Die Meldung versprach Sensationelles: Die Bundesregierung, ging vergangene Woche durch die Medien, habe den Genozid an den Herero anerkannt und werde sich dafür offiziell entschuldigen. Bald auch international wurde Deutschland für seine moralische Vorreiterrolle gepriesen. Einmal mehr, so schien es, hatte sich moralische Politik durchgesetzt.
Die Realität ist prosaischer: Auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke, namentlich des Abgeordneten Niema Movassat, der seit Jahren zu den nachdrücklichsten Verfechtern einer Anerkennung deutscher kolonialer Verbrechen gehört, erklärte die Bundesregierung, dass auch sie den letztes Jahr formulierten Grundsatz des Auswärtigen Amts teile, den Krieg des Deutschen Reichs gegen die Herero und Nama als Völkermord zu bezeichnen. Eine Entschuldigung werde in Verhandlungen mit Namibia vorbereitet. Rechtsfolgen, also Wiedergutmachungsansprüche und dergleichen, ließen sich daraus aber nicht ableiten.
Zur Tugend erhoben
Im Grunde war also nichts geschehen. Alles hängt von den seit 2014 andauernden Verhandlungen mit Namibia ab, in denen eine gemeinsame Sprache gefunden und sichergestellt werden soll, dass eine etwaige Entschuldigung von allen Beteiligten akzeptiert werden wird. Ein moralisches Schuldeingeständnis soll es erst dann geben, wenn die namibische Seite vorher signalisiert, dass sie damit zufrieden ist. Sollte sie das nicht tun, gibt es keine Entschuldigung. Diplomatische Versöhnung folgt offenbar einer anderen Logik als privat-persönliche, bei der man glaubhafte Reue und Entschuldigung durchaus als Voraussetzung dafür sieht, wieder ins Gespräch zu kommen.
Die Verhandlungen sollen aber auch sicherstellen, dass aus einer Anerkennung des Völkermords seitens des Bundestags und einer Entschuldigung nur solche (rechtlichen) Folgen entstehen, auf die man von deutscher Seite bereit ist, sich einzulassen. Im Klartext dürfte auch hier die Frage nach Wiedergutmachung beziehungsweise deren Ausschluss im Mittelpunkt stehen.
Und doch ist die Erklärung der Bundesregierung ein nicht zu unterschätzender Schritt, hatte sie doch jahrelang davor zurückgescheut. Es bedurfte erst der Debatte um das Schicksal der Armenier im Ersten Weltkrieg, damit auch Bewegung in die Frage des Genozids an den Herero und Nama kam. Seit der Anerkennung dieses Völkermords durch den Deutschen Bundestag am 2. Juni 2016 führt auch kein Weg mehr an einem ähnlichen Akt zu den Verbrechen an den Herero und Nama vorbei, will man sich dem Vorwurf der Doppelmoral nicht auf Dauer ausgesetzt sehen.
Es könnten also günstige Zeiten für die namibisch-deutschen Beziehungen sein. Dass dem nicht so ist, hat mit dem Wunsch der deutschen Seite zu tun, die Verhandlungen nach deutschen Vorstellungen zu führen. Am 12. Juli ließ der namibische Präsident Hage Geingob öffentlich erklären, das Auftreten des deutschen Sondergesandten für die Genozidverhandlungen und des deutschen Botschafters in Namibia gefährdeten die guten Beziehungen beider Länder. Das sind starke Worte auf diplomatischem Feld, wo das verklausulierte Sprechen und die dezente Andeutung zur Tugend schlechthin erhoben sind.
Mit seinem Zorn steht Präsident Geingob nicht allein, viele andere namibische Politiker teilen ihn. Auslöser war eine Presseerklärung des Sondergesandten und des Botschafters, in der sie von der jüngsten Verhandlungsrunde in Windhoek berichteten. Darin äußerten sie die Forderung, dass es bis zur Bundestagswahl 2017 zu einer Einigung gekommen sein müsse, da sonst alle bis dahin erreichten Ergebnisse und Zugeständnisse vom Tisch seien. Ferner, dass eine Entschuldigung bis spätestens März erfolgen müsse, da Bundespräsident Gauck, der dann aus dem Amt scheide, sie selbst vornehmen wolle, und dass es keine Reparationszahlungen geben werde.
Nun kann man über diese Dinge ja verhandeln, man muss es sogar, und es ist auch klar, dass bei so diffizilen Verhandlungen wie Genozid oder Kriegsverbrechen beide Seiten unterschiedliche Positionen haben. Über diese muss man sich verständigen, um einen Kompromiss zu finden. Wenn derart grundlegende Festlegungen aus laufenden Verhandlungen nach außen an die Medien gegeben werden, lässt das nur den Schluss zu, dass man die Punkte als nicht verhandelbar einstuft und medial zementieren möchte.
