Care Revolution gegen die Corona-Krise

Feminismus In Zeiten der Corona-Krise braucht es linke feministische Analysen - aber auch Utopien, die uns den Weg in eine gerechtere Zukunft zeigen

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Ohne Sorgearbeit bricht unsere Gesellschaft zusammen. Und in Deutschland sind es vor allem Frauen, die diese Arbeit machen
Ohne Sorgearbeit bricht unsere Gesellschaft zusammen. Und in Deutschland sind es vor allem Frauen, die diese Arbeit machen

Foto: Pablo Blazquez Dominguez/Getty Images

Viel wird in diesen Tagen über die Last, die vor allem Frauen in der Corona-Krise tragen, geschrieben. Die Pandemie hat vergeschlechtlichte Auswirkungen: von der Zunahme häuslicher Gewalt durch den Rückzug in die private Sphäre, bis zum erschwerten Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen. Aber besonders viel wird darüber gesprochen, dass es vor allem Frauen sind, die in der Pflege und Versorgung von Kranken arbeiten: In Deutschland liegt der Anteil an Frauen in Pflegeberufen bei fast 76 Prozent. Bei vielen kommt krisenbedingt daher endlich auch die Erkenntnis an: Ohne Sorgearbeit bricht unsere Gesellschaft zusammen. Plötzlich wird vielen klar, dass ihr Lebensentwurf ganz zentral von der Sorgearbeit anderer abhängt. Nur weil es Menschen gibt, die dafür bezahlt werden, Kinder zu betreuen, ist es überhaupt möglich, dass im traditionellen Modell der Kleinfamilie beide Eltern erwerbsarbeiten können. Was für uns sonst eine Selbstverständlichkeit ist, wird erst durch deren Fehlen wirklich erfahrbar.

Längst wollte ich auch eine Analyse dazu geschrieben haben, doch ich gehöre zu denjenigen, die im Home Office weiterarbeitet - und das ist ein Privileg, denn prekär Beschäftigte und Selbstständige müssen gerade im Gegensatz zu mir um ihre Existenz fürchten. Paradoxerweise habe ich gerade aber eher noch mehr zu tun als vorher: unzählige Telefonkonferenzen und Chats, in denen es darum geht, wie wir jetzt konkret Solidarität organisieren können: mit Wohnungslosen, Geflüchteten, Existenzbedrohten und Risikogruppen. Auch bei dieser Arbeit fällt mir auf: es sind vor allem Frauen, die gerade sehr viel Solidarität organisieren – oft zusätzlich zu Home Office und unbezahlter Care-Arbeit.

Der Luxus, den ich aber im Gegensatz zu vielen anderen Frauen habe, ist, dass ich kinderlos bin. Ich kann also über meine eigene lohnarbeitsfreie Zeit verfügen. Viele Frauen können das gerade nicht, da Kitas und Schulen geschlossen sind - und müssen dann versuchen, gleichzeitig Kinder zu betreuen, mit voller Aufmerksamkeit an der Telefonkonferenz teilzunehmen, den Artikel fertig zu schreiben und vielleicht noch etwas Zeit für sich selbst zu finden. Für mich klingt das wie ein Ding der Unmöglichkeit. Es lässt sich zwar hoffen, dass dies eine temporäre Ausnahmesituation ist, doch es ist jetzt schon absehbar, das diese Doppelbelastung langfristige negative Konsequenzen für die berufliche Laufbahn von Müttern haben könnte – weil der Artikel unter diesen Bedingungen eben nicht rechtzeitig fertig geworden ist. Und das betrifft Alleinerziehende, von denen in Deutschland 90% Frauen sind und die ohnehin überdurchschnittlich armutsgefährdet sind, besonders hart.

Auch in der unbezahlten Pflege von jetzt besonders gefährdeten älteren oder erkrankten Angehörigen lastet die Hauptlast auf Frauen: 65% der häuslichen Pflege in Deutschland wird von Frauen geleistet. Frauen pflegen ihre Angehörigen aber nicht nur häufiger als Männer, sondern sie sind auch zeitlich stärker an der häuslichen Pflege beteiligt. Doch es geht nicht nur um Kinderbetreuung und die Pflege und Sorge für Angehörige und anderen Menschen, die einer Risikogruppe angehören. Jetzt, wo wir wesentlich mehr Zeit zuhause verbringen, wir mehr auf Hygiene achten müssen, und viele öffentlichen Dienstleistungen auf ein Minimum zurückgefahren wurden, müssen wir auch öfter putzen, kochen, einkaufen und Wäsche waschen. Wer übernimmt den Großteil dieser Arbeit in Familien, Partner*innenschaften aber auch Wohngemeinschaften? Frauen übernehmen nach wie vor mehr unbezahlte Sorgearbeit als Männer: auf der ganzen Welt leisten Frauen ungefähr Dreiviertel dieser unbezahlten Arbeit. Die Corona-Pandemie wird dieses Ungleichgewicht – wie viele anderen sozialen Ungerechtigkeiten auch – noch verstärken.

