Buchbesprechung: Interkulturelle Medienarbeit

Public Diplomacy. Qi Li ist deutscher Staatsbürger. Von 2001 bis 2011 arbeitete er bei der Deutschen Welle. Sein "Vertragsende" war in China ein Medienereignis. In Deutschland nicht.

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Als Danhong Zhang1), damals stellvertretende Leiterin der China-Redaktion des Auslandsdienstes Deutsche Welle, vor über vier Jahren bei öffentlichen Auftritten umstrittene Äußerungen zu Chinas politischen Verhältnissen und der deutschen Medienreflexion Chinas machte, wurde das medial gut dokumentiert. Das war nicht sehr erstaunlich: 2008 war das Jahr der Olympischen Spiele in Beijing, und das Thema "China" stand weit oben auf den Plänen deutscher Zeitungs- und Rundfunkredaktionen.

Umstritten waren nicht nur Zhangs Äußerungen in einer Diskussion mit dem Kölner Stadtanzeiger oder im Deutschlandfunk. Auch die China-Redaktion der Deutschen Welle geriet in die Kritik. In Deutschland lebende chinesische Dissidenten schrieben am 13. September 2008 in einem offenen Brief an den Deutschen Bundestag:

Wir sind der Ansicht: die China-Redaktion der Deutschen Welle, die vor allem in chinesischer Sprache sendet, ist weitgehend von der deutschen Gesellschaft isoliert und bildet quasi eine Insel. Dies führte dazu, dass sie von ihrer Aufgabe, das Leitbild der Deutschen Welle, nämlich Menschenrechte und Demokratie zu fördern und der Welt Deutschland zu vermitteln, eklatant abweicht.

Es war möglicherweise nicht der erste Protestbrief von Dissidenten gegen eine angeblich irregeleitete Redaktion. Und laut Qi Li, der im vergangenen Monat seine Arbeitserfahrungen (2001 - 2011) bei der chinesischen Online-Redaktion der Deutschen Welle veröffentlichte2), war es auch nicht so sehr jener offene Brief chinesischer Dissidenten, der die Deutsche Welle in Bedrängnis brachte, sondern ein Brief des Deutschen Autorenkreises zehn Tage später. Qi Li:

Seit Jahren habe ich die Erfahrung gemacht: Deutsche nehmen Deutsche ernst. Die Schreiben der chinesischen Dissidenten haben die Deutsche Welle und den Bundestag nicht außer Ruhe und Fassung bringen können. Diese können auch ewig im Großen und Ganzen untergegangen sein, wenn auch unter ihnen welche längst deutsche Staatsbürger geworden sind. Ebenfalls war Zhang Danhong für deutsche Medien ständig eine „Chinesin“, wobei das bürgerrechtlich gar nicht stimmte.

Damals reagierte die Deutsche Welle öffentlich: Danhong Zhang wurde - einstweilen - von der Arbeit am Mikrofon entbunden und verlor ihre Position als stellvertretende Redaktionsleiterin. Vor allem aber: die Arbeit der China-Redaktion - und hier insbesondere die Arbeit der Online-Redakteure - wurde untersucht. Ein Übersetzungsbüro übersetzte die chinesischen Texte für das chinesische Zielgebiet zurück ins Deutsche, und der frühere ARD-Korrespondent und "Tagesthemen"-Anchor Ulrich Wickert übernahm die Begutachtung. "Sie entscheiden, was am Ende herauskommt. Sie sind völlig frei", zitierte Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung Monate später DW-Intendant Erik Bettermann.

Wickerts Fazit: "Die Vorwürfe tendenziöser Berichterstattung gegen die journalistische Arbeit der chinesischen Redaktion bei der Deutschen Welle entbehren jeder Grundlage." Wickert kritisierte nicht nur, dass Politiker die Vorwürfe "ungeprüft aufgegriffen" hätten, sondern auch, dass der Intendant ""offenbar auf Grund des öffentlichen und politischen Drucks ... voreilig und nicht gerechtfertigt" Personalentscheidungen getroffen" habe. Der Klarheit halber: es ging nicht um die Berechtigung der Äußerungen Zhangs außerhalb der DW, sondern um die Arbeit der Redaktion.

