Landesverrat oder Doppelspiel

BND-Affäre Der Bericht der Bundesregierung und ein Artikel der "New York Times"

Einen "Abgrund von Landesverrat" beschwor Kanzler Adenauer, als der Spiegel 1962 Unterlagen über die Kriegsplanung der Bundeswehr veröffentlichte. Wie aber soll man es nennen, wenn nicht ein Nachrichtenmagazin, sondern ein Nachrichtendienst gegen die eigene Regierung arbeitet? Oder darf von Verrat nur gesprochen werden, wenn die Russen respektive "Soffjets" (Adenauer) profitieren könnten? Nicht aber, wenn bundesdeutsche Top-Agenten geheime Informationen an die Amerikaner weitergeben?

Solche und ähnliche Überlegungen provoziert ein Artikel in der New York Times vom 26. Februar, der sich immerhin auf eine US-Militärstudie beruft. Danach hätten sich Ende 2002 zwei in Bagdad stationierte BND-Mitarbeiter Kopien geheimer Verteidigungspläne Saddam Husseins verschaffen können, die wenig später in Katar dem US-Militärgeheimdienst übergeben worden seien. Betrieb Rot-Grün ein doppeltes Spiel - wortgewaltiges Nein auf der einen Seite, klandestine Hilfe auf der anderen? Der NYT-Bericht spricht eher dafür, dass BND-Leute ihre Spuren auch gegenüber der eigenen Regierung verschleiern wollten: Am 3. Februar 2003 sollen die US-Stäbe den von den Deutschen beschafften Plan erhalten haben - aber erst zwölf Tage später meldeten die beiden Pullacher Agenten gegenüber den Vorgesetzten ihre Ankunft in Bagdad. Wenn sie vorher nicht dort waren - wo waren sie dann? Oder waren sie vorher dort, aber nicht in offizieller Mission?

Bisherige Befragungen von BND-Mitarbeitern durch das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) des Bundestages erhärten den Eindruck, dass diese die Ablehnung des Krieges durch die eigene Regierung des öfteren schlicht ignorierten - jedenfalls wenn man Hans-Christian Ströbele glauben darf, der für die Grünen in diesem eigentlich streng geheimen Gremium sitzt. Laut Ströbele hätten die zwei nach Bagdad geschickten deutschen Agenten entgegen der Darstellung im gerade vorgelegten Bericht der Bundesregierung solche militärischen Objekte gemeldet, "die nach Erkenntnissen des BND Ziele für Luftangriffe der US-Streitkräfte in Bagdad waren". Im Übrigen bestätigt der Regierungsreport, dass die beiden Späher aus der irakischen Hauptstadt "mehr als 130 Meldungen" absetzten, unter anderem "zum Charakter der militärischen Sicherheitspräsenz in Bagdad", von denen die BND-Zentrale in Pullach "sieben Koordinaten enthaltende Berichte an die US-Seite übermittelte". Die US-Army jedenfalls zeichnete die beiden Deutschen nach Kriegsende mit einem Orden aus und bedankte sich "für die Unterstützung von Kampfoperationen".

Glaubt man der Regierung Merkel, war die Ordensverleihung rein platonisch gemeint, da die US-Army die übermittelten Daten nicht zu Angriffen nutzte. Selbst wenn das stimmen sollte: Wie konnte der BND das vorab so genau wissen? An einem Einzelbeispiel wird die Rechtfertigung besonders fadenscheinig: Laut Regierungsbericht wurden zwar Koordinaten eines irakischen Offiziersclubs an die Amerikaner übermittelt, doch sei diese Amtshilfe nicht kriegsrelevant gewesen, da die US-Armee das Ziel bereits zuvor komplett ausgebombt habe. Ströbele hat die Aussagen der Bagdader BND-Leute vor dem PKGr anders in Erinnerung: Demnach meldeten sie am 28. März 2003 den Volltreffer auf die Stellung, fügten jedoch an, dass sich dort erneut irakische Kräfte massiert hätten. Drei Tage später wurde derselbe Offiziersklub nochmals angegriffen und dem Erdboden gleichgemacht. "Es liegt nahe anzunehmen, dass die erneute Bombardierung, die nach dem Treffer auf dieselbe Stelle eigentlich schwer verständlich ist, auf die Meldung ... durch die BND-Mitarbeiter erfolgt ist", schlussfolgert Ströbele.

Sämtliche BND-Vertreter sollen vor dem PKGr die klare und eindeutige Auftrags- und Weisungslage der Bundesregierung an den Geheimdienst betont haben. Diese Direktive - heißt es im Bericht der Bundesregierung - sei jedoch nur mündlich gegeben worden. Zumindest ein Pullacher Mitarbeiter, der mit Bagdad und der US-Seite in Kontakt stand, will sie nicht gekannt haben. Überdies, das weiß wiederum Hans-Christian Ströbele, hat die BND-Spitze die Einhaltung der hochsensiblen Dienstanweisung auch gar nicht überprüft - für eine deutsche Sicherheitsbehörde vermutlich ein einmaliger Vorgang.


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