Noch einmal gegen Serbien

Balkanpolitik Die Sezession der Provinz Kosovo gehört zu den Prioritäten der anstehenden deutschen EU-Ratspräsidentschaft

Aus der Kriminalpsychologie weiß man, dass es Täter oft an den Tatort zurückzieht. Im Falle Deutschlands wirkt der Genius Loci besonders stark: 1991 gehörte die Regierung Kohl/Genscher zu den Protagonisten der Zerstückelung des alten Jugoslawiens, 1995 flog die Bundeswehr - ihre Premiere! - im Bosnienkrieg mit, 1999 verlor Rot-Grün bei der völkerrechtswidrigen Aggression gegen Serbien die außenpolitische Unschuld. Im Jahre 2007 will Kanzlerin Angela Merkel in die Fußstapfen ihrer Vorgänger treten und die Kosovo-Frage endgültig lösen.

Erinnern wir uns: 1999 hat die NATO nach elfwöchigem Krieg die südliche Provinz Serbiens befreit - so jedenfalls die offizielle Lesart. Den Befreiungsbomben fielen etwa 3.000 Jugoslawen zum Opfer. In der Folge rückten 45.000 NATO-Soldaten in das Gebiet ein. Diese so genannte Kosovo-Schutztruppe (KFOR) konnte jedoch nicht verhindern, dass großalbanische Nationalisten die meisten Serben und Roma inzwischen verjagten: 250.000 sind geflohen.

Völkerrechtlich gehört das Kosovo noch immer zu Serbien, übergangsweise wird es von einer UN-Mission (UNMIK) verwaltet, doch das vom Sicherheitsrat 1999 mit der Resolution 1244 geschaffene Provisorium wollen NATO und EU nun unter deutscher Führung beenden. Die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), einer der wichtigsten Think Tanks der Merkel-Regierung, hält die Unabhängigkeit des Kosovo "spätestens im ersten Vierteljahr 2007" für eine ausgemachte Sache. Sollte Belgrad dem nicht zustimmen, werde "man" versuchen, "eine von außen bestimmte Lösung durchzusetzen", heißt es. "Deutschland hat in dieser Zeit nicht nur die EU-Ratspräsidentschaft inne, sondern ist auch in der (Balkan-)Kontaktgruppe als Einzelstaat neben der EU mitbestimmend und wird daher mit doppeltem Gewicht mitsprechen." Vor allem würden in die Zeit der deutschen Ratspräsidentschaft "die ersten Umsetzungs- bzw. Implementierungsschritte des Statuswandels" fallen - mit anderen Worten: die Durchsetzung der Sezession gegen Widerstände vor Ort. "Diese Aufgaben werden nachhaltiges diplomatisches Engagement fordern und die politischen, militärischen und finanziellen Ressourcen der EU ... beanspruchen", sagt die Stiftung weiter. Unter "militärischen Ressourcen" sind die derzeit 16.000 KFOR-Soldaten zu verstehen, davon knapp 3.000 deutsche, die unter dem Oberbefehl des Generals Roland Kather stehen.

Russland hat mehrfach klar gemacht, es werde einer Unabhängigkeit des Kosovo in der UNO nicht zustimmen, da es sich um einen gefährlichen Präzedenzfall für das Völkerrecht handele. Zwar sind nach der Auflösung der UdSSR (1991) beziehungsweise Jugoslawiens (1992) eine ganze Reihe neuer Staaten entstanden - doch ging es dabei ausschließlich um frühere Teilrepubliken. Das Kosovo dagegen hatte nie diesen Status, die Provinz war stets eine untergeordnete Verwaltungseinheit Serbiens. Würde daraus ein selbstständiger Staat, könnten auch Transnistrien in Moldawien, Abchasien in Georgien, Tschetschenien in Russland, das Baskenland in Spanien und viele andere mehr dasselbe verlangen.

Der Schulterschluss zwischen Belgrad und Moskau hat den forschen Zeitplan, wie er mit der SWP-Studie im September 2006 skizziert wurde, etwas durcheinandergebracht. Hinzu kam im Oktober das Referendum über die neue serbische Verfassung, bei dem die Bevölkerung auch für die bedingungslose Zugehörigkeit des Kosovo zum Gesamtstaat votierte. Schon geht in Washington, Berlin und Brüssel die Angst um, die Enttäuschung über den Westen könnte dazu führen, dass die NATO-feindliche Radikale Partei Serbiens nach den Parlamentswahlen am 21. Januar 2007 den Premier stellt. Um dies zu vermeiden, nahm der Nordatlantikpakt Serbien Ende November sogar in sein Partnerschaftsprogramm auf. Jetzt müsse die NATO die territoriale Integrität Serbiens inklusive Kosovo verteidigen, frohlockte Premier Vojislav Kostunica hinterher. Ob die Wähler ihm das glauben? Und ob die NATO das auch so sieht?


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