Der Fall Schily

Kommentar Mzoudi-Freispruch und offene Fragenzum 11. September

Der Freispruch für Abdelghani Mzoudi durch das Oberlandesgericht Hamburg eröffnet die Diskussion um die Anschläge des 11. September 2001 von Neuem. Die Bundesanwaltschaft (BAW) sieht den Marokkaner als Mitglied der Hamburger Terrorzelle um den angeblichen Todespiloten Mohammed Atta und hatte die Höchststrafe von 15 Jahren gefordert. Das Gericht urteilte im Zweifel für den Angeklagten und beschuldigt die BAW, Material zu dessen Entlastung nicht herausgegeben zu haben. Der Bundesinnenminister äußerte Enttäuschung über die Entscheidung der unabhängigen Justiz, verlor aber kein Wort zum dubiosen Agieren der ihm unterstellten Bundesanwaltschaft.

Aus dem Fall Mzoudi könnte vor allem deswegen ein Fall Schily werden, weil dieser sowohl der Justiz wie dem Bundestag - die CDU/CSU hat bereits protestiert - seine Vorabkenntnisse über den 11. September nicht zugänglich macht. So haben neben US-Agenten auch deutsche Verfassungsschützer die Atta-Wohngemeinschaft in Hamburg bereits drei Jahre vor den Anschlägen überwacht und insgesamt 8.400 Telefonanrufe auf 1.400 verschiedene Rufnummern mitgehört. Mindestens einen Versuch der CIA, einen Syrer im Umkreis Attas 1999 als Agenten zu werben, hat das Landesamt für Verfassungsschutz registriert und angeblich zurückgewiesen (Die Welt, 18.11.2002) Ein weiterer Syrer - oder ist es derselbe? - nämlich Mohammed Haydar Zammar, wurde vom Bundesamt für Verfassungsschutz bereits seit 1997 im Rahmen der Operation Zartheit observiert. "Vielmehr schlossen sich die drei Hamburger Todespiloten und ihre Helfershelfer unter den Augen diverser Nachrichtendienste zu einer Terrorgruppe zusammen", resümierte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung am 2. Februar 2003.

Warum hat Schily die Ermittlungsergebnisse seiner Dienststellen nicht zur Verfügung gestellt? Warum verweigerte er den Hamburger Richtern Zugang zu den vorliegenden Aussagen des angeblichen (!) Masterminds des 11. September, Ramzi Binalshibh, mit dem Argument, dies könne "dem Wohl des Bundes Nachteile bringen"? Warum reiste er - eigens wegen des Mzoudi-Verfahrens - Anfang Dezember zu seinem US-Amtskollegen Ashcroft? Wie passt das damit zusammen, dass vom - Schily unterstehenden - Bundeskriminalamt kurz darauf dem Gericht eine anonyme Zeugenaussage aus den USA übermittelt wurde, die zur Freilassung Mzoudis führte?

Die Ergebnisse der Observation des Atta-Freundeskreises dürfen offenbar nicht bekannt werden, weil sie kein gutes Licht auf die Rolle amerikanischer und deutscher Dienste im Vorfeld des 11. September werfen. Dafür nimmt Schily selbst in Kauf, dass ein Angeklagter freigesprochen wird, denn dieses Malheur kann man schnell korrigieren: Der Hamburger Innensenators Nockemann hat sofort nach dem Urteil angekündigt, Mzoudi nach Marokko abzuschieben. Dort hat dann Ashcroft Zugriff - und Schily ist aus dem Schneider.


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