China: das Kommuniqué der 3. ZK-Plenarsitzung

Große Erwartungen. "Der Schlüssel zu einem guten Wissen über China ist ein besseres Wissen über die KP Chinas". So zitierte die BBC 2011 eine KP-Funktionärin. Manchmal trifft das zu.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Die Erwartungen an das dritte Plenum des 18. ZK der KP Chinas waren groß - zum Teil. Der "Economist" jedenfalls gab sich berauscht; die "Financial Times" hingegen skeptisch. Kerry Brown, Professor für chinesische Politik an der University of Sydney, erklärte dann einen Tag nach Ende des Plenums, warum es doch nicht der große, historische Wurf geworden sei:

Das Kommuniqué des Dritten Plenum des 18. Parteikongresses*), veröffentlicht am 12. November, nach der dreitägigen Konferenz, sollte der Auffassung ein Ende setzen, diese [von Xi Jinping geleitete] Führung sei im Begriff, die gleiche dramatische Wende zu vollziehen wie auf dem [Treffen] 1978.

Die Zeiten sind anders. Die einfache Wahrheit ist, dass ein einziger falscher Schritt heute viel teurer käme als damals, als das Land erschöpft vom späten Maoismus wieder auftauchte und etwas Radikales tun musste, um seiner Wirtschaft Antrieb zu geben.

Daran allerdings, dass Erwartungen womöglich enttäuscht werden könnten, hatten die Cheerleader des "Economist" von vornherein nicht selbst verantwortlich sein wollen, sondern die chinesische politische Führung gleich mit in die Pflicht genommen. Parteichef Xi Jinping habe seinen eigenen Äußerungen nach ehrgeizige Pläne, so die "Economist"-Leitartikler am 2. November, eine Woche vor Beginn des Plenums. Darauf bezog man sich.

Welche Äußerungen Xis damit gemeint waren, ist mir nicht bekannt. Allerdings zitierte die "Huanqiu Shibao", eine Zeitung der staatseigenen China-Daily-Gruppe, am 30. Oktober die BBC damit, auch aus dem Plenum des November 2013 werde eine "historische Politik" hervorgehen. Ob das Zitat korrekt war oder nicht: so lassen sich auch unter Chinesen Eindrücke hervorrufen, ohne selbst dafür Verantwortung zu übernehmen - eine in der amtlichen chinesischen Presse gern verwendete Collagetechnik.

Wendet man sich dem Kommuniqué des Plenums , der "Entscheidung" des ZK, zu, die dank der Bemühungen eines belgischen Sinologen nicht nur auf Chinesisch, sondern auch auf Englisch online zu haben ist, sollte man sich im Klaren darüber sein, dass der zur Zeit siebenköpfige ständige Ausschuss des Politbüros sich dem über zweihundertköpfigen Zentralkomitee gegenüber durchaus "Beinfreiheit" vorbehält. Nicht alle Entscheidungen, die seit dem 12. November verkündet und in der ausländischen Presse vermerkt wurden, gehen erkennbar oder unmittelbar auf das Kommuniqué zurück - z. B. die leichte Entspannung der Ein-Kind-Politik.

Schwerpunkte der ZK-Entscheidung waren der kulturelle Aufbau, die Massenlinienerziehung, eine noch gerechtere Verteilung der Früchte der Entwicklung unter die Bevölkerung, der chinesische Traum von der großen Verjüngung der chinesischen Nation, die Schaffung des Bewusstseins, dass China noch lange in der Anfangsphase des Sozialismus verbleiben werde, dass das grundlegende wirtschaftliche System mit öffentlichem Eigentum als Kern sich zusammen mit vielen anderen Eigentumsformen entwickeln solle, dass der führenden Rolle der staatseigenen Wirtschaft freier Lauf gelassen werden solle, dass Marktbarrieren niederzureißen seien, dass Finanzstrukturen und Fiskalstrukturen zwecks optimierter Ressourcenallokation wissenschaftlich zu gestalten seien, und dass Parallelstrukturen von Stadt und Land zwecks gemeinsamer Entwicklung beider zu überwinden seien. Gesellschaftliche Organisationen seien zu beleben und der zentralen Führungsrolle der Partei freien Lauf zu lassen.

Örtliche Graswurzeln wurden ermutigt, Erfahrungen zu sammeln und [zur kollektiven Nutzung in der Partei] zusammenzufassen. Die Graswurzelbetreuung wurde drei Tage später in der "Volkszeitung" zur Chefsache Xi Jinpings erklärt.

Zu jedem Punkt der ZK-Entscheidung gibt es einen mehr oder weniger langen vorhergehenden - zum Teil geschichtlichen - Verlauf, der die internationale Presse gemeinhin nicht sonderlich interessiert. Nicht selten wird die Ansicht geäußert, es handle sich doch bei der Papierproduktion von Parteikonferenzen um nichts weiter als Papier, das mit den wirklichen Vorgängen in China nichts zu tun habe. Unabhängig davon, ob man meine Ansicht teilt, dass der Herrschaftsanspruch und die Herrschaftspraxis der KP Chinas totalitär sind: es ist wohlfeil so zu tun, als verfolge die KP Chinas keine Absichten über die Ökonomie hinaus und verfasse darüber keine aussagefähigen Beschlüsse.

Vor allem erspart es ausländischen Journalisten und Korrespondenten eine Menge - zugegebenermaßen mühsamer - Dokumentenlektüre vor und nach Plenarsitzungen des Zentralkomitees. Ein solches Vorgehen spart aber auch an echter Information.

____________

*) sic - selbst einem Sinologen verrutschen gelegentlich die Politbegriffe

Mehr zum Thema


» Liberalisierung kündigt..., 18.11.13
Trimming the Ostrich, JR, 10.11.13
Dirty Work, SCMP, 03.08.13
New Work Style, JR, 25.07.13
Bo Xilai's Legacy, The Diplomat, 20.06.13

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

JR's China Blog

Ich bin ein Transatlantiker (NAFO)

JR's China Blog

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden