Oba von Benin erhält Benin-Bronzen: Warum der vermeintliche Skandal keiner ist

Kommentar Der nigerianische Bundesstaat übergibt König Ewuare II. das Anrecht auf alle Benin-Bronzen. Das ruft Kritiker auf den Plan, für die die Versuchung offenbar unwiderstehlich ist, eine sich an Moral orientierende Politik zu kritisieren
Ausgabe 19/2023
Außenministerin Annalena Baerbock übergibt Benin-Bronzen an Nigeria (Archivbild)
Außenministerin Annalena Baerbock übergibt Benin-Bronzen an Nigeria (Archivbild)

Foto: Imago/Photothek

Im vergangenen Dezember schrieben Annalena Baerbock und Claudia Roth Geschichte, als sie in Abuja persönlich die ersten Benin-Bronzen übergaben und zugleich das Eigentum an 1.100 weiteren, einem Viertel aller weltweit bekannten. Und das, obwohl nicht deutsche Soldaten diese geraubt hatten – weil man sich nicht länger zu Nutznießern von kolonialem Raub machen wollte. Eine in seiner Konsequenz ebenso atemberaubende wie beispiellose Lehre aus der deutschen Geschichte, entwickelt an den Grundsätzen im Umgang mit NS-Raubkunst.

Die kolonialen Geschichtskämpfer ruhten nicht lange. Die Benin-Bronzen waren schließlich schon immer mehr als nur materielle Objekte: Im 20. Jahrhundert wurden sie zu Ikonen des kulturellen Verlusts, die das alte – koloniale – Narrativ von der Zivilisationsmission als Wesenskern des Kolonialismus erschütterten. Sie stellten bloß, um was es den Europäer:innen vor allem ging: Gold, Reichtum, Macht. Sie stehen für die Schamlosigkeit, mit der sich die Räuber als Retter des Raubguts inszenierten und ihre Trophäen des Unrechts stolz ausstellten, garniert mit einer Erzählung von künstlerischer Wertschätzung, welche die Plünderer und Vergewaltiger ehrte und die Beraubten noch in der Erinnerung rassistisch herabstufte.

An diese Diskurse schließt der Kampf gegen die Restitution an. Etwa wenn skandalisiert wird, dass der Oba (König) von Benin ein autoritärer Herrscher gewesen sei, der selbst Menschenopfer nicht scheute, als änderte das etwas am Raub. Auch war es nicht der Grund für die Invasion. Es wird geraunt, man habe ignoriert, dass das Königreich in den Versklavungshandel involviert gewesen sei, als wäre die Nachfrage nach Versklavten nicht vor allem von Europäern angefacht worden: kaum ein stichhaltiges Argument für einen Verbleib der Bronzen in Europa. Nun gibt es einen dritten Versuch, die „Restitutionslobby“ (Patrick Bahners) in die Schranken zu weisen. In der FAZ garniert ihn die Ethnologin Brigitta Hauser-Schäublin dieses Mal mit dem Vorwurf, Deutschland habe schlecht verhandelt, sich von den Nigerianern über den Tisch ziehen lassen, die nun die Benin-Bronzen an einen Privatmann verschenkt hätten, statt sie allgemein zugänglich zu machen.

Der erwartete Aufschrei folgte auf dem Fuß. Was hier wohl stärker wirkte, die Anschlussfähigkeit an den Rassismus (im Bild des betrügerisch verhandelnden Afrikaners oder des „Häuptlings“, der die Objekte verscherbelt) oder an die Misogynie (zwei Ministerinnen, die sich haben „übertölpeln“ lassen)? Oder ist es einfach nur die Attacke auf zwei populäre Ministerinnen, die Prinzipien zur Grundlage ihrer Politik machten?

Es gibt nämlich keinen Skandal. Der nigerianische Bundesstaat als Empfänger der restituierten Objekte hat sie an den Oba als Repräsentant des Edo-Königreichs, dem sie gestohlen worden waren, weitergegeben. Er wird sie wohl in seinem Palast ausstellen, wie etwa Charles III. seine Juwelen (auch die geklauten). Unwiderstehlich war offenbar die Versuchung, eine sich an Moral orientierende Politik zu kritisieren, die als „woke“ diffamiert wird. Und damit auch die postkoloniale Kritik an der hegemonialen Erzählung vom Westen als Hort und Verteidiger der Menschenrechte zu diskreditieren, die nun mal im Kolonialismus ad absurdum geführt wurde. Es geht schließlich um konkrete Privilegien all derer, die von Jahrhunderten der Ausbeutung profitierten, und das sind in Europa sehr viele.

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