Der Bericht blieb unter Verschluss. Anders als die zuvor gemachten Vorwürfe gab er keinen Anlass zu Schlagzeilen. Es brauchte eine Anfrage der Süddeutschen Zeitung an Bettermann, der Wickerts Arbeit als "sehr gute Arbeit - toll" bewertet haben soll. Bettermann wolle das Papier aber nicht veröffentlichen, "um die China-Debatte nicht neu aufleben zu lassen".

Wer Lis Buch liest, kann sich des Eindrucks kaum erwehren, dass dies der Deutschen Welle hervorragend gelungen ist.

Vier Online-Redakteure der China-Redaktion verloren 2010 und 2011 ihre Aufträge als freie Mitarbeiter, bzw. ihre Arbeitsplätze, bei der Deutschen Welle. Inwieweit es sich auch bei den "freien" Mitarbeitern um "arbeitnehmerähnlich Beschäftigte" handelte, inwiefern die festen Jobs als befristet zu gelten hatten oder nicht, kann nicht Gegenstand dieses Beitrags sein; zum Teil wird das offenbar bis heute arbeitsgerichtlich verhandelt. Einer der vier früheren Mitarbeiter, Fengbo Wang, erwartet für diesen Monat [Update, 17.06.13: im Dezember 2013] seine Verhandlung beim Bundesarbeitsgericht.

Interessanter ist, dass die Deutsche Welle - ungeachtet des entlastenden Wickert-Gutachtens - der China-Redaktion einen "Monitor" verordnete - den Ludwigshafener Sinologen Jörg-Meinhard Rudolph. Dieser sollte offiziell Stil und sprachlichen Ausdruck überwachen und gegebenenfalls korrigieren. Tatsächlich bewertete er lt. einem offenen Brief der vier (zum Teil bereits ehemaligen) DW-Mitarbeiter die "KP-Freundlichkeit" (oder hinreichende Distanz zur KP Chinas) in von der China-Redaktion verfassten Artikeln.

Es war ein zorniger Brief, den die vier im April 2011 bei der Onlineplattform "Neue Rheinische Zeitung" veröffentlichten, und schon auf Grund seiner Länge kein journalistisches Glanzstück. Aber inhaltlich ist er weitgehend beglaubigt. DW-Personalrat Christian Hoppe, zitiert vom Evangelischen Pressedienst (EPD)3) im Mai 2011:

Mit einigen Formulierungen seien die Unterzeichner "übers Ziel hinausgeschossen", erklärte Hoppe, doch die Vorgänge in der Redaktion würden insgesamt korrekt wiedergegeben.

Lt. Li hatten Fengbo Wang und eine weitere ehemalige DW-Kollegin am 14.04.2011 abends ein zweistündiges Gespräch mit einem Journalisten in Köln. Dieser, ein freier Journalist, "wollte darüber berichten, wüsste aber nicht, was seine Vorgesetzten meinen" (Wiedergabe Li). "Tatsächlich haben wir von keinem Bericht der Zeitung gehört".

Eine andere Adresse - der EPD - berichtete allerdings, wie oben zitiert. Li:

Diese Veröffentlichung kann man aber nicht heraus googeln, weil diese nur bei "epd medien" zu sehen ist. Die Presseagenturen, sei es dpa, ap, epd, geben ihre Geschichten in eine Datenbank ein. Diese werden dort den Medien zur Verfügung gestellt.

Das Buch - Li ordnet es als Reportage ein - steht nicht über den Dingen. Manchmal spricht Verbitterung aus seinen Kapiteln. Aber es ist ein Lehrbuch für eine Vielzahl von kulturellen und politischen Themen: "Integration", Extremismusverdächtigungen4), public diplomacy (und wie sie sich "politisch" selbst ein Bein stellt), Journalismus, Arbeitsrecht und - so beginnt man zu vermuten - der Verzweiflung von Vorgesetzten, die einen Plan abzuarbeiten haben, den man keinem vernünftigen Zeitgenossen einleuchtend erklären könnte.

