Als der Bundestag in dieser Woche über den Kampfeinsatz deutscher Soldaten vor der libanesischen Küste debattierte, begründeten Politiker der Koalition dessen Notwendigkeit auch mit ihrem neuen Sicherheitsbegriff: Damit der Terror aus anderen Weltgegenden nicht zu uns komme, müssten unsere Soldaten möglichst überall out of area präsent sein, von wo Gewaltexport in unsere Breiten drohe. Idealtypisch die Absage von Außenminister Steinmeier an die klassische Landesverteidigung: "Dazu ist die gesamte Welt längst viel zu sehr zusammengewachsen. Wir haben das gerade erst wieder erlebt. Wenn im Nahen Osten ein Krieg ausbricht, wächst die Terrorgefahr auch in den Regionalzügen bei uns."
Damit spielte der Sozialdemokrat auf eine Inszenierung im diesjährigen Sommertheater an, mit der das Publikum nicht zuletzt auf die Truppenentsendung in den Libanon eingestimmt wurde: den - angeblich - nur knapp verhinderten Kofferbombenanschlag auf zwei Nahverkehrszüge in Köln. Heiße Spur in den Libanon - Terroristen schlagen wieder zu!, warnte die Bild-Titelseite schon am ersten Tag der Kampagne. Im weiteren vermeldete das Blatt "aus sicherer Quelle", es gebe ein Bekennerschreiben der Hisbollah.
Selbstverständlich gab es dieses Bekennerschreiben nicht, aber das veranlasste das Springerblatt nicht zu einer Richtigstellung. Aber bevor man wohlfeil den ganzen Unmut an der Journaille auslässt, darf man die Politik nicht aus dem Auge verlieren. Die Medien berichteten nämlich erst ab 18. August, nachdem die Ermittlungsbehörden mit der Veröffentlichung verwackelter Videoaufnahmen vom Kölner Hauptbahnhof zum großen Halali auf "den Mann mit dem Ballack-Trikot" (Bild) und seinen Begleiter geblasen hatten. Das ist deswegen bemerkenswert, weil der versuchte Anschlag angeblich schon am 31. Juli stattgefunden haben soll. Doch damals war über die Sache nicht groß berichtet worden, obwohl man die potentiellen Tatwaffen - zwei Trolleykoffer mit Butangasflaschen - sofort entdeckt hatte. Brauchten die Ermittler über zwei Wochen um zu erkennen, dass hier ein "Massaker mit Hunderten Opfern" (Bild) geplant war? Oder passierte zwischen dem 31. Juli und dem 18. August irgend etwas, was einigen Politikern zu der Eingebung verhalf, zur Durchsetzung ihrer Anliegen - Terrordatei, Nahost-Kampfeinsatz - sei Terrorhysterie ein probates Mittel? Die Zurückhaltung von Ende Juli war jedenfalls sachlich weit eher begründet als die Dramatisierung ab Mitte August. Selbst wenn die Zünder funktioniert hätten, wären die Sprengsätze höchstwahrscheinlich nicht explodiert. Die Gasflaschen sollten nämlich durch je drei Plastikflaschen mit Benzin gezündet werden, die an ihnen befestigt waren. Der Sprengstoffexperte Bodo Plewinsky sprach im Interview mit Spiegel-Online von einer dilettantischen Konstruktion. "Birst die Flasche überhaupt? Das Benzin konnte doch sonst wo hinlaufen. Und in diesen Flaschen ist eine gewisse Sicherheit eingebaut, die halten einen erheblich erhöhten Innendruck aus. Schließlich vergessen manche sie ja auch im Sommer im Kofferraum, da wird es sehr heiß, und sie dürfen auch nicht explodieren."
Dass keine Katastrophe stattgefunden hatte, verstärkte die Paranoia eher noch. So konnten nämlich Spuren in den abgestellten Koffern sichergestellt werden, die auf das prospektive Einsatzziel der Bundeswehr hindeuteten: eine Einkaufsliste auf arabisch, auf der auch eine levantinische Joghurtmarke sowie eine Telefonnummer im Libanon stand. Auch die Hauptverdächtigen stammen aus der Zedernrepublik. Dabei gehört die Festnahme eines gewissen Youssef Mohamad E. zu den vielen Rätseln der Story. Angeblich soll er, gleich nachdem die ersten Ausschnitte des unscharfen Bahnhofsvideos über die TV-Kanäle liefen, panikartig bei seinen Eltern im Heimatland angerufen haben. Zu diesem Zeitpunkt kannten die Behörden seinen Namen nicht, logischerweise auch nicht seine Telefonnummer. Aber der libanesische Militärgeheimdienst schaffte das Kunststück, aus den Hunderten von Telefonaten in den Libanon , die an jenem 18. August zwischen der Bundesrepublik und dem Kriegsgebiet tätigt wurden - es war der Höhepunkt des israelischen Feldzuges, Deutsch-Libanesen hatten Angst um ihre Angehörigen! - zielsicher den einen von Youssef Mohamad heraus zu filtern und auszuwerten. Kommissar Zufall in Höchstform - oder?
Die Durchsuchung von Youssef Mohamads Studentenwohnung in Kiel war ebenfalls ein voller Erfolg: Selbstverständlich hatte der Mann Bekannte, unter anderem Jihad H. und Fadi al-S. Schnell waren auch die hinter Gittern, angeklagt unter anderem der Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung. Anfang September verkündete BKA-Chef Jörg Ziercke vor der Presse, das Tatmotiv sei ebenfalls "geklärt": Die Verdächtigen seien über die Mohammed-Karikaturen in Dänemark und die Liquidierung des irakischen Terrorchefs al-Sarkawi empört gewesen, ursprünglich hätten sie gar noch während der Fußball-WM zuschlagen wollen. Vorher hatten Medien spekuliert, Youssuf Mohamad habe die Bomben legen wollen, um die Tötung seines Bruders bei einem israelischen Angriff am 17. Juli zu rächen. Allerdings wurden die Butangasflaschen laut Kassenbon schon am 5. Juli gekauft; zu diesem Zeitpunkt lebte der Bruder noch, und die WM war bereits so gut wie vorbei. Es gibt weitere Ungereimtheiten: Der angebliche Mitverschwörer Jihad H. stellte sich freiwillig der libanesischen Polizei; er behauptete, den fraglichen Koffer abgestellt, aber von seinem Inhalt nichts gewusst zu haben. Und der vermeintliche Drahtzieher Fadi al S. musste inzwischen mangels Beweisen aus der Haft entlassen werden. Terroristische Vereinigung?
Dass es kein Terrornetzwerk war, sondern höchstens ein Erstsemester-Team, das mit Wut im Bauch drauflos stümperte, ist freilich kein Grund zur Entwarnung - im Gegenteil. Noch einmal O-Ton Bild: "Das Klischee vom irren Vollbart-Terroristen gehört längst ins Erinnerungsalbum der Fahnder! Der Attentäter von heute kann der junge Mann mit deutschem Pass von nebenan sein - ein Student wie jeder an der Uni. Aufmerksam hilft er vielleicht einer alten Dame über die Straße." Und an einem anderen Tag: "Wir werden uns in Zukunft daran gewöhnen müssen, niemandem zu vertrauen. Weder dem braven Asyl-Studenten, dem Döner-Koch und dem Kellner mit seinen arabischen Augen." Das ist die Feinderklärung an eine inländische religiöse Minderheit, aus dem Munde von Demokraten - und mit robustem Mandat.
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