"Charakter zeigen": Gauck wird 75

Freiheitsrechtler Am 24. Januar wird Joachim Gauck 75 Jahre alt. Drei Fünftel seiner ersten Amtszeit sind vorbei, eine zweite Amtszeit könnte folgen. Ein Präsident der großen Koalition?

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"Charakter zeigen": Gauck wird 75

Foto: TOBIAS SCHWARZ/AFP/Getty Images

Wenn die Beine mitmachten, würde Gauck eine zweite Amtszeit als Bundespräsident wollen, meldete "Spiegel online" im September letzten Jahres, und "Bild" startete sechs Wochen später ein gefühltes Klatschplebiszit: Herrlich, dieser Joachim Gauck!

Im ganzen Jahr 2014 fiel der Bundespräsident für die einen zu sehr aus dem Rahmen und tat es für die anderen zu wenig: mit warmen Worten für eine Militarisierung der deutschen Außenp0litik, bei denen die Vermutung naheliegt, dass sie in Abstimmung mit Außenminister Steinmeier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen gesprochen wurden. Und mit alles andere als warmen Worten für die sich abzeichnende rot-rot-grüne Koalition in Thüringen.

78 Prozent Befragter befanden Gaucks Amtsführung einer von "Focus" in Auftrag gegebenen Umfrage durch TNS-Emnid für gut; dreizehn kritisch. Allerdings ergab sich hier ein deutlicher Unterschied zwischen Ost und West: auf dem Gebiet der ehemaligen DDR gefiel der frühere Rostocker Pfarrer nur bei 69 Prozent der Bevölkerung.

Fragt man nach Angela Merkel, ist es offenbar mehr oder weniger umgekehrt: bei einer ebenfalls durch Emnid durchgeführten Umfrage im Dezember, im "Bild"-Auftrag, wünschten sich 61 Prozent der Befragten eine vierte Amtszeit der Kanzlerin, während sich das im alten Westen nur 55 Prozent der Befragten wünschten.

Dabei werden die meisten Ost- und Westdeutschen die Worte, die von Gauck gegen Ende 2011 und vor seiner Präsidentschaft fielen, vermutlich gar nicht kennen, oder sich nicht mehr an sie erinnern. Befragt, ob man es Angela Merkel vorwerfen könne, als Pastorentochter in die FDJ eingetreten zu sein, nannte Gauck als Gegenbeispiel seinen Sohn Christian, der seinen Berufswunsch erst im Westen verwirklicht habe, weil er eben – wie sein Vater – nicht in die FDJ eingetreten sei:

"Der könnte jetzt zu Angela Merkel sagen, Mädel, du hättest ein bisschen mehr Charakter zeigen können', und so weit würde ich auch gehen", zitiert die Mainpost Gauck vor einer Schulklasse in Schweinfurt. Aber er habe "ganz andere Probleme mit Gregor Gysi".

Eine Erinnerung die bleibt ist hingegen Gaucks Rolle als Bundesbeauftragter für die Stasi-Akten. Und vielleicht ein dauerhafter Eindruck, den Gauck überall hinterlässt und der sich in einem mutmaßlichen Gauck-Zitat, wiedergegeben von seinem früheren DDR-Kollegen Hans-Jochen Tschiche, so anhört: Gauck sei dort angekommen, wo er immer hingewollt habe.

Aber auch 69 Prozent im Osten bedeuten Zustimmung. Und spätestens jetzt weiß jeder, dass Gauck kein linker, liberaler Konservativer ist, sondern ein Konservativer.

Gauck wirkt durchaus von sich selbst eingenommen. Das hat er seinen beiden unmittelbaren Amtsvorgängern – Horst Köhler und Christian Wulff – voraus, wenn es um die Fähigkeit geht, sowohl Anfeindungen als auch Kritik an sich abprallen zu lassen. Letzteren Punkt mag man beklagen. Zumindest aber gibt sich der Bundespräsident, anders als viele andere Politiker, auch nicht scheinflexibel.

Die meisten Bundesbürger goutieren das. Helmut Schmidt, ebenfalls ein eloquenter Rechthaber vor dem Herrn, lässt grüßen.

Sollte Gauck sich nicht ganz zuletzt noch als Chlodwig Poth erweisen, stehen seiner zweiten Amtszeit wohl höchstens noch die eigenen Beine im Weg – oder ein vorzeitiges Ende der großen Koalition.



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