Australiens Medien versinken im Terror

Innere Sicherheit Australiens Premierminister Tony Abbott war zuletzt in der australischen Öffentlichkeit und parteiintern in Bedrängnis. Das soll sich jetzt ändern. Abbott geht ans Werk.

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Nein, er habe kein Wahlversprechen gebrochen, so Australiens Premierminister Tony Abbott im November. Der Vorwurf: die australische Bundesregierung habe die öffentlichen Mittel für den nationalen Sender Australian Broadcasting Corporation (ABC) und den multikulturellen Special Broadcasting Service (SBS) gekürzt.

Abbott konterte: "Wir tun, wofür die Menschen uns gewählt haben. Um zu liefern, um die harten Entscheidungen zu treffen, die dieses Land brauchte." Und:

Wir haben nie eine Sonderbehandlung für die ABC oder den SBS versprochen... Ich möchte das Mitglied [des Parlaments], das die Frage gestellt hat, darauf hinweisen dass der Schatzkanzler - seinerzeit noch der Schattenkanzler - sehr öffentlich über die ABC gesagt hat, 'wenn es Verschwendung gibt, werden wir das kürzen.'

Das hatte der unmittelbar für den Rundfunk zuständige Kommunikationsminister Turnball auf Fragen der ABC, ob nicht der Premierminister "no cuts to the ABC" gesagt habe, aber noch wenige Tage vor Abbotts klaren Ansagen anders gesehen:

Nun, der Premierminister sagte das ["no cuts"] in einem Interview, ich glaube am Abend vor den Wahlen. Aber [Schatzkanzler] Joe Hockey und ich haben sehr deutlich gemacht, in einer Anzahl von ABC-Sendungen übrigens, dass wir - also wenn es postenübergreifend Kürzungen gebe, was zweifellos nötig sein werde, - über die ganze Regierung hinweg ... dann könnten die ABC und der SBS davon nicht ausgenommen werden.

Turnbull sah in dem Interview nicht gut aus - aber das mag ihn nicht weiter gestört haben, denn damit, dass er Abbott nur lauwarm verteidigen konnte, sah auch der schlecht aus - und Abbott und Turnball gelten als unerklärte Rivalen. Abbott muss fürchten, von Turnball herausgefordert und abgelöst zu werden, »wie zuvor bei der seit 2013 in der Opposition befindlichen Labour-Partei Kevin Rudd von Julia Gillard, und Julia Gillard von Kevin Rudd.

Man kann mit manchem gebrochenen Wahlversprechen durchkommen, aber man kann nicht jedes gebrochene Wahlversprechen leugnen.

Also dachte Abbott in den anderthalb Wochen bis zum 1. Dezember noch einmal scharf nach und kam zu dem Schluss, dass es zwischen seinem Versprechen und dem, was dann tatsächlich geschah, wohl eine Diskrepanz gebe.

Der "Guardian":

Asked about his pre-election promise that there would be “no cuts to the ABC”, Abbott said “I accept what we are doing with the ABC is at odds with what I said immediately prior to the election but things have moved on, circumstances are different. Going into that election, the then government was telling us the deficit for that year would be $18bn, it turned out to be $48 billion. I think sensible governments are not only entitled but, indeed, expected to change when the circumstances change.”

43 bis 120 Millionen Australische Dollars (AUD) - nach eigenen Angaben bzw. nach Schätzungen der unmittelbar betroffenen ABC - will die Regierung Abbott Berichten zufolge über die nächsten vier Jahre bei der Mittelvergabe an die beiden öffentlichen Sender einsparen. Und damit waren die Rundfunkanstalten offenbar noch gut bedient: dem Widerstand des Kommunikationsministers Turnball gegen besonders radikale Gegner öffentlichen Rundfunks sei es zu verdanken, dass es nicht Kürzungen von 250 Millionen AUD geworden seien.

https://justrecently.files.wordpress.com/2015/02/textbox_12.jpgQuelle für die Deutschland-Zahlen: Die Welt, 03.02.15

414,8 Mrd AUD will die Regierung Abbott im Haushaltsjahr 2014/2015 ausgeben, und 431,1 Mrd im darauf folgenden. Daran gemessen sind die "Einsparungen" bei den öffentlichen Rundfunkanstalten Lappalien.

Ginge man davon aus, dass Abbott selbst nie an sein Versprechen glaubte, wäre er ein Lügner. Da das nicht sein kann, gehen wir davon aus, dass er selbst glaubte, was er sagte.

Daraus ergibt sich, dass es durchaus möglich ist, durch die Bank und über alle Ressorts hinweg zu sparen und dabei Ausnahmen zu machen.

Entscheidungen wie diese kommen üblicherweise durch den Abgleich von Zielhierarchien zu Stande - insofern gibt es keine belegbare Motivationsstruktur, weder für Abbotts falsches Wahlversprechen noch dafür, was zum Bruch des Versprechens führte. Aber eine medienfeindliche Tendenz bei der australischen Bundesregierung im allgemeinen - oder aber beim Premierminister im besonderen - ist unübersehbar.