Nicht zuletzt: wie eine öffentlich-rechtliche Einrichtung (offenbar) in den Sog einer Parallelgesellschaft geriet. Diese "Parallelgesellschaft" ist keineswegs bösartig, in dem Sinne, in dem der Stammtisch es gerne hätte. Sie ist überhaupt nicht bösartig. Aber die Politik steht ihr - und dafür sind die "Zhang-Danhong-Affäre" und Qi Lis Story eindrucksvolle Belege - ahnungslos, unvorbereitet und gerne zu Schnellschüssen aufgelegt gegenüber.

Während die chinesische Presse ausführlich berichtete - und teilweise wütete -, blieb eine deutsche Berichterstattung weitgehend aus. "Ist das Thema für deutsche Medien uninteressant?", fragt sich Li zum Ende seines Buchs. Nicht nur ihm, auch Fengbo Wang fällt es schwer, das zu glauben.

Nun heißen sie nicht Eva Herrmann oder Susan Stahnke. Die DW ist im Grunde wohl nur denjenigen Deutschen bekannt, die sich bis in die 1990er Jahre einen Weltempfänger ins Gepäck legten, bevor sie nach Mallorca oder um die Welt reisten. Aber wenn es um die Voraussetzungen für guten Journalismus - und um arbeitsrechtliche Gegebenheiten - bei einem öffentlich-rechtlichen Sender (oder einer öffentlich-rechtlichen Medienplattform) geht, liegt ein öffentliches Interesse an solchen Vorgängen nahe. Zuständig für die DW sind z. B. der Kulturstaatsminister, der Deutsche Bundestag (der die Budgets bewilligt) sowie die im Rundfunkrat der DW vertretenen Politiker. Und wenn man geneigt ist zu glauben, dass verschiedenen Mitarbeitern der DW böse mitgespielt wurde, wirft das Fragen nach der in unseren Medien generell geübten Praxis auf: wie gut (oder schlecht) wollen wir eigentlich informiert sein?

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Anmerkungen

1) Deutsche Schreibweise - im Chinesischen geht der Familienname dem "Vornamen" voraus, also Li Qi, Wang Fengbo, Zhang Danhong.

2) Li Qi: "China-Albtraum der Deutschen Welle, August-von-Goethe Literaturvelag, Frankfurt a/M, 2012.

3) epd medien, 20.05.2011, S. 7 - 10

4) epd medien, 17.02.2012, S. 14 (Vor dem Landesgericht Köln fielen lt. EPD offenbar Worte, die für jeden öffentlich Beschäftigten von Interesse sein könnten. Auch hier berichtete offenbar ausschließlich EPD).

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Weiterführende Links

"Rundfunkfreiheit steht in den Schulbüchern", Die Welt, 14.02.2001

"Ideologische Instrumentalisierung", Neue Rheinische Zeitung, 01.04.2011

"Deutsche Welle - JR's Chronological Link Collection", 03.02. 2012

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Update:

Ein BAG-Urteil und seine Vorgeschichte, 20.06.2013

Überseechinesen fallen üblicherweise nicht durch großen gesellschaftlichen Lärm auf. Debatten werden online, in überseechinesischen Zeitungen oder auf bzw. am Rande von chinabezogenen Veranstaltungen geführt. Dieser Beitrag könnte so gelesen werden, als seien politisch um Neutralität bemühte Chinesen und chinesische Dissidenten einander spinnefeind. Das ist nicht durchweg so; Freundschaft ist auch unter Chinesen keine politische Kategorie. Aber am Ringen um politischen Einfluss können Freundschaften zerbrechen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

JR's China Blog

Ich bin ein Transatlantiker (NAFO)

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