Der deutsche Sondergesandte und der deutsche Botschafter vertreten hier nun aber die „Täterseite“ – also einen Staat und eine Regierung, die sich ganz bewusst in der Rechtsnachfolge jenes Staats sehen, der diese Verbrechen begangen hat. Und sie tun dies mit dem Anspruch, eine historische Untat anzuerkennen und sich auszusöhnen. Als Sprecher einer historischen Schuld sollte man etwas demütiger an die Sache herangehen und sich davor hüten, diejenigen, deren Verzeihung man möchte, vor den Kopf zu stoßen.
Wie schon bei früheren Gelegenheiten, etwa bei der Restitution der ersten human remains von Herero aus der Berliner Charité, lassen deutsche Vertreter das nötige Fingerspitzengefühl vermissen, das insbesondere im postkolonialen Kontext notwendig ist. Kolonialismus bestand ja über die physische Gewaltanwendung hinaus auch im Aufzwingen der eigenen – europäischen – Rechts- und Moralvorstellungen, im permanenten Belehren und der herabwürdigenden Kritik des kolonialen „Anderen“. Die ehedem Kolonisierten sind zu Recht sehr empfindlich, was derartiges Auftreten angeht. Verhandlungen auf Augenhöhe sind hier auch ein Gebot postkolonialer historischer Wiedergutmachung. Forderungen zu stellen, noch dazu öffentlich, ist der Rolle, die den ehemals Kolonisierenden zukommt, unangemessen.
Es rächt sich zudem erneut, dass Bundesregierung und Bundestag durch ihre jahrelange Verzögerungstaktik den Zeitdruck erst geschaffen haben, unter dem sie jetzt stehen. Es rächt sich, dass keine Schritte unternommen wurden, um einen breiten zivilgesellschaftlichen Dialog sowohl in Deutschland als auch in Namibia zu führen. Und es rächt sich, dass die Verhandlungen in der Form einer Hinterzimmerdiplomatie geführt wurden und werden, bei der auch die deutschen „Angebote“ nicht in einer breiten politischen Diskussion erarbeitet werden. Vor allem aber, dass in Deutschland durch die Versäumnisse bei der Aufarbeitung des Kolonialismus Sensibilität für diese Verbrechen nicht geschaffen wurde, auf die in anderen Zusammenhängen zurückgegriffen werden kann.
Den Dursttod gestorben
Versöhnung und Entschuldigung setzen zwingend eine öffentliche Diskussion um die Schuld voraus. Eine Entschuldigung seitens einer Regierung oder eines Parlaments geschieht im Namen des Souveräns, des Staatsvolks. Das ergibt aber nur Sinn, wenn das Staatsvolk um die Geschehnisse weiß. Deshalb ist historische Aufklärung so wichtig, zumal wenn es um historische Ereignisse geht, die über den Zeitpunkt des Geschehens hinaus nachwirkten. Genau das ist bei Kolonialismus und Genozid der Fall, denn es zeigt sich ein rassistisches Denken am Werk, das nicht auf den Beginn des 20. Jahrhunderts beschränkt war, sondern teilweise bis heute nachwirkt, man denke nur an den deutlich wieder an Akzeptanz gewinnenden Rassismus. Auch deshalb ist die Erinnerung an die Kolonialgeschichte besonders umkämpft.
Dabei sind die historischen Umstände weitgehend klar. Das Deutsche Reich befand sich ohne Einladung und gegen den Willen der südwestafrikanischen Bevölkerung im Land, die Okkupation mühsam durch sogenannte Schutz- und Kaufverträge verschleiert, die auf Betrug gründeten und die einzuhalten man nie dachte. Als zunehmende Betrügereien und Übergriffe deutscher Siedler auf Widerstand stießen, reagierte das Deutsche Reich brutal und unerbittlich, mit einem Vernichtungskrieg. In der Omahekewüste starben tausende Männer, Frauen und Kinder den Dursttod. Das Land der Herero und später der Nama wurde vom deutschen Staat konfisziert und an deutsche Siedler verteilt. Bis heute wirken der Völkermord und die Landenteignung nach. Wiedergutzumachen ist das sowieso nicht. Eine ehrliche Bitte um Entschuldigung ist aber das Mindeste. Oder man lässt es lieber gleich sein, muss dann aber heruntersteigen vom hohen moralischen Ross, auf dem viele so gern sitzen.
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