierten.

Folglich wurde in Washington ab Sommer 1993 an Plänen für einen muslimisch-kroatischen Waffenstillstand und die Bildung einer Föderation beider Seiten gearbeitet, die im Herbst 1993 erstmals mit Miroslav Tudjman, dem Sohn des kroatischen Präsidenten und Chef des kroatischen Geheimdienstes, durchgesprochen wurden. Aber Tudjman junior lehnte ab, ebenso wie Außenminister Mate Granic´. Beide waren gegen einen wachsenden muslimischen Einfluss in Bosnien, da sie einen iranischen Brückenkopf auf dem Balkan befürchteten. Präsident Franjo Tudjman hingegen und Verteidigungsminister Gojko Susak befürworteten eine neue Allianz mit den Muslimen.

Im Frühjahr 1994 schließlich unterlagen die Zauderer sowohl in Washington als auch in Zagreb. Dafür waren zwei Entwicklungen verantwortlich: Zum einen hatte es Anfang 1994 einen Wechsel im Pentagon gegeben. Verteidigungsminister Les Aspin und Stabschef Colin Powell waren abgelöst und durch William Perry und John Shalikashvili ersetzt worden, die beide mit Blick auf den bosnischen Kriegsschauplatz eine weniger abstinente Position vertraten. Zum anderen hatte die muslimische Führung im Februar 1994 nach einem Massaker in Sarajevo den moralischen Druck für ein westliches Eingreifen gegen die Serben, die angeblichen Verursacher des Blutbades, beträchtlich erhöht.

Danach jagten sich die Ereignisse in rascher Folge. Am 13.März 1994 wurde unter US-Patronage die muslimisch-kroatische Föderation gegründet, am 16. April sprach James Galbraith, US-Botschafter in Zagreb, mit dem Führer der muslimischen Gemeinde in der kroatischen Hauptstadt, Sefko Omerbas?ic, und bedrängte ihn, Waffen für Bosnien zu kaufen. Am 27. April erbat Präsident Tudjman grünes Licht für das Waffengeschäft seitens der USA. Am selben Tag erreichten Sicherheitsberater Anthony Lake und Vize-Außenminister Strobe Talbott das Einverständnis von Clinton. Sie nutzten die Gunst der Stunde, als sie allein mit dem Präsidenten an Bord der Air Force One waren. Dadurch wurden die Opponenten ausgetrickst: Außenminister Christopher sah sich mit einem Fait accompli konfrontiert, und CIA-Direktor Woolsey war gar nicht informiert worden.

Anthony Lake - in allem die treibende Kraft - hatte auch einen guten Einfall, um die Spuren zu verwischen. Botschafter Galbraith bekam vom State Department nicht die Anweisung, Präsident Tudjman grünes Licht für den Waffenschmuggel zu geben oder ihn gar zu irgend etwas zu drängen, sondern seine Instruktion lautete: "Keine Instruktion". Tudjman verstand diese Mitteilung zuerst nicht, war durcheinander und bat am nächsten Tag um Klarstellung. Da sagte Galbraith zu ihm: "Beachten Sie nicht nur, was ich gesagt habe, sondern auch das, was ich nicht gesagt habe."

Damit war die Sache für Tudjman klar. Schon am nächsten Tag, am 29. April 1994, flogen der kroatische Premier Nikica Valentic´ und der bosnisch-muslimische Vizepremier Ejup Ganic´ nach Teheran, um das Geschäft perfekt zu machen. Und am 4. Mai landete eine iranische Maschine auf dem Flughafen von Zagreb mit 60 Tonnen Sprengstoff und Waffen an Bord. Der Anteil, den die Kroaten als eine Art Transitpauschale für sich behalten konnten, lag bei 30 Prozent.

