China, die G-77 und die Neun Prinzipien

Globale Finanzreform Bei den UN und im IWF wird um eine Reform staatlicher Insolvenzverfahren gerungen. Daneben entstehen neue Strukturen. Läuft das auf Vielfalt oder Kompromiss hinaus?

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Auf Initiative der G 77 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen am Donnerstag eine nichtbindende Resolution mit neun Prinzipien zum Ablauf von Staatsinsolvenzen. Das Dokument A/69/L.84, das sich auf vorangegangene Resolutionen der Vollversammlung am 9. September und am 29. Dezember 2014 bezieht, verlangt unter anderem ein Handeln von Schuldnern und Gläubigern in gutem Glauben mit dem Ziel tragbarer Schulden und Schuldendienste, möglichst geringer wirtschaftlicher und sozialer Kosten einer Staatsverschuldung, und einer Beschlussfähigkeit der Kreditoren, bei der eine qualifizierte Mehrheit unter den Gläubigern für alle Gläubiger verbindlich sein müsse.

Letzterer Punkt soll verhindern, dass Geierfonds eine Einigung zwischen Gläubigern und Schuldnerstaaten zu »Fall bringen können, selbst wenn zwischen beiden Seiten überwiegend Konsens über eine Problemlösung besteht.

Als zur Zeit vorsitzender Staat der Gruppe hatte Südafrika den Resolutionsentwurf im Namen der G 77 sowie Chinas eingebracht. Ein zuständiges Komitee der UN nahm den Entwurf im Juli an.

Laut Website der chinesischen Vertretung bei den Vereinten Nationen drückte der stellvertretende chinesische Repräsentant bei den UN, Wang Min, in einer Rede am Dienstag auf einer Sitzung des Hochrangigen Komitees für Süd-Süd-Zusammenarbeit nochmals die chinesische Unterstützung für das von Beijing mitverantwortete Neun-Prinzipien-Dokument aus und verwies dabei auf die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung:

In diesem Monat wird der Entwicklungsgipfel der Vereinten Nationen die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung verabschieden. Da das Treffen des Hochrangigen Komitees zur Süd-Süd-Zusammenarbeit gerade zur rechten Zeit stattfindet, hoffen wir, dass die Diskussionen und die Konsensfindung des Treffens zunehmend die Unterstützung des UN-Systems für die Süd-Süd-Zusammenarbeit unterstützen wird, so dass größere Beiträge zur nachhaltigen Entwicklung von Entwicklungsländern geleistet werden können. Daher möchte die chinesische Delegation folgende Punkte betonen:

Erstens: die Süd-Süd-Zusammenarbeit ist ein Symbol für die Einheit der Völker und Staaten und der gegenseitige Hilfe unter Entwicklungsländern bei gegenseitigem Respekt, bei Gleichberechtigung und gegenseitigem Nutzen und ohne Beifügung von Bedingungen. In den letzten Jahren hat die Süd-Süd-Zusammenarbeit schnelle Entwicklung unterstützt und wurde zu einem effektiven Weg für Entwicklungsländer, zum Teilen der Erfahrung von Erfolgserfahrungen und zur Verwirklichung gemeinsamer Entwicklung. Damit wurde ein wichtiger Beitrag zur internationalen Entwicklung geleistet.

Zweitens: Die Süd-Süd-Zusammenarbeit ist eine auf Einheit gegründete gleichberechtigte partnerschaftliche Beziehung. Sie sollte nicht als eine amtliche Entwicklungshilfe angesehen werden. Die internationale Entwicklung bleibt wie bisher ein Teil des Rahmens der Süd-Nord-Zusammenarbeit. Die Süd-Süd-Zusammenarbeit soll die Süd-Nord-Zusammenarbeit ergänzen und nicht ersetzen. Sie soll den hauptsächlichen Rang und die hauptsächliche Rolle der Süd-Nord-Zusammenarbeit weder schwächen noch verwässern.

Drittens: die Entwicklungsorgane der Vereinten Nationen sollten auf der Basis des Respekts für die kooperative Natur und die kooperativen Prinzipien der Süd-Süd-Zusammenarbeit die für die Süd-Süd-Zusammenarbeit notwendigen Richtlinien, finanziellen Mittel und das notwendige Personal bereitstellen und die Rolle des Süd-Süd-Zusammenarbeitsbüros der UN und des Sonderbotschafters des UN-Generalsekretärs für die Süd-Süd-Zusammenarbeit voll ins Spiel bringen, so dass für die nachhaltige und gesunde Süd-Süd-Zusammenarbeit eine günstige Umgebung geschaffen wird. Alle finanziellen Mittel und Programme sollten zunehmend Maßnahmen ergreifen, um die durchgängige Verankerung der Unterstützung für die Süd-Süd-Zusammenarbeit in der Formulierung aller ihrer Direktiven und Programme zu erreichen.

Der Bezug zwischen dem Anliegen eines ökonomisch und gesellschaftlicher weniger verlustreichen Ablaufs von Staatsinsolvenzen lässt sich in Wang Mins Rede nur erahnen. Das ist kein Zufall: zum einen handelt es sich bei der G 77 um keine Phalanx von Entwicklungsländern, sondern um eine relativ lose Koaliton, die von Fall zu Fall gemeinsame Interessen vertritt. Zum anderen liegt Beijing nichts ferner als ein offener Konflikt mit immer noch relativ einflussreichen Platzhirschen in der internationalen Arena. Als Edward Snowden 2013 in Hong Kong seine bis heute ergebnislose Suche nach einem nachhaltigen Exil begann, befand sich Beijing, das gerade an einer neuen Form der Beziehungen zwischen Großmächten arbeitete, in einer Zwickmühle. Lange allerdings dauerte das nicht an; die Beziehungskrise wurde nach Russland exportiert.

Chinas Außenpolitik ist in erster Linie Wirtschaftspolitik. Aber egal unter welchem Namen das Schiff segelt: die Sprache bleibt fast immer diplomatisch. Auch die unter chinesischer Federführung in Gründung befindliche Asia Infrastructure Investment Bank - übrigens mindestens so sehr ein Beispiel für "Süd-Nord-Zusammenarbeit" wie für "Süd-Süd-Zusammenarbeit" - will nach amtlich-chinesischer Lesart »ergänzend und kooperativ mit Weltbank, Asian Development Bank und anderen multilateralen Entwicklungsbanken zusammenarbeiten.

Eine chinesische Grundsatzentscheidung darüber, ob die Bewältigung von Staatsinsolvenzen aus Beijinger Sicht besser bei der Uno oder beim Internationalen Währungsfonds aufgehoben wäre, lässt sich aus solchen Herangehensweisen nicht ablesen. Der IWF aber zielt mit seinen Lösungsangeboten eher auf eine sanfte Reform und freiwilligen Verzicht der Investoren, so das "Manager-Magazin".

Von ihren bisher aufgelaufenen Forderungen möchten die Experten in Washington die Geierfonds denn offenbar doch nicht trennen - Gemeinsamkeiten zwischen ihnen und den "neun Prinzipien" der G 77 ergeben sich allenfalls für Neuschulden.

Aber selbst wenn neu gegründete Finanzinstitutionen, auf die Beijing und manche Entwicklungsländer zumehmend setzen, in einigen Jahren - nach Größe und Gewicht - eine Alternative zu IWF und Weltbank darstellen könnten: bis dahin ergibt sich womöglich ohnehin eine weitreichende Konvergenz zwischen alten und neuen Weltwirtschaftsinstitutionen.

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