Wonach sieht es aus?

Serbien Die Wahlen bestätigen erst einmal die Polarisierung der Gesellschaft

"Die Zahlen bestätigen uns, dass sich seit dem Jahr 2003 nichts wirklich in Belgrad geändert hat", fasst Zoran Lucic vom Wahlforschungsinstitut CeSID die Ergebnisse des landesweiten Urnenganges vom 21. Januar zusammen. Damit ist das strategische Ziel der NATO-Mächte aufgegangen: Zu verhindern, dass die von ihnen betriebene Abspaltung des Kosovo zu einem Erdbeben in Serbien führt. Schließlich war die ursprünglich bereits für Ende 2006 geplante offizielle Deklaration der Separation auf einen Zeitpunkt nach den Wahlen verschoben worden.

Es ist bemerkenswert, dass trotz dieser Scharade die NATO-feindliche Radikale Partei (SRS) erneut zur stärksten Partei in der Skupstina wurde und im Vergleich zur Wahl von 2003 sogar noch 100.000 Stimmen hinzugewann. Im wesentlichen ist das Verhältnis der großen politischen Blöcke gleich geblieben: So konnten die Parteien, die sich einst zur Demokratischen Opposition Serbiens (DOS) vereinten, um die Regierung Milosevic zu stürzen, auch dieses Mal wieder 2,4 Millionen Wähler gewinnen. Das Gegenlager aus SRS und Sozialisten fand Rückhalt bei 1,4 Millionen - ebenfalls wie vor vier Jahren.

Im Binnenverhältnis des prowestlichen Blocks gab es freilich bedeutende Verschiebungen - so verdoppelte die Demokratische Partei (DS) des vor vier Jahren ermordeten Premiers Djindjic ihr Ergebnis auf knapp 23 Prozent (2003: 12,6 Prozent), während die leicht NATO-kritische Demokratische Partei Serbiens (DSS) von 17,7 auf 16,4 Prozent abfiel. Die erfreuliche Dezimierung der neoliberalen Wirtschaftspartei G17plus - von 11,5 auf 6,8 Prozent - wurde mehr als wettgemacht durch den erstmaligen Einzug einer neoliberalen und neokonservativen Kraft: Die Liberaldemokraten (LDP) des früheren Djindjic-Stellvertreters Cedomir Jovanovic errangen aus dem Stand 5,3 Prozent. Jovanovic und seine Freunde waren früher Aktivisten der US-finanzierten Studentenbewegung Otpor, deren Opposition gegen Milosevic das Modell für alle orangen Revolutionen lieferte. Als einzige Partei tritt die LDP offen für eine Abtrennung des Kosovo ein.

Die Radikalen (28,3 Prozent) sprachen noch in der Wahlnacht von einem "historischen" Sieg, mussten aber einräumen, dass sie keine Regierung bilden können, da ihnen die Partner fehlen. Die Sozialistische Partei (SPS) schnitt mit 5,6 Prozent zwar besser ab als erwartet, aber schlechter als 2003 (7,7 Prozent) - und als jemals zuvor, was wohl damit zu erklären ist, dass der neue SPS-Vorsitzende Ivica Dacic sich klar von der Vergangenheit distanziert und damit Stammwähler verprellt.

Vier Jahre lang herrschte in Serbien ein Interregnum: Ministerpräsident Kostunica stand einer Regierung vor, in der die politischen Extreme DS und SRS nicht vertreten waren. Seine DSS koalierte mit der G17plus und der Serbischen Erneuerungsbewegung (SPO) des langjährigen Außenministers Vuk Draskovic und konnte auf die Tolerierung der Sozialisten bauen. Doch mit dem Absturz der G17plus und dem Scheitern der SPO an der Fünfprozenthürde ist dieses Modell passé.

Für die Regierungsbildung bleiben nur zwei Möglichkeiten: Entweder ein Zusammengehen aller prowestlichen Parteien, was einer Wiederauflage des alten DOS-Bündnisses gleichkäme und die Lieblingsvariante der NATO wäre. Doch DOS fiel nicht von ungefähr 2002 auseinander: Kostunica warf der DS nach der Auslieferung Milosevics an das Haager Tribunal Staatsstreich-Methoden vor. Und ein führender DSS-Politiker sprach im Wahlkampf 2003 gar davon, Teile der DS seien in die Ermordung ihres eigenen Frontmannes Djindjic verwickelt gewesen. Umgekehrt boykottierte die DS aus Abneigung gegen die DSS-geführte Regierung im Vorjahr monatelang das Parlament.

Die Alternative für Kostunica wäre eine Allianz mit den Radikalen - eine Horrorvision für Washington, Berlin und Brüssel, doch nicht unwahrscheinlich, sollte die NATO das Kosovo tatsächlich ohne UN-Beschluss - also völkerrechtswidrig - von Serbien abspalten. Es sieht genau danach aus.


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