Höchst dilettantische Täter

Terroralarm Anschläge mit diffusem Hintergrund sollen weiter beschränkte Grundrechte rechtfertigen

Anfang Juli 2007: Bei der Vorstellung des neuen CDU-Programmentwurfs verkündet Angela Merkel eine Zäsur: "Ganz neues Denken" sei jetzt geboten, und dies bedeute auch Bundeswehreinsätze im Innern. Wolfgang Schäuble, der dies im Unterschied zu ihr schon seit längerem predigt, nutzt die Gunst der Stunde, seine Forderung nach Online-Durchsuchungen von Privatcomputern zu erneuern. Auf weitere verfassungsrechtliche Prüfungen, wie von Justizministerin Brigitte Zypries gefordert, könne man nicht mehr warten. In Großbritannien werden Notstandsmaßnahmen verkündet, der gerade inthronisierte Premier Gordon Brown stimmte seine Landsleute auf eine Bedrohung ein, die "nicht in Wochen und nicht in Monaten" zu Ende sein werde. Die Polizei müsse Verdächtige länger in Vorbeugehaft nehmen können, 90 statt bisher 28 Tage, und zwar auch ohne zwingenden strafrechtlichen Grund.

Kurz zuvor hatte angeblich al Qaida wieder zugeschlagen - beziehungsweise "ein lockeres, aber tödliches Netzwerk", wie es ein Sicherheitsberater von Brown beschrieb. In London sei am 29. Juni die "schlimmste terroristische Gräueltat in Großbritannien" abgewendet worden, am 30. Juni habe nur Zufall ein "Blutbad" in Glasgow verhindert, verkündeten Sprecher von Scotland Yard.

Untersucht man die Vorfälle genauer, reibt man sich ob des Dilettantismus der Täter die Augen: Der Fahrer des Autos, das angeblich vor dem Londoner Tiger Tiger Club explodieren sollte, war mit seinem Gefährt ins Schlingern geraten und hatte es gegen eine Mülltonne gesetzt. Während er torkelnd davon lief, begann die Ladung so sehr zu qualmen, dass eine Krankenwagenbesatzung die Polizei alarmierte. Ein zweiter PKW war in der Nähe abgestellt worden, und zwar ausgerechnet in einer Halteverbotszone, wo er todsicher auffallen musste. Beim Abschleppen roch der Wagen penetrant nach Benzin, so dass er sicherheitshalber außerhalb des vorgesehenen Parkhauses arretiert wurde. In Glasgow war der Jeep beim Versuch, in den Abfertigungsterminal des Flughafens zu brettern, gegen Sperrpoller gekracht. Offenbar hatten die Meisterterroristen nicht einmal vorher ihren Tatort inspiziert und die Schutzmaßnahmen abgecheckt. Was in allen Fällen als Sprengsätze ausgegeben wurde, waren Benzinkanister, Nägel und Propangasflaschen, irgendwie verbunden mit Mobiltelefonen, die nicht funktionierten. Das war nicht al Qaida, das waren höchstens Dick und Doof.

Auffällig ist auch, dass Scotland Yard keine Fotos der Videoüberwachung freigibt. Polizeikameras hängen in der Londoner Innenstadtzone, in der auch der Tiger Tiger Club liegt, im Abstand von nur 50 Metern. Der US-Kanal ABC berichtete, vom flüchtenden Mercedesfahrer lägen "gestochen scharfe Aufnahmen" vor. Seltsam: Nicht aufgrund der Videoüberwachung, sondern erst nach Alarmierung durch eine Drittperson wurde die Polizei aktiv. Und wäre es nicht nützlich, die Bevölkerung mit diesen Fotos zur Mithilfe bei der Fahndung aufzurufen? Statt dessen verhaften die Sondereinheiten jeden Tag andere Araber aufgrund von Indizien, deren Stichhaltigkeit kein Mensch überprüfen kann.

Nicht die Anschläge, wohl aber die Panikkampagne hinterher erinnern an den Terror vom 7. Juli 2005, als in Londoner U-Bahnen und einem Bus 52 Menschen ermordet wurden. Von den vier moslemischen Vorstadt-Kids, die es gewesen sein sollen, wurde bis heute keine einzige Videoaufnahme vom Tag der Tat präsentiert, obwohl die Bahnhöfe der britischen Hauptstadt totalüberwacht sind. Der vermeintliche Rädelsführer Mohamed Sidique Khan war seit Anfang 2004 den britischen Diensten bekannt - in seinem Auto fand man hinterher eine Wanze.


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