Wie nahe am Abgrund wir in der Iran-Krise stehen, zeigt der Alarmruf eines Mannes, der sie bis zum Herbst mit zuspitzen half: Am 27. April meldete sich Joschka Fischer mit einem Offenen Brief in der International Herald Tribune nach langem Schweigen wieder außenpolitisch zu Wort. Bis zur Abwahl der Schröder-Regierung hatte sich der Grüne mit seinen Amtskollegen aus Frankreich und Großbritannien - der so genannten EU-3 - tatkräftig am Aufbau einer Drohkulisse gegen das Teheraner Regime beteiligt. Nun wandte er sich gemeinsam mit der ehemaligen US-Außenministerin Albright und den Ex-Ministern Védrine aus Frankreich, Jozias van Aartsenden aus den Niederlanden und Bronislaw Geremek aus Polen direkt an George Bush. Es gebe irritierende Berichte über die Planungen für einen Militärschlag gegen Einrichtungen, in denen Iran möglicherweise Atomwaffen herstellen wolle, schreiben die sechs. "Ähnliche Berichte und ähnliche Details gingen auch der Entscheidung voran, im Jahr 2003 in den Irak einzumarschieren."
Tatsächlich sind die Parallelen überdeutlich. Wie damals legitimieren sich die Planungen auch heute mit der angeblichen Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen. Der einzige Unterschied besteht darin, dass im Falle Saddam Husseins die Existenz solcher Waffen unterstellt wurde und es mit Richard Butler, dem zeitweiligen Chef der UN-Kontrollkommission, auch einen angesehenen Experten vor Ort gab, der den Lügen Reputation verlieh. In Sachen Iran hingegen wird auch von den schlimmsten Einpeitschern nicht vor einer vorhandenen, sondern lediglich künftigen Produktion nuklearer Sprengsätze gewarnt - kein Wunder, da die US-Dienste mit ihrer National Intelligence Estimate noch im August 2005 erklärten, das Land sei ein Jahrzehnt von der Bombe entfernt. Diese Frist lässt sich mit journalistischem Hokuspokus zwar verkürzen, doch keineswegs gänzlich ignorieren. Andererseits haben Futur und Konjunktiv für Medien auch den Vorteil, das Publikum mit Andeutungen schrecken zu können und keine Beweise vorlegen zu müssen.
Wie man das macht, demonstrierte der Nachrichtensender N24 Anfang 2006: "Mit der Wiederaufnahme ihres Nuklearforschungsprogramms hat die iranische Regierung der ganzen Welt gezeigt, dass sie sich um internationale Appelle nicht schert." Zwar hätten auch die Inspekteure der IAEO in der Vergangenheit "keinen rauchenden Colt, also keinen eindeutigen Beweis, für ein geheimes Atomwaffenprogramm entdeckt - aber jede Menge Argumentationshilfen für die USA und andere Staaten, die ein solches Programm vermuten. Gefunden wurden unter anderem Zeichnungen von Gegenständen, die wie Teile von Sprengköpfen aussehen".
So sehen "Argumentationshilfen" also aus: Kein Wort vom Festhalten Teherans am Atomwaffensperrvertrag, statt dessen Andeutungen en masse. Bei denen geht es nicht um Atomwaffen oder eine kritische Masse von Spaltstoffen, es geht noch nicht einmal um Konstruktionspläne von Kernwaffen, sondern lediglich um Zeichnungen, die aussehen wie Teile von irgend etwas. Genaueres konnte man in der April-Ausgabe des US-Magazin The New Yorker einem Text von Seymour Hersh entnehmen: Auf einem iranischen Laptop wurden demnach 1.000 Seiten mit technischen Skizzen für konventionelle, aber keine für atomare Waffen gefunden sowie Unterlagen über eine Anlage, die man zur Urananreicherung nutzen könnte. Gefunden hat den Laptop nicht die Atomenergiebehörde IAEO. Er wurde den US-Diensten überbracht, nicht von einem iranischen Überläufer, sondern - angeblich - von dessen Familienangehörigen. Der Überläufer war nämlich vor dem Überlaufen im Iran festgenommen worden, weil er früher auf der Gehaltsliste der CIA und des BND stand. Noch Fragen?
Das Ganze erinnert verdammt an Beweise, die einst der irakische Oppositionspolitiker Ahmad Chalabi für Saddams ABC-Waffen präsentierte und die sich - ein paar 10.000 Tote später - allesamt als erlogen herausstellten. Einen solchen Kronzeugen gibt es auch heute: Alireza Jafarzadeh, ein Sprecher der oppositionellen Volksmudschahedin, geht derzeit in den USA von Talkshow zu Talkshow damit hausieren, über Kontakte zu Insidern in der Regierung und den Forschungszentren des "Schurkenstaates" zu verfügen. Mehr als die Hälfte der Medienberichte über Irans Atomwaffen gehen auf ihn zurück. Merkwürdig, denn die Volksmudschahedin werden sowohl von den USA wie der EU als "terroristische Organisation" geführt. Aber das war noch nie ein Hindernis, weder bei der Kooperation mit Osama bin Laden gegen die Sowjets in Afghanistan noch der Waffenbrüderschaft mit der kosovo-albanischen UCK gegen die Serben.
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