Amerikas zweite digitale Niederlage?

Snowdens "Leaks" Für die KP Chinas ist Edward Snowden ein Glücksfall - international und zu Hause

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Die USA hätten über diplomatische Kanäle entschiedene Einwände an die Adresse der Hong Konger und chinesischen Behörden gegen die Entscheidung erhoben, Snowden fliehen zu lassen, erklärte die Sprecherin des Sicherheitsrats im Weißen Haus montag früh. Ein solches Verhalten sei den amerikanisch-Hong Konger und amerikanisch-chinesischen Beziehungen abträglich.

Die chinesische, nationalistisch geprägte "Huanqiu Shibao" verwendet in ihrer Wiedergabe der Haydenschen Äußerungen anstelle des Wortes "fliehen" den neutraleren Begriff "abreisen" oder "das Land/Territorium verlassen", entsprechend der Formulierung der Hong Konger Regierung. Generell bleibt "Huanqiu Shibao" in ihrem Bericht bei einer eher trockenen Wortwahl.

Die Kommentierung wird einstweilen den Lesern überlassen: die USA seien "unverschämt", so der Kommentarthread. Schließlich habe Amerika China Probleme verursacht und das chinesische Volk empört, ohne Erklärungen zu liefern. Bei Haydens Äußerungen und ihrem Bezug auf die amerikanisch-chinesischen Beziehungen handle es sich um Gangsterlogik, um einen Dieb, der "Haltet den Dieb" schreie. Amerika habe die Rechte Anderer verletzt, vertausche jetzt aber Schwarz und Weiß.
"Das verletzt dein schamloses Gesicht, Amerika, dies zeigt die Essenz der berüchtigten Tricks 'westlicher Demokratien'." Außerdem: wie viele korrupte Straftäter und politische Kriminelle aus China habe Amerika nicht ausgeliefert?

Vielfach schlägt sich in der chinesischen Berichterstattung die Unterstützung nieder, die Wikileaks Snowden Berichten zufolge leistet, und zwar sowohl in kurzen Beiträgen als auch in einem ausführlichen Bericht der "Xinhua"-Nachrichtenagentur. Xinhua zitiert auch die Erklärung der Hong Konger Regierung:

Die Erklärung sagt, die US-Regierung habe die Regierung der Hong Konger Sonderverwaltungszone aufgefordert, einen (einstweiligen) Haftbefehl auszustellen. Da die von der amerikanischen Regierung übergebenen Dokumente nicht vollumfänglich den rechtlichen Hong Konger Anforderungen entsprachen, bat die Regierung der Sonderwirtschaftszone um weiteres Material zur Prüfung durch den Justizsekretär (zu Kolonialzeiten der Generalstaatsanwalt). Da die Regierung kein hinreichendes Material erhielt, habe sie keine legale Grundlage gehabt, Snowden an der Ausreise zu hindern.

Ebenfalls habe die Regierung der Sonderverwaltungszone Hong Kong der Erklärung zufolge die amerikanischen Regierung formell gebeten, eine Erklärung zu den Angriffen auf Hong Konger Rechnersysteme abzugeben, die es laut Berichten gegeben habe. Die Angelegenheit werde weiter verfolgt, um die Rechte der Hong Konger zu gewährleisten.

Die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums Hua Chunying verwies lt. Xinhua auf Reporterfragen darauf, dass Hong Kong ein Gebiet sei, in dem das Rechtsstaatsprinzip gelte (hier wurde ein Begriff verwendet, der im Beijinger Sprachgebrauch auch üblicherweise vom Begriff "Rechtsstaat" leicht abweicht und im Englischen eher als "rule by law" denn als "rule of law" übersetzt wird). Hua Chunying fügte lt. Xinhua hinzu, die Zentralregierung (also Beijing) respektiere das Hong Konger Grundgesetz und das Prinzip "Ein Land, zwei Systeme". Die Zentralregierung habe stets die Arbeit der Regierung der Hong Konger Sonderverwaltungszone in Übereinstimmung mit dem Gesetz respektiert.

Die Erklärung der Hong Konger Regierung findet sich auch auf Englisch auf der offiziellen Website.

