China - nicht nur zur Weihnachtszeit

Religionsfreiheit In China geht das christliche Abendland zum Teufel, meldet der "Spiegel". Nur Hong Kong hält noch stand. Versuch einer Differenzierung

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Liest man die deutsche Presse, so könnte man zu dem Eindruck kommen, Weihnachten stehe in China vor seiner Abschaffung - in der konsumfrohen "Mittelschicht" (die quantitativ eher eine Oberschicht ist) ebenso wie unter chinesischen Christen.

Offizielle Weihnachtsfeiertage allerdings gibt es in China ohnehin nicht. Und dass Studenten sich dumme Propagandafilme ansehen müssen ist auch nichts Neues. Aber wenn solche Aktionen die Weihnachtsfeiertage berühren, ist das plötzlich nachrichtenrelevant. "Die" vergreifen sich an "unserem" Weihnachtsfest.

Es soll auch Verhaftungen gegeben haben. Wen schon bei einer Polizeikontrolle in Deutschland ein ungutes Gefühl beschleicht, sollte eine Verhaftung in China nicht leicht nehmen. Aber man muss in Deutschland offenbar schon die "Welt" lesen um zu sehen, dass die antiweihnachtlichen Repressalien "differenziert" aufallen. Betroffen sind diesem agenturbasierten Bericht zufolge ausschließlich oder vor allem Gemeinden, die sich nicht staatlich anerkennen lassen wollen oder nicht staatlich anerkannt werden - für die protestantischen Gemeinden wäre das verbunden mit einem Anschluss an die "Drei-Selbst-Patriotische Bewegung" oder an den "Chinesischen Christlichen Rat". Katholische Gemeinden, die eine harmonische state-life balance suchen, bleibt nur die "Chinesische Patriotische Katholische Vereinigung".

Die Unterscheidung zwischen parteitreuen und parteilosen Gemeinden wird im chinesischen Alltag heute - und zum Teil schon seit Jahrzehnten - vielerorts nicht mehr so ernstgenommen, wie man sich das bei einem "kommunistisch" geführten Staat vorstellen mag. Aber es gibt Fälle, in denen der Konflikt zwischen Menschen, die ihrem Gott im Zweifel mehr gehorchen wollen als den Menschen (oder eben der Gesellschaft, dem Staat, usw.), in China offen aufbrechen.

Nun also die ostchinesischen Freikirchen, und dort insbesondere die von Wenzhou in der Provinz Zhejiang. Die Repressionen begannen allerdings, folgt man diesem Bericht des "Economist", nicht erst zu Weihnachten, sondern bereits im April.

Und hier bekommt man auch weitaus aussagefähigere Informationen darüber, was hinter diesen Auseinandersetzungen steckt.

China bleibt ein totalitärer Staat - aber nicht nur zur Weihnachtszeit. Und ein Konflikt zwischen antireligiöser Orthodoxie und einem nicht weniger ausgeprägten Modernisierungsehrgeiz führt bei der KP Chinas zwar nicht zu Rechtssicherheit für christliche Gemeinden, wohl aber zu einer häufig in sich widersprüchlichen Politik.

Als Tendenz zeichnet sich ab, dass von staatlicher Seite mit ländlichen Christen rücksichtsloser umgegangen wird als mit städtischen "Mittelschichtschristen". Das ist eine Tendenz, die sich durch alle Repressionen zieht. Und ebenso fällt die Kontrolle religiösen Lebens in Tibet sehr viel offen-autoritärer aus als in den han-chinesischen Provinzen.

"Enorth" jedenfalls feiert Weihnachten wie immer: Elektronik- und Autoteileverkäufer werben mit Weihnachtsaktionen, und im Stadtviertel Xinsiqu, einem Teil der Tianjiner Freihandelszone, wurden "Enorth" zfolge zu den Weihnachtsfeiertagen über hundert Eigentumswohnungen verkauft.

"Enorth" ist ein Portal in der ideologisch straff geführten nordchinesischen Stadt Tianjin, betrieben von der dortigen städtischen Propagandakommission sowie dem nicht weniger staats- oder parteieigenen Tianjiner Volksradio und von zwei Zeitungen, von denen mindestens eine wiederum zur städtischen Propagandakommission gehört. Was dort geht, geht anderswo erst recht.

Weihnachten in China ist kein Problem. Man muss nur gut integriert sein.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

JR's China Blog

Ich bin ein Transatlantiker (NAFO)

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