Ist ein deutsches 9/11 in letzter Minute verhindert worden? Sollte - rechtzeitig zum Jahrestag des 11. September - "der wohl gefährlichste Anschlag der bundesdeutschen Geschichte" (Spiegel) "eine bisher nicht gekannte Dimension des Schreckens nach Deutschland" bringen (FAZ)? So oder ähnlich las man es nach der Festnahme dreier Verdächtiger am 4. September im sauerländischen Oberschledorn.
Schon leitet Innenminister Schäuble aus dem Geschehen den ultimativen Imperativ ab, nun endlich den Zugriff auf private Computerfestplatten zu ermöglichen - obwohl nach allen bisherigen Informationen keineswegs die Online-Fahndung, sondern nur das bereits legale Spektrum von Überwachungsmethoden bei der Jagd auf die angeblichen Terroristen in Gebrauch kam. Der Widerstand der SPD gegen den perfektionierten Überwachungsapparat bröckelt erkennbar.
Dabei gibt es gute Gründe, nicht nur dem Vordringen von Big Brother zu wehren, sondern auch der Hysterie entgegenzutreten, mit der das Bundesinnenministerium einem Mega-Anschlag in Deutschland regelrecht herbeiredet. Wie viele ungeklärte Fragen es im aktuellen Fall gibt, zeigt schon der Umstand, dass selbst die Bild-Zeitung mittlerweile darüber berichtet. So schreibt das Springer-Blatt in seiner Ausgabe vom 10. September unter der Überschrift Die Merkwürdigkeiten im Fall der deutschen Terror-Bomber: "Fritz G., Adem Y., Daniel S. und ihre Helfer müssen seit Monaten gewusst haben, dass sie unter Beobachtung standen: (...) Warum machten die drei trotzdem weiter?"
Die angeblichen Superterroristen von Oberschledorn legten quer durch die Republik eine Fährte so breit wie eine Elefantenspur. Völlig unklar bleibt, warum angeblich mehrere hundert Beamte über sechs Monate mit ihrer Überwachung beschäftigt waren. Das Islamisten-Trio verhielt sich dermaßen exhibitionistisch, dass einige Streifenwagen mit Dorfpolizisten vollauf genügt hätten.
Unglaublich, aber wahr: Fritz G., der angebliche Anführer der drei, war bereits 2005 unter dem Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung kurzzeitig festgenommen worden. Er wusste also, dass ihn die Behörden registriert haben. Trotzdem fuhr er am Silvestertag 2006 mit Freunden "mehrfach auffällig" (Spiegel) vor einer US-Kaserne in Hanau hin- und her - so auffällig, dass das Observationskommando des Verfassungsschutzes das Auto anhalten und die Personalien aufnehmen ließ. Am 6. Januar 2007 fand in der Wohnung von G. in Ulm und in der seines Freundes Ayhan T. in Bremen eine Hausdurchsuchung statt. Die FAZ wundert sich: "Dass Fritz G. und seine mutmaßlichen Komplizen sich von der Hausdurchsuchung nicht abschrecken ließen, dass sie im Gegenteil erst danach begannen, kanisterweise Explosivstoffe zu beschaffen, Häuser und Garagen zu mieten, militärische Zünder zu besorgen und in ihren (abgefangenen) E-Mails angeblich sogar die Fahnder zu verhöhnen, wirft ernste Fragen auf."
Beim Kauf der einschlägigen Chemikalien verhielten sich die mutmaßlichen Bombenbauer ebenfalls betont auffällig: Man fuhr mehrfach zu einem Großhändler nach Hannover, kaufte sukzessive zwölf Fässer mit 730 Kilo Wasserstoffperoxid und transportierte den Stoff quer durch die Republik.
Nichts brachte die Planer des "infernalischen Plots" (Spiegel) aus der Ruhe: Weder, dass Anfang Mai der Focus einen Artikel veröffentlichte, der die Gruppe ziemlich genau beschrieb, noch dass im Juni Tolga D., ein enger Freund von Fritz G., in Pakistan festgenommen und dann der Münchner Polizei übergeben wurde - angeblich nach einem Besuch in einem Terrorausbildungscamp. Wie dreist das Trio operierte, zeigen zwei Vorfälle: Einmal randalierte Adem Y. so wild vor einer Disco voller US-Soldaten - einem potentiellen Anschlagsziel -, dass eine Polizeistreife eingriff. Ein anderes Mal fühlten sich die Islamisten von der Observation der Dienste so genervt, dass sie seelenruhig an einer roten Ampel ausstiegen und dem Verfolgerwagen die Reifen zerstachen.
Auch die Wahl von Oberschledorn als Operationsbasis spricht Bände: In der beschaulichen 900-Seelen-Gemeinde kannte jeder jeden. Inmitten der braven Dörfler und treuen Dauertouristen mussten die drei wilden Männer auffallen wie Panzerknacker auf einer Geburtstagsparty im Hause Duck. Zu guter Letzt fuhren "Terror-Fritz" (so der Welt-Pejorativ) und seine Komplizen am 3. September mit aufgeblendetem Licht auf eine Polizeisperre zu, das Auto voll mit Elektrozubehör zum angeblichen Bau ihrer Höllenmaschine. Als wollten sie plakatieren: Wir sind gefährlich, bitte nehmt uns fest.
Zur Auflösung all dieser Merkwürdigkeiten gibt es drei Theorien. Entweder die Truppe war zu blöd, ihre kriminelle Energie zielführend einzusetzen. Oder sie wollte durch ihr auffälliges Agieren die Sicherheitsbehörden von anderen Terrorzellen ablenken, die in der Zwischenzeit unbehelligt ihre eigenen Planungen weitertreiben konnten. Oder die drei fühlten sich vor Verhaftung geschützt, weil sie im Auftrag irgendeines Geheimdienstes handelten und glaubten, Protektion von höchster Stelle zu genießen.
Im Auge behalten sollte man den Hinweis des Spiegel, dass Fritz G. "vor ein paar Jahren im Umfeld von Yehia Yousif in Neu-Ulm auftauchte ... Zeitweilig war er (Yousif) V-Mann des Verfassungsschutzes. Unter Yousif entwickelte sich Neu-Ulm ... zu einem bundesweiten Magneten für Islamisten ..."
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