Neben den amtlicheren Erklärungen des Weißen Hauses bearbeiteten Kongressabgeordnete am Sonntag in den für diesen Tag üblichen Interviews die heimische öffentliche Meinung. So auch die demokratische Senatorin Dianne Feinstein (Kalifornien), die auch Vorsitzende des Senatskomitees für die Geheimdienste ist. Feinstein warb um Vertrauen in die Dienste und bezeichnete einen Bericht der "Washington Post" über das Gericht zur Überwachung der Auslandsnachrichtendienste (Foreign Intelligence Surveillance Court) als einen Vorgang, der wohl mehr Transparenz geliefert habe als je zuvor in der Geschichte einer geheimen Organisation. Man müsse sehen, was man außerdem tun könne, um die Öffentlichkeit den Prozess sehen zu lassen, dem gefolgt würde.

Sie drückte Enttäuschung darüber aus, dass China Snowden nicht ausgeliefert habe: "Ich hatte eigentlich gedacht, China würde dies als Gelegenheit betrachten, die Beziehungen [zwischen Amerika und China] zu verbessern und ihn [Snowden] an die USA ausliefern."

Sie verzichtete allerdings auf eine Wiederholung ihres früheren Vorwurfs gegen Snowden, er sei ein Verräter: "Ich möchte darauf jetzt nicht eingehen. Ich möchte, dass er gefasst wird, für ein Gerichtsverfahren zurückgebracht wird, und ich meine, wir müssen genau wissen, was er hat [bezogen auf das dienstliche Material]. Er könnte noch viel, viel mehr [Material] haben. Es kann wirklich Menschen in Gefahr bringen. Ich weiß es nicht. Aber ich meine, die Jagd ist eröffnet. Und wir müssen abwarten, was passiert."

Unter dem Titel "Die Weltöffentlichkeit möchte nicht, dass Snowden Unglück erleidet" veröffentlichte die "Volkszeitung" (online) am Montag einen Kommentar der "Huanqiu Shibao":

Snowden verließ gestern Hong Kong und kam in Moskau an. Berichten zufolge wird er von dort in einen Flieger nach Kuba, Venezuela oder Ecuador umsteigen. Sein weiterer Verbleib und sein zukünftiges Schicksal sind ungewiss. Aber zweifellos möchte die Weltöffentlichkeit nicht, dass dieser junge Mensch Unglück erleidet.

Snowden hat etwas getan, was gut für die Welt ist. Er enthüllte Insiderinformationen über Internet-Spionageaktivitäten, die gegen bürgerliche Rechte verstießen, womit [nun] die US-Regierung moralisch ernsthaft in der Defensive ist. Er hat die amerikanische Regierung praktisch des Rechts beraubt, auf dem Gebiet der Cybersicherheit Anderen Vorhaltungen zu machen. Er hat den Menschen mitgeteilt, wie die amerikanische Regierung die Meinung der Weltöffentlichkeit um den Finger wickelt.

Tatsächlich ist nicht nur die Jagd auf Snowden eröffnet, wie Feinstein sagte. Mit dem Begriff "moralische Defensive" benennt Huanqiu ein Problem, das bisher vor allem die chinesische Führung hatte. Argumentativ hatte Beijing die Deutungshoheit hinsichtlich des Internets gegenüber der heimischen, chinesischen öffentlichen Meinung ohnehin seit mehreren Jahren gesucht. Spätestens Ende 2012, auf der Internetkonferenz der Welttelekommunikationsbehörde (ITU) in Dubai, forderten Beijing und verbündete Regierungen den Status Quo auch international heraus und argumentierten zugunsten einer stärkeren ITU-Aufsicht über das Internet. Die amerikanische Position war dabei in einer - relativen - Minderheit: laut "Volkszeitung" wurde eine Resolution, die zur Bewegung in Richtung ITU-Aufsicht drängte, von 89 Regierungen gebilligt; 24 erklärten, definitiv nicht unterzeichnen zu wollen, und die restlichen der insgesamt 144 vertretenen Staaten blieben unentschieden.

Praktisch verbindlich war die Resolution nicht, aber der amerikanische Medienunternehmer und frühere Herausgeber des Wall Street Journals Gordon Crovitz befand, es handle sich um Amerikas erste große digitale Niederlage.

Snowdens "Leaks" könnten die zweite sein.

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NSA, Wikipedia, acc. 24.06.13
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