Es knirscht im Vereinigungsprozess der Linkspartei.PDS und der Wahlalternative WASG. Das ist kein Wunder, denn tief verwurzelte Traditionen prallen aufeinander: SPD-geprägte Sozialdemokraten und SED-geschulte Sozialisten, Feministinnen und Gewerkschafter, keynesianische Anhänger der Vollbeschäftigung und Lafargues Freunde der Faulheit.
Wolfgang Neskovic ist ein bisschen von allem. Als Richter ansonsten an strenges Auftreten mit Krawatte und Robe gewöhnt, schlürft er bisweilen auch im schwarzen Designer T-Shirt in Berliner Strandcafés Milchkaffee. Hat er nicht 1994 für die Legalisierung von Cannabis und das "Recht auf Rausch" plädiert? Dolce far niente - so stellt man sich gemeinhin einen typischen Wessi aus der Toscana-Fraktion vor. Doch der Schein trügt: Neskovic ist ein Arbeitstier, und sein Herz schlägt für den Osten. Als Bundestagskandidat auf der Brandenburger Liste der Linkspartei ist er viel in der Mark herumgekommen und war beeindruckt von den Menschen dort. "Sie sind freundlicher, herzlicher und kritikfähiger als die Leute in der alten Bundesrepublik. Nicht erst beim Irak-Krieg, sondern schon 1999 beim Krieg gegen Jugoslawien gab es im Osten sehr viel deutlichere Umfragemehrheiten für Verhandlungen, Waffenstillstand, Aufhören." Das Engagement für Jugoslawien wurde Neskovic in die Wiege gelegt: Er wurde 1948 als Sohn einer Deutschen und eines Serben geboren - daher steht Dragie (für Dragoslav) als zweiter Vorname auf seiner Geburtsurkunde. Sein Vater war von der Wehrmacht verschleppt und im "Dritten Reich" zur Zwangsarbeit gezwungen worden. In der Nachkriegs-BRD wurde einem solchen Kind freilich nicht mit besonderer Anteilnahme begegnet, ganz im Gegenteil. "Du alter Russe", höhnten ihm die Mitschüler hinterher. "Vielleicht hat gerade diese Diskriminierung gegenüber mir als sogenanntem Andersrassigen mein Gerechtigkeitsempfinden geweckt", erklärt Neskovic heute seine frühzeitige Neigung zum Beruf des Juristen.
Die deutsche Einmischung auf dem Balkan war es auch, die Wegmarken für seine politische Biographie setzte. Der SPD kehrte er 1994 nach 15-jähriger Mitgliedschaft den Rücken, weil sie den Asylkompromiss mittrug und vor dem Hintergrund des bosnischen Bürgerkrieges immer stärker einem militärischen Interventionismus das Wort redete. Mit den Grünen, denen er bald beitrat, überwarf er sich wegen des von Joschka Fischer betriebenen und dann von der Partei mehrheitlich unterstützten Überfalls der NATO auf Jugoslawien im Jahre 1999. Bei den Europawahlen kurz darauf forderte er öffentlich dazu auf, keine Stimme den Kriegsparteien zu geben - also auch nicht den Fischermen. "Im Kampf der Macht gegen Ideen hat bei den Grünen immer die Macht gewonnen", fasst Neskovic zusammen.
Trotz dieser ernüchternden Erfahrungen mit SPD und Grünen will Neskovic künftige Koalitionen mit diesen Parteien nicht ausschließen. "Ich bin an diesem Punkt nicht dogmatisch. Allerdings: Nur damit Leute von uns Minister werden und einen Dienstwagen bekommen, dafür lohnt es sich nicht. Es muss etwas für die Menschen herauskommen. Die SPD muss sich bewegen. Andererseits habe ich als Richter auch gelernt, dass Kompromisse gemacht werden müssen." Kompromisse auch in der Frage der Auslandseinsätze der Bundeswehr? Neskovic lehnt den Einsatz vom Kampftruppen kategorisch ab und fordert den Rückzug der KSK-Einheiten aus Afghanistan. Den Einsatz von Greenkorps "zum Aufbau von Krisenregionen" kann er sich hingegen vorstellen, und in "unsicheren Gebieten" sollten diese auch das "Mandat zum Selbstschutz" haben. An diesem Punkt wirkt er, wie andere seiner Fraktion, etwas unsicher. Die Nagelprobe wird kommen, wenn im Bundestag die Verlängerung des Kosovo-Einsatzes deutscher Soldaten zur Abstimmung steht - zur Sicherung des Aufbaus einer Krisenregion, wie die Regierung wahrscheinlich versichern wird.
Neskovic war über 20 Jahre Richter am Landgericht Lübeck und die letzten vier Jahre am Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe. Gegen seine Ernennung hatte der BGH-Präsidialrat zunächst Einspruch erhoben, weil er Neskovic für "fachlich nicht geeignet" hielt. Dabei ging es aber offensichtlich nicht um Juristerei, sondern um Politik: Für Neskovic ist nämlich, anders als für die meisten seiner Zunft, das Recht kein Instrument zur Betonierung, sondern zur Veränderung der Gesellschaft. "Das Grundgesetz ist für einen demokratischen Sozialismus bestens geeignet. Mit dem Mittel der Verfassung und mit dem Mittel des Gesetzes können wir, die Linken, viel für die Menschen erreichen. So gehört das Sozialstaatsprinzip zu den unveränderbaren und nicht abschaffbaren Grundprinzipien unserer Verfassung. Wer also sagt, wir könnten uns den Sozialstaat nicht mehr leisten, steht nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes. Er ist entweder ein Verfassungsfeind oder ein Verfassungsignorant." Kein Wunder, dass die Verfassungsfeinde nicht klatschten, als der Rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion am vergangenen Mittwoch seine Jungfernrede hielt.
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