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Kommentar Fischer live vor dem Untersuchungsausschuss

Gäbe es noch ein proletarisches Milieu, so wären am kommenden Montag die Eckkneipen auch tagsüber gestopft voll mit Arbeitslosen, Ein-Euro-Sklaven und blaumachenden Gewerkschaftern. Überm Tresen flimmerte im Fernseher live ein Großereignis, das mehr Unterhaltungswert verspricht als Champions League und Formel 1 zusammen: Kaum ein Freund der arbeitenden Klassen im eigenen Land wie - er ist Außenminister - im Weltmaßstab wird öffentlich gegrillt. Joseph Fischer, meist zu Joschka verniedlicht, muss zum Verhör, und alle werden sehen können, wie der Minister schwatzt und schwitzt.

Es ist eine Premiere, dass Sitzungen eines Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages zeitgleich von einem Millionenpublikum verfolgt werden können. Allerdings hat das mit der vielbeschworenen Amerikanisierung der Demokratie rein gar nichts zu tun; denn Uncle Sams Charaktermasken geben sich zwar gern telegen, aber wenn´s drauf ankommt, scheuen sie das Licht der Öffentlichkeit. So waren bei George W. Bushs Befragung durch den 9/11-Ausschuss nicht einmal Reporter zugelassen, von Kameras ganz zu schweigen. Und Clintons Verhör bei Monica-Gate wurde zwar auf Video aufgezeichnet, aber nur zum internen Gebrauch in der Untersuchungskommission.

Schön ist, dass Fischer - ansonsten sehr von sich überzeugt - um die Unkalkulierbarkeit dieses Events durchaus weiß und schon im Vorfeld Nerven zeigt. "Er ist bei den Kirchen", beantwortete er im Bundestag eine Frage nach dem Verbleib des Kanzlers. Statt um Kirchen ging es aber um Kirchner, den argentinischen Präsidenten. Da fragt man sich, ob Fischer ein Hörproblem hat oder bei ihm das Memory Board schwer angegriffen ist. Oder sabotiert ihn sein eigener Stab mit Falschinfos? Alle drei Varianten könnten vor dem Untersuchungsausschuss zu schönen Eigentoren führen.

Fischers Kirchen/Kirchner-Fauxpas gab anschließend Angela Merkel die Chance zu einer maliziösen Korrektur und brachte selbst dieser drögen Figur viele Lacher. Das weckt die Hoffnung, dass der nicht weniger blasse Chefankläger im Ausschuss, CDU-Obmann Eckart von Klaeden, vielleicht auch ein paar Treffer gegen den Minister landet. "Er hat eine Frisur wie meine Religionslehrerin", kalauerte Harald Schmidt über den Hinterbänkler. Allerdings besteht das Risiko, dass von Klaeden das schwarzbraune Klagelied von den Billiglöhnern und Zwangsprostituierten anstimmt, die "uns" die Arbeitsplätze respektive Spermien geklaut haben. Dass das Kapital nach Osten auswandert und die dortigen Marginalisierten dann nach Westen drängen, hat jedoch mit dem Visa-Erlass Fischers so gut wie nichts, dafür aber viel mit Neoliberalismus und EU-Erweiterung zu tun. Dafür sind die Schwarzen genauso verantwortlich wie die Rot-Grünen.


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