Eine Zäsur, die beschämt

Namibia Die Anerkennung des Völkermords an den Herero und Nama ist richtig. Die Art und Weise aber falsch
Ausgabe 22/2021

Nach 115 Jahren hat die Bundesregierung endlich den Völkermord an den Herero und Nama in Namibia anerkannt und will um Entschuldigung bitten. Zweifellos eine Zäsur. Die Art und Weise, wie das geschieht, ist allerdings beschämend.

Er sei froh und dankbar, dass mit Namibia eine Einigung erzielt worden sei, sagte Außenminister Heiko Maas (SPD), und zwar unter Beteiligung der Betroffenen. Wenn man eine Selbstverständlichkeit betont, wie etwa den Umstand, dass die Nachfahren der Opfer des Genozids an den Verhandlungen beteiligt waren, dann wohl vor allem deshalb, weil es nicht selbstverständlich ist oder nicht (ganz) stimmt. Schon im Vorfeld hatten Herero und Nama kritisiert, dass sie sich nicht ausreichend eingebunden fühlten. Mittlerweile haben nicht unerhebliche Gruppierungen die Einigung zurückgewiesen und sogar Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der im namibischen Parlament um Entschuldigung bitten sollte, zur Persona non grata erklärt.

Verärgerung herrscht auch darüber, dass es keine Wiedergutmachung geben soll, sondern lediglich Wiederaufbauhilfe. Jeden Rechtsanspruch weist Deutschland zurück, auch um keinen Präzedenzfall zu schaffen für Forderungen wegen deutscher Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg.

Dafür ist man bereit, Herero und Nama vor den Kopf zu stoßen, ihre Befindlichkeiten auf dem Altar des nationalen deutschen Interesses zu opfern. Nun ist Außenpolitik keine moralische Angelegenheit. Nur sollte man dann aufhören, sich so moralisch zu inszenieren. Es ist die enorme Kluft zwischen politischer Rhetorik und tatsächlichem Handeln, welche die Fallhöhe bestimmt.

Kennzeichen der postkolonialen Erinnerungspolitik der Regierung Merkel ist ihre Halbherzigkeit. Sie handelt nur, wenn es sich gar nicht mehr vermeiden lässt. Die Vision zum Umgang mit dem kolonialen Erbe fehlt, symbolische Gesten sind ihre Sache nicht, stattdessen bürokratisches Nachvollziehen des Unvermeidlichen. So setzte man das Berliner Humboldt Forum, dieses mit kolonialer Raubkunst gefüllte preußische Disneyland, in den Sand. Man ließ sich jahrelang kritisieren, ehe man sich entschied, den kolonialen Kern anzuerkennen, um erneut Jahre verstreichen zu lassen, um Objekte zu restituieren – und auch nur halbherzig, auf ausgewählte Objekte beschränkt, obwohl die Magazine von Raubgut überquellen.

Dennoch stellt die Erklärung zum ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts eine historische Wegmarke dar. Zum ersten Mal bekennt sich eine deutsche Regierung dazu, dass ein Genozid verübt wurde und dafür Zahlungen zu leisten sind. Das befeuert die internationale Debatte um Reparationen für Sklaverei und Kolonialismus. Zum ersten Mal erklärt eine deutsche Regierung offiziell, dass es einen deutschen Genozid vor dem Holocaust gab. Das wird die erinnerungspolitische Tektonik verschieben. Und endlich ist damit das Thema Rassismus in der deutschen Geschichte auf die Tagesordnung gesetzt, schließlich war der militärische Genozid in Namibia Teil eines umfassenderen Projekts der Schaffung des ersten „Rassenstaates“, einschließlich des damit intendierten administrativ-ökonomischen motivierten, kulturellen Genozids.

Was allerdings fehlt, ist die große, verbindende Geste. Schade, dass diese Gelegenheit verpasst worden ist.

Jürgen Zimmerer ist Historiker und Afrikawissenschaftler

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