In der taz schreibt Carolina Schwarz über die Geschlechterdimension von Corona, dass "die Entscheidung darüber, wer die Fürsorgearbeit übernimmt, [...] meist 'logischen' Überlegungen [folgt]. Wer ist flexibler im Job? Wer Hauptverdiener:in? Wer kann beruflich eher zurückstecken?". Als Feministin und Sozialwissenschaftlerin kann ich ihr da aber nur teilweise recht geben. Natürlich spielt es bei solchen Aushandlungen eine große Rolle, dass Frauen eher in Teilzeitjobs arbeiten und im Schnitt weniger verdienen als Männer. Der Hauptgrund für die ungerechte Verteilung von unbezahlter Sorgearbeit in unserer Gesellschaft ist aber keineswegs pure 'Logik'. Grund sind vor allem sozial konstruierte patriarchale Geschlechterrollen. Diese sind im Übrigen auch daran schuld, dass Frauen überhaupt wesentlich öfter in Teilzeit arbeiten – und im Schnitt 22 Prozent weniger Geld verdienen als Männer. Dies soll nun aber keineswegs bedeuten, dass der Feminismus gewonnen hat, sobald alle Frauen in Vollzeit am Erwerbsleben teilhaben – dieses kapitalistisch-neoliberale Versprechen von vermeintlicher Emanzipation hat sich längst als falsch entpuppt. Im Gegenteil: Die Beteiligung von Frauen an Erwerbsarbeit hat sogar zu einer Doppelbelastung durch die so genannten „second shifts“ geführt – in Deutschland leisten Frauen nach wie vor wöchentlich durchschnittlich fast 9 Stunden mehr unbezahlte Arbeit im Haushalt als Männer, und das eben sehr oft zusätzlich zur eigenen Lohnarbeit.

Was wir daher in diesen Krisenzeiten, aber auch darüber hinaus dringender denn je brauchen, ist Zeitsouveränität für Sorgearbeit und selbstbestimmtes Tätigsein. Das würde voraussetzen, dass alle Menschen, egal welchen Geschlechts, weniger erwerbsarbeiten müssen. Schon seit Jahren kommt aus der wachstums- und kapitalismuskritischen Degrowth-Bewegung die Forderung, eine kurze Vollzeit von 20 Stunden für alle einzuführen. Voraussetzung dafür wäre natürlich eine finanzielle Absicherung aller – durch vollen Lohnausgleich oder ein bedingungsloses Grundeinkommen.

Doch von einer Reduktion und gleicheren Verteilung der gesamtgesellschaftlichen Erwerbsarbeitszeit allein wird reproduktive Arbeit noch nicht gerechter zwischen allen Geschlechtern aufgeteilt. Dafür bedarf es einer tiefgreifenden Transformation der zweigeschlechtlichen patriarchalen Norm. Sorgearbeit wird gesellschaftlich als weiblich und sehr oft migrantisch markiert, das Sich-um-andere-Sorgen wird Frauen als vermeintlich ‚natürliche‘ Eigenschaft zugeschrieben – und gerade deswegen gesellschaftlich so abgewertet. Dabei darf nicht vergessen werden, dass eine vermeintliche Geschlechterdifferenz überhaupt erst durch derartige Zuschreibungen hergestellt wird – und nicht andersherum.

Für die Bewältigung der Corona-Krise, aber auch für eine geschlechtergerechtere Post-Corona-Welt, müssen Männer also ihren gerechten Teil zur unbezahlten Sorgearbeit beitragen – in Beziehungen, Familien, aber auch in Wohngemeinschaften. Dabei geht es nicht nur darum, dass Männer mehr Sorgearbeit übernehmen müssen, sondern es muss zusätzlich auch stärker darum gehen, den so genannten ‚mental load‘, also unsichtbare Planungs- und Koordinierungsprozesse, geschlechtergerecht aufzuteilen. Denn es ist genauso anstrengend, ständig den Überblick über alle anfallenden Aufgaben zu behalten, und deren Erledigung delegieren und kontrollieren zu müssen.