Der ABC mache es offenbar Spaß, die Vorwürfe eines Verräters zu senden, bemerkte er im Januar, bezogen auf Edward Snowden. Einige Enthüllungen des früheren NSA-Mitarbeiters hatten Australien gegenüber seinem Nachbarn Indonesien in Verlegenheit gebracht.

Im September begann das australische Parlament mit Erörterungen über die Entwürfe für ein "nationales Sicherheitsgesetz", nach deren Umsetzung die Presse bei ihrer Berichterstattung über Terrorismus und Terrorismusbekämpfung auf sehr unsicherem legalen Grund stehen würde. Und offenbar noch im selben Monat - das Supergrundrecht Sicherheit kennt weltweit keine Weile - war es durchgewunken.

In Australien ist investigativer Journalismus bereits illegal, hieß es vor knapp drei Wochen in der "Welt":

Jede Art der Veröffentlichung oder Verbreitung von nicht autorisierten Informationen kann mit einer Haftstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft werden – zehn, wenn durch die Veröffentlichung auch Leben gefährdet werden.

So knebelt man die "freie Presse". Und die öffentliche schüchtert man mit "Einsparungen" ein, die man genauso gut hätte steckenlassen können:

Vierhundert Mitarbeiter der ABC - rund zehn Prozent der Belegschaft - müssten gehen, teilte Anstaltsleiter Mark Scott im November mit. Und so bescheiden sich die Kürzungen an sich auch ausnehmen: solche Zahlen treffen ins Schwarze.

Ein wie probates Mittel "layoffs" oder "Freisetzungen" von Journalisten sein können, wenn man möglichst vielen von ihnen die Zähne ziehen will, lässt sich an der BBC beobachten, deren Stellenabbau - gefühlt - ein pausenloser Prozess ist. Die Moral bei BBC News sei [ohnehin] schon "low", zitierte Neil Midgley, ein tendenziell konservativer Journalist, den Chef der Broadcasting, Entertainment, Cinematograph and Theatre Union (BECTU), Gerry Morrissey, in einem "Forbes"-Bericht im Sommer 2014, dem zufolge dort 500 Jobs auf der Kippe standen.

Schon vor der globalen Finanzkrise, im Oktober 2007, hatte der damalige BBC-Generaldirektor Mark Thompson höchstpersönlich Pläne für a smaller BBC vorgelegt, which will provide best value to audiences. Sein vorauseilender Gehorsam stand im starken Kontrast zu einem öffentlichen britischen Rundfunk, der mit seiner Berichterstattung zum Falklandkrieg Anfang der 1980er Jahre konservative Kreise derart verärgerte, dass sich der Rechtsaußen-Cartoonist Michael Cummings zu einem (für die BBC folgenlosen) Traitorama veranlasst sah.

Folgen hatte indessen die Hutton-Untersuchung, gut zwanzig Jahre später, im Jahr 2003. Lt. Huttons Ergebnissen hatte ein BBC-Irak-Korrespondent überzogene Vorwürfe gegen die Regierung Blair erhoben. Das Dezember-Dossier über irakische Massenvernichtungswaffen sei politisch motiviert "aufgesext" worden, hatte der Korrespondent unter Berufung auf einen Regierungsmitarbeiter behauptet. Der "Massenvernichtungswaffen"-Skandal, der nach dem Hutton-'Bericht nun vor allem ein "BBC-Skandal" war, löste einen Feldzug der Politik gegen den Traditionssender aus, von dem dieser sich bis heute nicht wieder erholte.

Vom britischen Mutterland lernen heißt siegen lernen. Man darf davon ausgehen, dass die aktuellen Kürzungen bei der australischen ABC, sofern die Regierung Abbott damit durchkommt, erst der Anfang sind.

Aber in Canberra entsteht inzwischen auch eine blühende Philosophie, die das Zeug dazu hat, die einzelnen Maßnahmen zur Einschüchterung der Medien schon bald gefällig zu überwölben: Australien müsse neu darüber nachdenken, wo die Linien zwischen persönlichen Freiheiten und der Sicherheit der Gemeinschaft neu zu ziehen seien, merkte Abbott am Sonntag an.

Auch hier darf London als Vorbild gelten. Wer mit einer - unter gefühlt normalen Umständen inakzeptablen - Tour durchkommen will, braucht als erstes eine gesellschaftliche Minderheit, die sich zur Anomalie, zur alles verschlingenden Bedrohung, aufblasen lässt, und vor der sich die Gemeinschaft nur mit Hilfe eines »muskulösen Liberalismus retten kann.

Es gibt Appelle an den inneren gesellschaftlichen Schweinehund, die ohnehin fast immer funktionieren. Aber mit einer geknebelten Presse funktionieren sie noch besser.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

JR's China Blog

Ich bin ein Transatlantiker (NAFO)

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