Die rote Linie

Iran-Krise Auf der Münchner Sicherheitskonferenz trat die Bundeskanzlerin aggressiver auf als die US-Vertreter

Wenn es schon sonst keiner sagt, muss es eben der iranische Vize-Außenminister Abbas Araghchi sagen: "Ein Politiker sollte nicht die Augen schließen und dann einfach den Mund aufmachen, sondern erst die Augen und dann langsam den Mund." Mit dem Politiker war eine Politikerin gemeint, und die ist aus vollkommen unverständlichen Gründen in Deutschland derzeit auf einem demoskopischen Höhenflug: Kanzlerin Angela Merkel. Auf der traditionellen Münchner Sicherheitskonferenz trommelte sie für einen Krieg, bei dem - sollte es dazu kommen - alle Kriege seit Vietnam als harmlose Versuche erscheinen könnten.

Was Merkel in München erklärte, hätten Freund wie Feind eigentlich eher vom prominentesten US-Gast, Verteidigungsminister Rumsfeld, erwartet. "Der Iran hat mutwillig - ich muss das leider so sagen - die ihm bekannten roten Linien überschritten", griff sie ein Land an, das bisher die internationalen Verträge, darunter den Atomwaffensperrvertrag, punktgenau eingehalten hat. Und weiter: "Wir wollen und müssen die Entwicklung iranischer Nuklearwaffen verhindern." Vizeaußenminister Araghchi konterte, es sei "überraschend", dass das ausgerechnet seinem Land vorgeworfen werde, in dessen Nachbarschaft sich ein Staat befinde, der von Nuklearwaffen nur so strotze, sich über UN-Resolutionen hinwegsetze und die Palästinenser unterdrücke.

Merkel legte noch einmal nach, und diesmal sprach sie ohne Manuskript, das heißt, ohne die von ihren Sherpas ansonsten empfohlene Zurückhaltung: Als das NS-Regime in den Anfangsjahren erstarkt sei, habe es oft geheißen, das sei nur Rhetorik. "Es hat sich im Nachhinein herausgestellt, dass es Zeiten gegeben hätte, in denen man anders hätte reagieren können, und meines Erachtens ist Deutschland verpflichtet, schon auf früher Stufe etwas zu tun." So hatte sie den angeblichen Schurkenstaat mit dem Nazi-Regime gleichgesetzt - eine seit dem Ende der Bipolarität im Westen beliebte Argumentationsfigur, die im Falle des Irak und Jugoslawiens zwingend die Phase der direkten Kriegsvorbereitung eingeläutet hat. Zuerst galt Saddam als Hitler, dann Milos?evic´, nun ist Ahmadi-Nedschad an der Reihe. Kein Zweifel, in seinen Reden versucht der iranische Präsident, mit wüstem Antisemitismus zu punkten. Doch man sollte nicht übersehen, dass der Iran eines der wenigen Länder der Welt ist, in dem Juden niemals verfolgt und niemals vertrieben wurden - das gilt bis heute. Dass es hierzulande anders, ganz anders war, missbraucht Merkel - "Wir haben aus unserer Geschichte gelernt" - nun als Argument dafür, den Persern Mores zu lehren, alles andere sei - so wörtlich - "Appeasement". Ehre, wem Ehre gebührt: Auschwitz als Grund nicht gegen, sondern für Krieg zu missbrauchen - darauf sind schon Heiner Geißler in der Nachrüstungsdebatte 1983 und dann Joschka Fischer zur Rechtfertigung des Angriffs auf Jugoslawien 1999 gekommen. Aber immerhin, auch das muss gesagt werden, hat letzterer auf der Münchner Konferenz im Februar 2003 Rumsfeld sein "I´m not convinced" entgegengehalten und damit im Vorfeld der Aggression gegen den Irak einen Dissens markiert, an den die Friedensbewegung anknüpfen konnte.

Nichts davon bei Merkel, im Gegenteil. Zum Verhältnis USA - EU bemerkte sie, dass "das Maß an Übereinstimmung erstaunlich ist". Und über die feinen Unterschiede in der jeweiligen Militärdoktrin: "Ich will jetzt einmal nicht weiter über die Unterschiede zwischen den Worten ›preemptive‹ und ›preventive‹ philosophieren, aber es ist hochinteressant, dass sich die Dinge doch in eine gemeinsame Richtung entwickeln." Dass davon Rumsfeld Co. begeistert sind, kann nicht überraschen. Aber auch die Süddeutsche Zeitung lobte "Frau Merkels Gespür für Stil" und Grünen-Chef Reinhard Bütikofer ihre "frische Art". Die Reihen schließen sich.


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