Es gibt bereits Alternativen zum traditionellen Modell der heteronormativen Kleinfamilie, die dabei helfen können, Sorgearbeit auf mehreren Schultern zu verteilen – Co-Eltern und Mitbewohner*innen können z.B. ebenso in Familienkonzeptionen einbezogen werden wie weitere Partner*innen in polyamouröse Beziehungsgeflechte. Doch coronabedingt scheinen sowohl die romantische Zweierbeziehung als auch die Kleinfamilie gerade Konjunktur zu haben, was zwar einerseits wegen der Beschränkung sozialer Kontakte sinnvoll ist, die ungleiche Verteilung von emotionaler und Sorgearbeit aber begünstigt. Ich würde mir daher wünschen, dass alternativen Familien- und Beziehungsmodellen in einer Post-Corona-Welt (wieder) mehr Bedeutung zukommt.

Doch die Verantwortung liegt auch nicht nur bei uns selbst. Vor allem müssen patriarchale Machtstrukturen grundlegend überwunden werden. Dafür müssen sich auch die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ändern – wir brauchen eine Care Revolution, bessere Elternzeitregelungen, rechtliche Sicherheit für alternative Familienmodelle, und Einkommensgleichheit. In diesen Tagen wird viel über vorübergehende staatliche Hilfen gesprochen, welche die schlimmsten Auswirkungen der Krise auf diejenigen abmildern sollen, deren Einkommen jetzt wegbricht. Das ist sinnvoll, aber nicht genug. Was wir wirklich brauchen, ist ein bedingungsloses Care-Einkommen über die Corona-Krise hinaus – wie auch der Global Women’s Strike (GWS) and Women of Colour GWS in einem offenen Brief an die Regierungen fordert.

Gleichzeitig brauchen wir aber natürlich auch eine radikale Verbesserung der Arbeitsbedingungen für bezahlte Care-Arbeitende. In diesen Tagen werden zum Glück viele Stimmen laut, die völlig zu recht sagen: "Euer Klatschen reicht nicht". Die gesamtgesellschaftliche Wertschätzung von Soregarbeit ist wichtig – und dies wird durch Corona auch außerhalb feministischer Kreise nun endlich bekannt – doch sie ersetzt nicht faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen. Daher müssen wir jetzt erst recht für alle streiten und laut werden, die unsere Gesellschaft nicht nur in Krisenzeiten tagtäglich am laufen halten, ob durch Pflege im Krankenhaus oder Pflegeheimen, die Betreuung unsere Kinder, oder das unbezahlte Kümmern zuhause.

Die Pandemie lehrt uns, dass wir viel abhängiger voneinander sind, als viele von uns bisher glaubten. Ausgerechnet in einer kapitalistischen und neoliberalen Gesellschaft, die uns voneinander entfremdet und vereinzelt hat, sollen wir nun Solidarität über eine physische Distanz hinweg üben. Das wirkt auf den ersten Blick nicht leicht. Doch viele organisieren jetzt, trotz der widrigen Umstände, praktische solidarische Hilfe selbst – und stellen dadurch Verbundenheit und soziale Nähe her, die wir gerade mehr denn je brauchen. Das gibt mir Hoffnung – und könnte uns den Weg in eine feministische Zukunftsutopie weisen. Was die von multiplen Krisen gebeutelte Welt endlich braucht, ist eine Ökonomie der (Vor-)Sorge, in der die Bedürfnisse von Menschen im Zentrum stehen. Die Sorgeökonomie (oder caring economy) erkennt an, dass die Sorge um uns selbst, um andere, aber auch für unsere Umwelt die Grundlage unserer Gesellschaft und Wirtschaft sind. Daher: Lasst uns die Krise als Ausgangspunkt für eine gerechtere, feministische und solidarische Zukunft nehmen - davon hätten nämlich bei weitem nicht nur Frauen etwas.

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* Die sozialen Kategorien "Männer" und "Frauen" sind sozial konstruiert, und bilden in ihrer Binarität nicht die reale Geschlechtervielfalt ab. Dennoch gibt es kaum Statistiken zur Ungleichverteilung von Care-Arbeit über das binäre Geschlechtssystem hinaus, und ich wünsche mir, dass sich das ändert.

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