Militante islamische Basis

Die US-Geheimdienste bekamen die Weisung, die Überwachung des UN-Embargos einzustellen und gegenüber UNPROFOR keine Meldungen über Waffenschmuggelaktionen mehr zu machen. Die Order kam just zur selben Zeit, als im CIA-Hauptquartier brisante Satellitenaufnahmen ausgewertet wurden: Dieselben Flugzeuge, die an einem Tag X auf einem türkischen Flugplatz fotografiert worden waren, tauchten am Tag X+2 in Zagreb auf. Der CIA gefiel die Sache gar nicht. Der CIA-Chef in Zagreb setzte Leute auf die US-Botschaft an und machte die Entdeckung, dass iranische Beamte dort täglich ein und aus gingen. Wenige Tage nach Lakes "Keine Instruktion"-Instruktion an Botschafter Galbraith beschwerte sich CIA-Chef Woolsey höchstpersönlich im Außenministerium über das, was er aus Zagreb erfuhr, um zu hören, alles habe seine Ordnung, Galbraith handele auf Anweisung.

Woolsey war überrascht, das zu hören, verhielt sich dann aber loyal und bot sogar die Hilfe der CIA bei der verdeckten Operation an, doch wurde das Angebot von Lake vorsichtshalber ausgeschlagen. Zur Einschaltung der CIA hätte es einer Anweisung des Präsidenten bedurft. Wäre Clinton dazu bereit gewesen und dies bekannt geworden - die NATO hätte vor einer Zerreißprobe stehen können.

Warum ein Risiko eingehen? Auch auf dem erreichten Level liefen die Dinge im Sommer 1994 gut. Pro Monat trafen durchschnittlich acht iranische Flugzeuge in Kroatien ein. Der UN-Bosnien-Beauftrage Yasushi Akashi wies bereits am 18. Juli 1994 auf die "bedeutenden Mengen neuer Waffen" hin, die den bosnischen Muslime via Kroatien zugingen.

Als die Clinton-Administration das Bosnia-Gate zum Iran öffnete, wetteiferten gerade der Kongress und die Regierung miteinander, wer die schärferen Sanktionen gegen Iran auf die Tagesordnung brachte. Doch davon ließen sich die Balkan-Strategen im Weißen Haus und im Pentagon nicht stören. Die oppositionellen Republikaner verfolgten zwar Clintons Politik mit einigem Misstrauen. Aber erst nachdem es zu spät war, um die Realpolitik noch beeinflussen zu können, nämlich im Januar 1997, setzten sie mit ihrer Mehrheit im US-Kongress eine Resolution durch, die an Deutlichkeit kaum etwas zu wünschen übrig ließ. Darin heißt es unter anderem, Clinton habe dazu beigetragen, Bosnien in "eine militante islamische Basis zu verwandeln".

Neben dem Präsidenten selbst tragen demnach Sicherheitsberater Lake und Botschafter Galbraith die Hauptverantwortung für diese Politik, heißt es in der Resolution. Lake etwa spielte "die Schlüsselrolle beim Abblocken von Kongressuntersuchungen". Galbraith "sprach mit Repräsentanten muslimischer Staaten über die Bezahlung von Waffen, die nach Bosnien gesendet werden sollen". Besonders brisant ist die Feststellung, dass "US-Regierungsbeamte iranische Raketentransporte (nach Bosnien) inspizierten". Die Herren wollten offenbar genau wissen, ob ihre Alliierten High Tech lieferten oder Ausschuss.

Zwischentitel von der Redaktion

Gekürzte Fassung eines Kapitels aus dem neuen Buch von Jürgen Elsässer: Wie der Dschihad nach Europa kam. Gotteskrieger und Geheimdienste auf dem Balkan. Np-Buchverlag 2005. ISBN 3-85326-376-3. 19,90 Euro. Das Buch erscheint Mitte März zur Buchmesse in Leipzig.

Buchvorstellung mit dem Autor, dem Bundestagsabgeordnetem Willy Wimmer (CDU) und Lutz Herden vom Freitag (Moderation) am 17. März, in Berlin, Humboldt-Universität, Hörsaal 1072 (Beginn 19.30 Uhr)

(*) s. US Congress Report: Clinton Approved Iranian Arms Transfers to Help Turn Bosnia into Militant Islamic Base, 16. 1. 1997


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