Das Ende vom "Alten Europa"

Achse mit Beiwagen Auch wenn Großbritannien an ihrer Seite ist, werden Deutschland und Frankreich die EU-Krise nicht lösen können

Schröder, Chirac und Blair greifen nach der EU-Führung", verkündete die Financial Times Deutschland nach einem Treffen der drei Politiker am 18. Februar in Berlin. Die FDP-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Silvana Koch-Mehrin, präzisierte: "Der Dreiergipfel von Gerhard Schröder ist die medienwirksame Ergänzung der außenpolitischen Achse Paris-Berlin um den Beiwagen Großbritannien ..."

Das ist, wie so oft bei den Liberalen, reichlich daneben. Mit Großbritannien wurde die deutsch-französische Achse nämlich nicht erweitert, sondern zerstört. Ziemlich genau nach einem Jahr ist damit die Epoche einer europäischen Neubesinnung, die sich an der kriegskritischen Position des französischen Präsidenten und des deutschen Kanzlers entzündet hatte, auch schon wieder zu Ende. Als am 15. Februar 2003 auf dem ganzen Kontinent Millionen gegen den drohenden Angriff auf den Irak demonstrierten, sprach der ehemalige französische Finanzminister Dominique Strauss-Kahn von der "Geburtsstunde einer europäischen Nation". US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hingegen schmähte das "Alte Europa", das die Zeichen der Zeit nicht erkannte.

Das kräftige Schmettern des gallischen Hahns

Im Hochgefühl neuer Gemeinsamkeit schmiedeten die Regierungen in Berlin und Paris schon an einer gemeinsamen Staatsbürgerschaft, von Avantgardisten wurde die Idee binnen Kürze zur Vision von einer Union beider Länder fortgesponnen. Auf dem Brüsseler "Pralinengipfel" Ende April 2003 wurde der Aufbau einer eigenen Militärstreitmacht zusammen mit Luxemburg und Belgien erwogen - außerhalb der NATO-Strukturen.

Ein gemeinsamer Fehltritt schweißte die Partner auch ökonomisch zusammen: Gemeinsam verletzten die Finanzminister links und rechts des Rheins den EU-Stabilitätspakt, gemeinsam erteilten sich die Budgetsünder in den Brüsseler Gremien Absolution und brüskierten die strafwillige EU-Kommission. Nachdem eine EU-Reform Mitte Dezember auf dem Brüsseler Gipfel zunächst einmal gescheitert war, erhielten die Pläne, statt einer unförmig erweiterten EU einen kleinen, aber feinen Sonderbund zu konstituieren, weiteren Auftrieb. Dafür verwendeten Kommentatoren den Begriff "Kerneuropa", obwohl den eigentlich CDU-Vordenker Wolfgang Schäuble 1994 in ganz anderem Kontext entwickelt hatte. Werner Weidenfeld von der Bertelsmannstiftung, einem der wichtigsten deutschen Think Tanks, prognostizierte jedenfalls nach dem Brüsseler Flop: "Seit dem Wochenende ist Kerneuropa zu einer realen Gestaltungsoption für den europäischen Einigungsprozess geworden." Der frühere Präsidentenberater Jacques Attali schlug zu Jahresbeginn ein konkretes Aufnahmekriterium für einen neuen Staatenbund vor: Alle Länder, die den Entwurf einer EU-Verfassung unterschreiben wollten, sollten mit von der Partie sein. Ein erstes Separattreffen interessierter Staaten - so der luxemburgische Regierungschef Jean-Claude Juncker damals - könne bereits im Januar oder Februar stattfinden.

Kurz und gut, der US-Alleingang im Irak und ins Schleudern geratene EU-Reformen hatten kreative Ideen freigesetzt. Dass darunter nicht nur positive waren - man denke an die Euro-Armee - schien verschmerzbar: Wichtiger war, dass ein "Weiter so" oder "Nulldenken" (Emmanuel Todd) seine Dominanz in der europäischen Außenpolitik verloren hatte. Hatte nicht schon Marx vorhergesagt, der Tag der Emanzipation in Deutschland werde dereinst "durch das Schmettern des gallischen Hahns" verkündet?

Daraus sollte freilich auch dieses Mal nichts werden. Die Mehrheit der deutschen Eliten blieb - anders als der zitierte Weidenfeld - skeptisch gegenüber dem französischen Werben. Aus der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Schröders wichtigster Denkfabrik, war zu hören: "Wir repräsentieren traditionell eine Brücke nach Osteuropa und zu den Vereinigten Staaten. Aber die Dynamik, die uns die deutsch-französische Annäherung heute aufzwingt, erschwert uns diese Rolle, und das ist weder gut für uns noch für Europa. Die deutsch-französische Union, wie sie in Paris unterstützt wird, ist vielleicht ein positiver und anregender Mythos, aber niemand weiß, was das konkret bedeuten soll." In einer aktuellen DGAP-Studie ist zu lesen: "Um mehrheitsfähig zu sein, müssen Deutschland und Frankreich daher die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik auf einer permanenten trilateralen Basis mit Großbritannien gründen. Konstruktive Beziehungen zu den USA sind eine unerlässliche Bedingung ..." Diese Empfehlung vom Januar wurde mit dem Berliner Dreier-Gipfel im Februar umgesetzt.

Kleinster gemeinsamer Nenner der Großen Drei

Auf dieser famosen trilateralen Basis wurde allerdings keines der drängenden EU-Probleme angepackt. Weder gab es einen Vorschlag, wie der Dissens vor allem mit Polen und Spanien um die Stimmverteilung in den EU-Gremien zu überwinden ist, noch deutete sich ein Kompromiss in der Frage des künftigen EU-Haushaltes - einfrieren oder zugunsten der Neumitglieder steigern? - an. Die Abkoppelung der EU von der US-Militärpolitik kam ebenfalls nicht voran - Kunststück, Blair blockierte schon immer jeden Schritt in diese Richtung.

Stattdessen verteilte das neue Führungstrio Posten in der künftigen EU-Kommission. Nach den Vorstellungen Schröders soll es ab Herbst eine Art Superkommissar für Wirtschaftsfragen geben, im Gespräch ist der als Ostkommissar ausscheidende Günter Verheugen. Der könnte dann "auf die Belange der Industrie mehr Rücksicht nehmen" und "innnovations- und wirtschaftsfeindliche Regulierungen" abschaffen, wie es in den Gipfel-Verlautbarungen hieß. Das ist der kleinste gemeinsame Nenner der Großen Drei: Die Eingriffsmöglichkeiten der Brüsseler Bürokratie gegen die einheimische Großindustrie zu minimieren. Konsequenzen derartiger Deregulierungen lassen sich in Großbritannien besichtigen: Ohne störendes Gesundheitssystem erfroren dort im vergangenen Winter mehr Menschen als in Russland.


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